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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Wir dürfen unsere Pflegekräfte nicht verheizen!"
Evangelisches Pflegezentrum mit etwas Verzögerung eröffnet
Nach zweijähriger Bauzeit ist das Evangelische Pflegezentrum Sendling (es heißt zwar so, befindet sich aber in Obersendling) der Inneren Mission eingeweiht worden. Wenn das Haus in dem neuen Stadtviertel „Südseite“ einmal komplett belegt ist (dieser Tage ziehen die ersten Bewohner ein), stehen 227 vollstationäre Pflegeplätze zum Teil mit beschützendem Charakter zur Verfügung. Der Rundbau steht an der Ecke Baierbrunner Straße / Siemensallee gegenüber des früheren Siemens-Hochhauses.
Betrieben wird das Haus von der Hilfe im Alter, einer Tochtergesellschaft der Inneren Mission. In dem Gebäude ist auch die Evangelische Pflegeakademie untergebracht, an der rund 200 Studenten zu Fachkräften ausgebildet werden. Das gesamte Investitionsvolumen für Grundstückskauf, Bau und Möblierung beträgt gut 35 Millionen Euro - etwa zehn Prozent mehr als ursprünglich geplant.
Ein Ausrufezeichen, viele Fragezeichen
Günther Bauer, Vorstand der Inneren Mission München, wies in seiner Ansprache auf Probleme beim Bau hin. So hätten zwei ungewöhnlich lange und kalte Winterperioden sowie die Insolvenz einer renommierten Planungsgesellschaft die Fertigstellung um rund vier Monate verzögert. Dennoch sei mit der neu entstandenen "Lehr-Pflegeeinrichtung" ein bayernweit "architektonisches und konzeptionelles Unikat" entstanden, das ein deutliches Ausrufezeichen in der Pflegediskussion setze. Gleichzeitig gebe es jedoch auch viele Fragezeichen in diesem Bereich, mahnte der Pfarrer. So vermisse er das Engagement der Solidargemeinschaft für die Dynamisierung und Erhöhung der Pflegeversicherungsleistungen, Beschlüsse zur Verbesserung des Personalschlüssels sowie eine politische Unterstützung für Pflegekräfte, die tagtäglich einen sinnvollen und notwendigen, aber auch anstrengenden und fordernden Beruf ausüben.
Bauer dankte der Landeshauptstadt für einen Zuschuss in Höhe von drei Millionen Euro und dem bayerischen Freistaat für die Förderung der Pflegeakademie in Höhe von gut einer Million Euro. Zudem hätten weitere Nachlässe und Spenden zur Realisierung des Baus beigetragen.
Nur 35 Bewerber auf 100 Pflegejobs
Stadträtin Constanze Söllner-Schaar nannte es "bemerkenswert", dass in dem neu entstehenden Stadtviertel gleich ein Pflegezentrum gebaut worden sei. Themen wie Pflegebedürftigkeit, Demenz und Alter seien von Anfang an im Quartier präsent. Söllner-Schaar kritisierte zugleich, dass von der im Dezember gestarteten bundesweiten Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege bislang nur wenig zu spüren sei. Vielmehr sei Pflege durch einen anhaltenden Fachkräftemangel gekennzeichnet. So kämen auf 100 gemeldete offene Arbeitsstellen lediglich 35 Bewerber. Zudem müssten die Leistungen der Pflegeversicherung verbessert werden; den Betroffenen und den Kommunen dürften nicht immer mehr Lasten aufgebürdet werden.
Praxisnahe Ausbildung
Maria Els, Vizepräsidentin der Regierung von Oberbayern, hob in ihrem Grußwort die 40-jährige Arbeit der Evangelischen Pflegeakademie hervor. Dass Pflegeeinrichtung und Ausbildungsstätte unter einem Dach untergebracht seien, biete ideale Voraussetzungen für eine praxisnahe Ausbildung. Els erinnerte an die Anfänge der Pflegeakademie: Hatten 1973 gerade einmal sieben Personen an der Berufsfachschule für Altenpflege ihre Ausbildung begonnen, so werden es im Herbst rund 120 Schüler sein. Und während der Lehrplan vor 40 Jahren 1.000 Stunden Theorie und 600 Stunden Praxis umfasste, sind es heute 2.100 Stunden theoretische und 2.500 Stunden praktische Ausbildungsstunden. Mit den neuen Räumlichkeiten seien nun "beste Voraussetzungen geschaffen für eine zukunftsorientierte Ausbildung", lobte die Regierungsvizepräsidentin.
Wachsender Druck auf Pflegekräfte
Der Präsident des Diakonischen Werkes Bayern, Michael Bammessel, kritisierte die Pflegeversicherung: "Sie gleicht einem Rad mit vielen Ecken und Scharten – und deswegen holpert und rattert die ganze Altenpflege." So sei es "ein schlechter Witz", dass die Leistungen der Pflegeversicherung seit ihrer Einführung vor 18 Jahren nur wenig angehoben wurden und Familien zusätzlich privat immer mehr drauflegen müssten. "Pflegebedürftigkeit wird immer mehr zum Armutsrisiko", so Bammessel. Träger hätten kaum Spielräume, um den Personalschlüssel zu verbessern; Pflegekräfte seien einem immer größerem Zeitdruck ausgesetzt. Nur mit deutlich verbesserten Leistungen der Versicherung sei ein besserer Basiswert für die Personalausstattung in den Heimen zu erreichen. "Wir dürfen unsere Pflegekräfte nicht verheizen. Sie geben jeden Tag ihr Bestes – aber irgendwann sind sie mit ihrer Kraft am Ende."
"Zukunftsweisende Einrichtung"
MdL Andreas Lorenz (CSU): "Mit der Kombination aus Pflegeeinrichtung und Ausbildungsstätte hat die Innere Mission ein innovatives Konzept umgesetzt. Das Evangelische Pflegezentrum bietet im neuen Stadtviertel Isar Süd nicht nur dringend benötigte Pflegeplätze, in einem Anbau ist zudem die Evangelische Pflegeakademie untergebracht. Dort werden zukünftig Pflegekräfte praxisnah ausgebildet. Auch die Architektur setzt Maßstäbe: Das Gebäude ist als Rundbau konzipiert – das soll den Bewohnern Geborgenheit geben und kommt vor allem dem Bewegungsdrang der Dementen entgegen. Die Innere Mission hat hier eine zukunftsweisende Einrichtung realisiert. Das hat auch der Freistaat gewürdigt und das Projekt mit gut 1 Million Euro unterstützt."
"Licht und Schatten"
Florian von Brunn (SPD): "Das neue Evangelische Pflegezentrum Sendling ist sehr wichtig. Immer mehr alte Menschen leiden unter Demenz. Sie brauchen viele gut ausgestattete Einrichtungen mit kompetenten Mitarbeitern. Die Bilanz des schnell gewachsenen neuen Viertels 'Südseite' zeigt Licht und Schatten: 950 neue Wohnungen, Schulen, Kinderbetreuung und Einkaufsmöglichkeiten. Aber bei der Verkehrsanbindung hapert es noch genau wie bei den versprochenen Grünanlagen. Die Bauträger müssen auch hier für das menschengerechte Umfeld sorgen.“
"Lebendige Südseite"
MdL Michael Piazolo (Freie Wähler): "Ich freue mich darauf, wenn das neue Stadtquartier fertiggestellt ist. Durch die Kombination verschiedenster Wohnmodelle und Einrichtungen ist garantiert, dass die 'Südseite' lebendig und lebenswert wird. Das Pflegezentrum setzt durch seinen architektonisch außergewöhnlichen Rundbau Maßstäbe. Zusammen mit der angeschlossenen Pflegeakademie bietet es jungen Menschen Chancen auf eine Ausbildung und den Älteren ein Heim zum Wohlfühlen. Besonders schön finde ich, dass die Bewohner alles zum Leben Notwendige barrierefrei und altersgerecht erreichen können.“
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