„Was wäre, wenn ich im Rollstuhl säße?“
Werdenfelser Grundschüler erhalten Einblick in ein Leben mit Behinderung
„Was wäre, wenn ich im Rollstuhl säße?“ Mit dieser Frage beschäftigten sich die vierten Klassen der Grundschule an der Werdenfelsstraße im Rahmen eines des Integrationsprojekts Schulklassenprogrammes „Gehen auf Rädern“. In Zusammenarbeit mit dem städt. Referat für Bildung und Sport kamen geschulte Mitarbeiter des „Freizeit Sport“ für drei Tage an die Schule, um die Kinder in abwechslungsreichen Praxis- und Theorie-Workshops einerseits entdecken zu lassen, welche Schwierigkeiten es für Rollstuhlfahrer gibt, dabei aber andererseits auch aufzuzeigen, was alles noch möglich sein kann.
Eigene Erfahrungen sammeln
Los ging es in der Turnhalle mit einem Gesprächskreis: Warum sitzen manche Menschen eigentlich im Rollstuhl? Und welche Arten von Rollstühlen gibt es überhaupt? Was sind ihre Vor- und Nachteile? Das konnten sich die Schüler auch ansehen, denn die Projektleiterin Susanne Hamm und ihr Team hatten 14 Kinderrollstühle in verschiedenen Modellen und Größen mitgebracht. Die Neugier war natürlich groß und lange dauerte es nicht: „Dürfen wir die auch mal ausprobieren?“ Aber klar! Nach einer kurzen Testfahrt gab es auch schon das erste Fangenspiel - und alle saßen im Rollstuhl.
Nachdem sich die Kinder eingefahren hatten, wurde an drei Stationen spielerisch an den Schwerpunkten Fortbewegung mit Hindernissen und Behindertensport weitergearbeitet. Als erste Station war in der Halle schon früh am Morgen ein spannender und vielseitiger Hindernisparcours aufgebaut worden: Rampen, Schrägen, Bodenwellen und sogar eine Wippe galt es im Rollstuhl zu überwinden – für die besonders Ehrgeizigen sogar auf Zeit.
Nicht alles geht, aber vieles doch
„Welche Sportarten magst du? Und könntest du sie auch dann noch machen, wenn du im Rollstuhl wärst?“ Mit dieser Frage beschäftigte sich die Gruppe an der zweiten Station. „Eher nicht“, war oft die erste Einschätzung. Aber stimmt das denn? Bei einer Rollstuhl-Staffel in zwei Teams erbeuteten die Kinder nach und nach die Karten eines Foto-Memory-Spiels, das sowohl klassische Sportler als auch Para-Sportler bei derselben Sportart zeigte. „Guck mal, ich hätte nicht gedacht, dass das geht!“, hörte man beim Anschauen und Sortieren der Karten immer wieder. An Station drei durften die Klassen eine solche Parasportdisziplin sogar ausprobieren: eine Variante von „Rolli-Basketball“ wurde gespielt. „Die Regeln sind aber schon ein bisschen anders“, erklärt eine Schülerin. „Der Ball kann darf zum Beispiel hier bei uns nicht gedribbelt werden. Den Ball zu dribbeln ist für uns Anfänger zum Beispiel noch zu schwer. Wir mussten ihn deswegen ganz viel hin und her passen.“
„Naja, oft holperte das Spiel am Anfang sehr“, erzählt eine Lehrerin, „denn man muss ganz genau zuwerfen, im Sitzen fangen können und vor allem auch taktisch gut zusammenarbeiten. Die Kinder haben aber schnell dazugelernt und schon nach 10-15 Minuten bekam man als Schiri dann doch ein schönes Spiel zu sehen!“
Auch Hockey im Rollstuhl wurde hier kurz ausgetestet. „Schwierig…“, stellten die Schüler übereinstimmend fest, „man kann nicht den Rollstuhl anschieben und gleichzeitig den Schläger halten. Und den Ball gut schlagen ist auch schwer, weil der Schläger oft zwischen den Rollstühlen steckt oder der Ball unter den Rolli rollt.“ Ja, alles geht eben doch nicht, vieles erfordert dann Übung und gerade Hockey ist unter Elektrorollstuhlfahrern trotz allem sehr beliebt.
Die Umgebung anders wahrnehmen
Auch eine Hausaufgabe bekamen die Schüler auf den Weg: Würdest du es schaffen, im Rollstuhl von der Schule nach Hause zu kommen? Kommst du auch in deine Wohnung und in dein Kinderzimmer? Häufig konnte diese Frage am nächsten Morgen nicht bejaht werden.
Im Klassenzimmer gab es abschließend noch ein spannendes 1, 2 oder 3 – Quiz zum Thema „Leben im Rollstuhl“. Kann man als Rolli-Fahrer denn noch tauchen gehen, Auto fahren oder sogar Flugzeuge fliegen? Ja, das geht! Und musst du als Elektro-Rolli-Fahrer wirklich wieder in die S-Bahn steigen und weiterfahren, wenn an deinem Bahnhof der Aufzug nicht geht? Leider auch ja. Betretenes Schweigen.
„Ich bin mir sicher, dass die Kinder ihre Umgebung jetzt auch mit anderen Augen sehen können“, sagt eine Lehrerin. „Sie haben Empathie entwickelt und konnten durch die vielen Spiele im Rollstuhl aber auch Berührungsängste mit dem Thema abbauen. Die Kinder und auch wir Lehrerinnen waren von diesem Projekt wirklich restlos begeistert.“ Dies zeigte sich auch im abschließenden Gespräch zur Frage: „Was denkst du nach diesem Workshop über das Leben im Rollstuhl?“ Ein neunjähriger Schüler meinte dazu: „Ich denke, Rollstuhlfahrer haben es nicht leicht, weil die Welt nicht für sie gemacht ist. Viele tolle Sachen gehen aber immer noch, was ich vorher nicht gedacht hätte.“
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