"Verrückte" Kunst?
Fachvortrag über die Integration von "Wahnsinn" in die künstlerische Tätigkeit
Die neueste Hirnforschung belegt mit bildgebenden Verfahren, was Paul Watzlawick bereits in den 80-Jahren postulierte: „Die Wirklichkeit entsteht in unseren Köpfen“. Die Wahrnehmung stimuliert das Gehirn lediglich zur Schaffung und Interpretation einer inneren Wirklichkeit. Das Gehirn verkauft uns Halluzinationen und Wahnvorstellungen als Wirklichkeit und dabei wir haben keine Möglichkeit, es zu bemerken. Unter dieser Voraussetzung scheint es fast unmöglich, klar zwischen geistig "gesund" und "krank" zu unterscheiden. Manche Künstlern zugeschriebene Eigenschaften finden wir in extremer Form auch bei psychisch Kranken wieder. So zum Beispiel Phantasie (Realitätsverlust), Sensibilität (übersteigerte Wahrnehmung), Abgrenzungsschwäche und Autismus oder auch die Neigung zu Süchten. Das erklärt die Nähe von Künstlern und psychisch Kranken. Eine weitere Verbindung ist die gesellschaftliche Aussenseiter-Postion. Einige Künstler konnten ihren Wahnsinn sehr gut integrieren oder er hat ihnen sogar zu außerordentlichen Kunstwerken verholfen, denn sie haben kunstgeschichtlich relevante Werke hinterlassen. Die Bildhauerin Camille Claudel litt unter Verfolgungswahn, der sie dazu trieb ihre Werke zu zerstören, was auch Ernst Ludwig Kirchner tat, bevor er sich selbst zerstörte. Weitere Beispiele sind Edward Munch, Vincent Van Gogh, Paul Gauguin und Seraphine Louis. In dieser Gruppe finden wir auch Schriftsteller und Komponisten: z.B. Verlaine, E.A. Poe und Robert Schuhmann. Schwer psychisch erkrankten Menschen bietet Malerei und Zeichnung eine direkte, einfache, Ordnungsmöglichkeit für ihre innere Welt. Wir können so etwas über eine Wirklichkeit erfahren, die uns sonst verborgen bleibt.
Vortrag bei "Farbrausch"
Am Donnerstag, 27. Januar, findet um 19 Uhr im Rahmen der aktuellen Ausstellung "Farbrausch" (zu sehen bis 29. Februar, Mo- Do 9-16 Uhr und Fr 9-12 Uhr) ein Fachvortrag im H-TEAM e.V. (Plinganserstr. 19) statt: Dabei spricht die Künstlerin Silke Blomeyer über gelungene Integration von Wahnsinn in die künstlerische Tätigkeit.
Die hier gezeigten Künstler sind entweder als "verrückt" bekannt oder nicht mit ihrem Namen. Eher kunsttherapeutisch als kunsthistorisch bedeutsam und bekannt sind die Institutionen "Gugging" und die Schriften der Ärzte Leo Navratil und Hans Prinzhorn (und die Sammlung, die seinen Namen trägt). Die "Kranken" sind erst im Rahmen ihrer Therapie oder ihres stationären Aufenthaltes mit Kunst in Berührung gekommen. Sie haben keine Vorbilder und sind wegen ihrer ursprünglichen Ausdruckskraft wiederum selbst Vorbilder für die "Art Brut" geworden.
Im Rahmen des Fachvortrages wird zudem Kunst psychisch Kranker gezeigt, die in Anstalten entstanden ist. Es handelt sich um ausgewählte Werke der Sammlung Prinzhorn und aus Gugging, sowie Bilder von Adolf Wölfli und Louis Soutter.
Der Eintritt zum Vortrag ist frei. Spenden gehen an den „Sofort-Hilfe-Fonds für Münchner Bürger in Not“.
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