Theorie und Praxis
Fällen und fördern: Das "Grüne München" ist gar nicht so einfach zu bekommen
"Der beste Zeitpunkt, um einen Baum zu pflanzen, ist vor 20 Jahren", sagt ein afrikanisches Sprichwort, "der zweitbeste ist jetzt." Die Stadt München will jetzt zumindest dieses "Zweitbeste" anschieben: Der Stadtrat hat vor kurzem Maßnahmen zur "Stärkung des Baumschutzes" auf den Weg gebracht. Dazu zählen neue Förderprogramme und Änderungen zur Sicherstellung von Ersatzpflanzungen - also für das Pflanzen junger kleiner Bäumchen als Ersatz für größere, ältere gefällte.
Das ist die Theorie
"Im Spannungsfeld von Klimawandel und zunehmender Verdichtung in der Stadt München nimmt der Schutz der Münchner Bäume eine immer wichtigere Rolle ein", bringt es die Stadt auf den Punkt. Bereits 2020 hatte das städt. Referat für Stadtplanung und Bauordnung eine Kampagne gestartet, um der Bevölkerung die Bedeutung der Bäume nahezubringen. Diese Kampagne wird nun mit konkreten Maßnahmen ergänzt. Dazu gehören zum Beispiel die „Grenzbauminitiative“ sowie die Initiativen „Extrabaum“ und „Zukunftsbaum“. So soll mit fachkundiger Beratung und finanzieller Unterstützung das Engagement der Bürger belohnt werden, die sich durch die freiwillige Pflanzung eines Baumes für ein "grünes München" einsetzen.
So läuft es in der Praxis
Annelie Kremer ist so eine zu belohnende Bürgerin, die sich für ein kleines Stück grünes München einsetzt. Allerdings nimmt sie gerade Abschied von einer Esche, um die sie sich in den letzten Jahren intensiv gekümmert hat. Dank ihrer Pflege hat der Baum sogar das Eschentriebsterben überstanden. Trotzdem wird er nun dem Bauvorhaben in der Nachbarschaft zum Opfer fallen, nachdem er ein gutes Menschenleben lang im Garten an der Feldafinger Straße wuchs.
Das Problem: Die Esche steht genau auf der Grundstücksgrenze. Werden ihre Wurzeln durch den Neubau beschädigt, könnte ihre Standfestigkeit nicht mehr gegeben sein. Also hat die Stadt die Fällung genehmigt.
Besteht wirklich ein Risiko?
Natürlich will auch Amelie Kremer kein Risiko eines Schadens eingehen. Sie bezweifelt aber, dass die Fällung unausweichlich ist. Nach dem Abriss des Nachbarhauses und der Freimachung des Baugrundstückes sind dort kaum Wurzeln "ihrer" Esche zu sehen. Besteht die von der Stadt vermutete Gefahr also gar nicht? Könnte man die Esche weiterleben lassen?
Es gäbe Methoden, Klarheit zu schaffen - z.B. die Untersuchung mittels "Wurzel-Radar", die zudem keinen Schaden am Baum anrichtet. Doch solche Rettungsmaßnahmen kosten Geld. Von 30.000 Euro war im Bezirksausschuss im Münchner Süden (BA 19) die Rede - Geld, das die Nachbarn nicht aufbringen können und die Stadt nicht aus ihren Fördertöpfen bereitstellt, wie Inga Meincke (BA 19, Grüne) berichtete. "Das Baurecht bricht das Baumrecht", bedauerte sie angesichts der erfolglosen Rettungsbemühungen.
"Es tut uns weh"
"Wir haben solche Fälle oft", ergänzte BA-Vorsitzender Ludwig Weidinger (CSU), "das tut uns weh." Monika Reim (SPD) forderte, wegen deer Fällung nochmals bei der Stadt nachzuhaken. Der Bauantrag, auf dem die Fällgenehmigung beruhe, enthalte dazu falsche Angaben: Die 80 bis 90 Jahre alte Esche ist dort als "Linde" aufgeführt.
Warum nicht vorher nachsehen?
"Man müsste bei großen Bäumen, die durch die Baumschutzverordnung geschützt sind und bei denen es zweifelhaft ist, ob sie ein Bauvorhaben wirklich stören, eine vorherige Untersuchung zur Pflicht machen", findet Annelie Kremer. "Da ist eine Lücke im Gesetz."
Etwa 2.000 Bäume auf Privatgrund verliert München jedes Jahr, erinnerte Inga Meincke im Bezirksausschuss. Am vergangenen Wochenende ist Annelie Kremers Esche dazugekommen.
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