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"Manche haben noch nie zuvor eine Schule besucht"

Übergangsklassen in der Mittelschule Fernpaßstraße

„Die Spannbreite an Vorbildung bei den Schülerinnen und Schülern in den Übergangsklassen unserer fünften und siebten Jahrgangsstufe ist groß! Während einige in ihrem Heimatland bereits das Gymnasium besuchten, ihnen also lediglich Sprachkenntnisse in Deutsch und eventuell in Englisch fehlen, haben andere noch nie zuvor eine Schule besucht, können also weder lesen noch schreiben", berichtet Paul Hörman, Schulleiter der Mittelschule an der Fernpaßstraße. Sehr froh ist er deshalb, die Grundschullehrerin Janine Somfleth im Team zu haben, die Analphabeten gekonnt in die Grundlagen der Schriftsprache einführt.

Überdurchschnittlich viele gute Abschlüsse

Ü-Klassen gibt es an der Mittelschule Fernpaßstraße schon seit Anfang der 1990er Jahre. Beachtung finden diese jedoch erst jetzt, da ungewohnt viele Menschen aus fremden Ländern nach Deutschland flüchten – darunter auch zahlreiche Familien mit schulpflichtigen Kindern. Eingerichtet werden Ü-Klassen also gezielt für jene, die nicht oder nicht ausreichend gut Deutsch sprechen, um dem Unterricht in einer Regelklasse folgen zu können. Ziel ist, nach zwei Schuljahren zum intensiven Spracherwerb den Übergang in eine Regelklasse zu ermöglichen. In der Mittelschule Fernpaßstraße schaffen dies fast alle.

Bei Bedarf gibt's wöchentlich zwei Stunden spezielle Förderung in Englisch. Und im Rahmen des Programms „Schule für alle" finden nachmittags in Kleingruppen zusätzliche Deutschkurse statt, es gibt also diverse Arten gezielter Förderungen. „Dadurch schaffen an unserer Schule überdurchschnittlich viele ‚Ü-Schüler' gute Abschlüsse, den Quali oder den Mittleren Schulabschluss (MSA), den Übergang auf Realschulen oder Gymnasien, vor allem jedoch in den M-Zweig, wo wir sie - anders als an anderen höheren Schulen - Schritt für Schritt an das Niveau ihrer Mitschüler heranführen", erläuterte die Konrektorin Dr. Julia Bernreuther.

Flucht orientiert sich nicht am Schuljahresbeginn

Die Klasse 5Ü besteht derzeit aus 18 Kindern, Elf- bis 13-Jährige aus 15 verschiedenen Nationen, deren gemeinsame Sprache zwangsläufig rasch die Deutsche wird. Zumal der Erwerb von Sprachkompetenz im Vordergrund steht, werden zehn Wochenstunden Deutsch unterrichtet. Daneben gibt's Unterricht in Mathematik, Geschichte, Physik, ebenso in Werken / Handarbeit, Kunst und Ethik. Für die Zwölf- bis 14-Jährigen in der 7Ü-Klasse kommen Arbeits- und Wirtschaftslehre hinzu.

Dass der Unterricht für die Kinder und Jugendlichen den Klassenlehrerinnen Sabine Kern (5Ü) und Tamara Götz (7Ü) viel abverlangt, ist klar. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Flucht aus Krisenregionen nicht am Schuljahresbeginn orientiert. Im Lauf der Monate kommen stets noch Neulinge hinzu, die es dann in den Unterricht zu integrieren gilt.

„Um diese Herausforderungen zu meistern, erhält die Schule jedoch kein zusätzliches Kontingent an Lehrerstunden. Lediglich bei der Einschätzung des Verwaltungsaufwands werden Ü-Klassen seit dem laufenden Schuljahr doppelt gezählt. Und um für diese Schüler spezielle Unterrichtsmaterialien anschaffen zu können, muss die Schule sich um Mittel aus Stiftungen bemühen", erklärte Julia Bernreuther.

Ehemalige Schüler helfen mit

„Wieviele Mädchen seht ihr auf dem Bild?" fragt Sabine Kern in die Menge. Unverzüglich schnellen zahlreiche Finger hoch, nahezu alle sind mit Begeisterung bei der Sache. Anschließend gilt es, die Gegenstände auf dem Bild eines Kinderzimmers zu benennen. „Das Regal, der Stuhl, der Tisch, die Leiter." Matteo spricht fließend, verwendet die Artikel korrekt. Ein Mädchen zählt weiteres auf. Obwohl sie erst wenige Monate in Deutschland ist, klingt ihre Aussprache erstaunlich gut: „Die Lampe, die Puppe, die Buch." „Das Buch", verbessert die Klassenlehrerin sachte. Im Hinterzimmer übt derweil ein Mädchen das Lesen.

Spielerisch und schnell lernen die Kinder die neue Sprache. „Und sie kommen tatsächlich gerne zur Schule! Als ein Schüler mal nachsitzen musste, wollten die anderen auch länger da bleiben", erzählt Sabine Kern. Diese Begeisterungsfähigkeit ist wohl der Grund dafür, warum ihr der Unterricht in den Ü-Klassen im siebten Jahr in Folge trotz aller Mehrarbeit Spaß macht.

Für die anspruchsvollen Aufgaben haben sie und Tamara Götz, Lehrerin der 7Ü spezielle Fortbildungen absolviert. Ihre Anstrengungen zeigen durchaus Erfolge, durch die intensive Betreuung entstehen mitunter enge emotionale Bindungen mit den Kids und deren Eltern. Ein ehemaliger Schüler, der längst eine Ausbildung begonnen hat, kam kürzlich zu Besuch. Ein Ehemaliger aus einer Ü-Klasse kommt in seiner Freizeit zur Schule, um beim Unterricht zu helfen. Für die Neuen ist er quasi ein Held!

"Die Lehrer hier stehen zu ihren Schülern"

Prima Vorbilder sind auch Ella, Hektor und Omar. Ella (15 J.) kam vor drei Jahren aus Bosnien nach Deutschland, sie verstand damals kein Wort. Heute ist sie erfolgreiche Achtklässlerin, besucht die M8 und ist auf bestem Weg zur Mittleren Reife. Ebenso Hektor aus Spanien. Ihm gefiel es an der Fernpaßschule so gut, dass auch sein jüngerer Bruder unbedingt hier unterrichtet werden wollte. Omar (15 J.) lebt seit fünf Jahren in Deutschland. Der M10 Schüler macht in diesem Jahr den Mittleren Schulabschluss (MSA genannt), der gleichwertig mit dem MSA an Real- oder Wirtschaftsschulen ist. Danach will er eine Lehre als Kaufmann für Versicherungen und Finanzen machen. In akzentfreiem Deutsch betont er: „Die Lehrer hier stehen zu ihren Schülern. Wenn man sich durchbeißt, kann man also eine Menge Erfahrungen sammeln!"


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