Heimat in der Strömung
Als die Isar noch den Flößen gehörte
Selbst wenn die Isar, wie in diesem Jahrhundertsommer, so wenig Wasser führt, dass man sogar zu Fuß den unterhalb der Grünwalder Römerschanze liegenden Georgenstein erreichen kann, kommt man auf dem Wasser voran – gesetzt den Fall, man befindet sich auf einem Floß. Dass eine Floßfahrt auf der Isar möglich ist, mit viel Bier, zünftiger Musik und Zeltkonstruktion, die den dringenden Bedürfnissen dient, weiß so gut wie jeder Münchner.
Eine Kulturfloßfahrt
Es geht aber auch anders. Wie wäre es zum Beispiel mit einer literarischen Isar-Floßfahrt, auf der unter anderen auch ein ehemaliger Münchner Oberbürgermeister aus ausgewählten Texten liest? Der 2013 von der Münchner Autorin Helga Lauterbach gegründete Flößer-Kulturverein München-Thalkirchen e.V. lud im Juli 2015 zu solch einer literarischen Floßfahrt ein, und es wurde ein voller Erfolg. Es kam sogar, wie Helga Lauterbach schmunzelnd berichtet, zu einem kleinen "Volksauflauf", als Schlauchbootfahrer den ehemaligen Oberbürgermeister Christian Ude erkannten und ihre Freude darüber sehr laut und begeistert kundtaten.
Tief verwurzelt in den Isargestaden
Aber nicht erst seit 2013 ist die Flößerei ein Thema für die Münchnerin Helga Lauterbach. Wie sie selbst schreibt, spielte sich ihre Kindheit weitgehend in den Isargestaden am Flaucher ab. Als "schönsten Abenteuerspielplatz der Welt" erinnert sie diesen Ort, und Kinder, die heute dort spielen, werden ihr da bestimmt Recht geben. Ein Spielplatz an fließendem Wasser, mit reichlich "Baumaterial" für kleine Welten oder gar Miniaturflöße, ist immer noch ein Kindertraum. Warum Helga Lauterbach aber ihr Herz insbesondere an die Flößerei hängte, die seit dem Mittelalter bis Ende des neunzehnten Jahrhunderts wirtschaftlich und kulturell von großer Bedeutung war, liegt daran, dass auch die zentrale Floßlände, an der heute noch die Floßfahrten enden, zu ihrer Kindheit gehörte und in den 50er Jahren das Thema "Isarflößerei" fester Bestandteil des Lehrstoffes war. Als geprüfte Gästeführerin, so berichtet Lauterbach, begann sie sich als erwachsene Frau systematisch für das Thema Flößerei zu interessieren. Dazu arbeitete sie spezielle Stadtführungen und Vorträge aus. Ihr Tun mündete in zahlreichen Publikationen, wie zum Beispiel das 1994 erschienene Buch "Unterwegs mit den Flößern", welches in Zusammenarbeit mit dem Fotografen Bernd Ritschel entstand.
Flößerei als Kulturerbe
Dass nicht nur Helga Lauterbach das alte Handwerk der Flößerei als ein zu bewahrendes und weiter zu erforschendes Kulturgut sieht, zeigt die Einschätzung der UNESCO. 2014 wurde es als eines der ersten Kulturgüter Deutschlands ins bundesweite Verzeichnis der Immateriellen Kulturgüter der UNESCO aufgenommen. Die Begründung lautet, "dass die Flößerei in der Vergangenheit [...] in Deutschland angesichts eines riesigen Holzbedarfs in allen Lebensbereichen der Gesellschaft eine herausragende Rolle gespielt hat." Und so war die wachsende Stadt München über mehrere Jahrhunderte immer auch auf die Flößerei angewiesen.
"Ein Flößerleben hängt an einer Wiede"
Über die Isar wurde auf den langen Flößen über Jahrhunderte hinweg Unmengen Holz und andere Waren transportiert. In München kamen jährlich durchschnittlich 14.000 Festmeter Brenn-, Bau- und Werkholz an. Das zeigt, wie bedeutungsvoll die Flößerei über Jahrhunderte hinweg für München war. Entlang der Isar lebten Flößerfamilien, die das traditionelle Handwerk des Floßbaus und die Kunst, ein Floß zu steuern und sicher durch Stromschnellen, Wehre und andere Gefahrenstellen zu flößen, über Generationen hinweg weitergaben und ausübten. Handwerkliches Geschick, viel Wissen über das Material Holz und auch eine gute Portion Mut, muss einer mitbringen, der Flößer wird. Heute noch dienen als Ruderschlaufe zusammengedrehte Zweige – Wiede nennt man einen solchen "Naturdraht". Wehe dem Flößer, dessen Wieden nicht halten und das Floß auf der reißenden Isar sein Steuer verliert!
In Bayern war das Handwerk der Flößer schon früh in Zünften organisiert und die Flößerfamilien waren eine wichtige Berufsgruppe für Handwerk und Handel. Geflößtes Holz wurde als ein sehr hochwertiges Holz gehandelt und Flößer hatten mitunter ein gutes Auskommen. Erst als Schienennetz und Straßennetz ausgebaut wurden und die Güter über den Landweg in großen Lkws schnell zu ihrem Ziel gelangten, erlitt die Flößerei Ende des 19.Jahrhunderts ihren Untergang. Was sich aber hielt: Die Tourismus- und Vergnügungsbranche bedient sich immer noch der Flößerei. Eine völlig neue Erfindung war das aber nicht, denn dass Ausflügler auf Flöße stiegen, um genussreich über die Isar zu fahren, das gab es schon Ende des 19. Jahrhunderts.
Ein Münchner Flößermuseum
Wenn man bedenkt, dass die Flößerei ein so altes Handwerk ist, welches sogar schon im Alten Testament Erwähnung findet und dass es München als florierende Metropole so nicht gäbe, wenn es nicht die Isar-Flößerei gegeben hätte, kann man durchaus die Frage stellen, warum es in der Stadt kein eigenes Museum gibt, in dem an diese alte Tradition erinnert wird. Der Flößer-Kulturverein München-Thalkirchen e.V. will das ändern. Die Mitglieder des Vereins haben sich zum Ziel gesetzt, für dieses stadtgeschichtliche Thema ein eigenes Museum zu errichten. Noch sind sie auf der Suche nach geeigneten Räumen. Natürlich wäre ein Standort mit Blick auf die Isar ideal!
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