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"Es gibt Menschen, die haben nichts"

Sozialbetreuer Albert Osei-Wusu von der Inneren Mission verabschiedet sich in den Ruhestand

Es war ein emotionaler Tag: Fast 22 Jahre arbeitete Albert Osei-Wusu als Sozialbetreuer der Inneren Mission und kümmerte sich um die Flüchtlinge in der Unterkunft Baierbrunner Straße. Jetzt wurde der gebürtige Ghanaer in den Ruhestand verabschiedet. Über seine Arbeit und seine Pläne sprach er mit dem Wochenanzeiger.

Es flossen Tränen

Tag 1 der Rente. Es ist 10 Uhr, Albert Osei-Wusu sitzt auf einem Hocker in seinem Wohnzimmer und meditiert, den Blick auf einen kleinen Altar gerichtet. Albert Osei-Wusu ist Buddhist. Neben ihm kniet seine Frau. Als das Ritual beendet ist, serviert er schwarzen Tee. Auf dem Wohnzimmertisch stehen drei Blumensträuße, das Telefon liegt griffbereit daneben. Er habe, sagt er, das mit der Rente lange verdrängt. "Eigentlich bis zum Schluss, bis gestern, als es dann so weit war." Die Kollegen hätten eine Abschiedsfeier für ihn gemacht. "Es gab Ansprachen und es sind auch ein paar Tränen geflossen. Und heute habe ich mir überlegt, ob ich aufstehen soll oder nicht", sagt er und lacht. Normalerweise sei er immer um 5.30 Uhr aufgestanden. "Heute bin ich auch früh aufgestanden, aber ich habe mich wieder hingelegt. Bis 9 Uhr." Albert Osei-Wusu hat jetzt Zeit. Eigentlich. Doch das Telefon klingelt oft. Er ist ein gefragter Mann. "Ich rufe zurück", sagt er jedesmal. Irgendwann liegt noch ein zweites Telefon auf dem Tisch.

"Ich glaube nicht an Zufälle"

Geboren wurde Albert Osei-Wusu 1948 in Denchemouso, einem kleinen Dorf in Ghana. "Ich habe in meiner Heimat als Lehrer gearbeitet und eine Grundschule geleitet", sagt er. 1975 kam er im Rahmen eines Austauschprogrammes nach England. Eigentlich sollte er nur ein Jahr bleiben. Doch der Aufenthalt dauerte dann sechs Jahre länger. Albert Osei-Wusu studierte Wirtschaft und entschloss sich, nach München zu gehen. "Ich habe Deutsch gelernt und fast neun Jahre in einem medizinischem Labor gearbeitet", sagt er. Gleichzeitig habe er sich ehrenamtlich um ausländische Studenten gekümmert. Albert Osei-Wusu zeigte ihnen wie das ist mit den Ämtern in Deutschland, half ihnen über die ersten Hindernisse im fremden Land hinweg. So entstand der Kontakt zur Inneren Mission. "Ich wurde gefragt, ob ich nicht dort arbeiten möchte. Das war 1992."  Für Albert Osei-Wusu schloss sich hier ein Kreis. "Die Arbeit in dem Labor war nicht leicht. Es ging hier auch um Tierversuche. Ich habe das so gesehen, dass ich die Tiere ein Stück begleitet habe", meint er. "Dann habe ich die Menschen begleitet, die so dringend Hilfe brauchten. Ich bin Buddhist und im Buddhismus glaubt man nicht an Zufälle."

"Wir sind keine Machthaber"

1992 befand sich die Verwaltung der Inneren Mission noch in der Flüchtlingsunterkunft Untersbergstraße, ehe sie in die Boschetsrieder Straße umzog. Osei-Wusu war Ansprechpartner für Flüchtlinge und Asylbewerber. Für Gestrandete, die, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, nur mit einem Fünkchen Hoffnung auf ein besseres Leben im Gepäck in München angekommen waren. "Als ich dort anfing, gab es es gerade eine große Flüchtlingswelle aus Afrika", erinnert sich der 65-Jährige. "Sie sind geflohen vor Machthabern in ihrem Land und standen nun vor Menschen, die ihnen Fragen stellten. Wir mussten ihnen erst einmal klar machen, dass wir keine Machthaber sind, sondern dass wir sie begleiten und ihnen helfen." Dieses Eis zu brechen, sei oftmals schwierig gewesen.

"Manche haben ein großes Herz"

Die Reaktionen aus der Bevölkerung auf die Flüchtlinge seien unterschiedlich. "Es gibt Menschen", sagt Osei-Wusu und macht eine ausladende Handbewegung, "die haben ein großes Herz. Sie unterstützen uns mit Spenden oder geben ehrenamtlich Deutschunterricht." Und dann gebe es diejenigen, die die Asylbewerber beschimpften. Einige seien zusammengeschlagen worden. "Die Regierung ist hier gefordert. Sie muss Aufklärungsarbeit machen, denn die Leute handeln aus Angst so", ist Osei-Wusu überzeugt. Der 65-Jährige spricht ruhig über diese Dinge, ohne Aufregung, aber mit Bestimmtheit. "Man muss den Menschen hier klar machen, dass die Flüchtlinge wirklich in Not sind, dass sie uns nicht unseren Wohlstand wegnehmen wollen. Wir haben hier genug. Aber es gibt Menschen, die haben nichts."

Mit Blick auf die Flüchtlingsdramen vor der italienischen Insel Lampedusa wirkt Osei-Wusu resigniert: "Es wird im Moment viel darüber geredet, aber dann ist es wieder vergessen. Wir haben jetzt ungefähr 300 Tote gesehen. Aber in den letzten 20 Jahren waren es Tausende. Wie will die EU hier handeln? Das ist die Frage."

Nicht mit leeren Händen zurück

Gehandelt hat Albert Osei-Wusu vor 20 Jahren, als er mit Freunden den Deutsch-Ghanaischen Freundeskreis gründete. "Damals hatte sich ein junger Mann aus Ghana in Deutschland umgebracht, weil sein Asylantrag abgelehnt wurde", erklärt er. "Er wollte seinen Kindern in Ghana ein besseres Leben bieten. Doch mit diesen leeren Händen konnte er nicht zurück. Ich habe mir damals gesagt, ich will versuchen, etwas in meiner Heimat zu machen." In Denchemouso baute der Verein ein Ausbildungszentrum auf, in dem sich Mädchen und Jungen zum Schneider oder Schreiner ausbilden lassen können. "Wir haben mit acht Nähmaschinen angefangen", erinnert er sich. Möglich sei dies nichtzuletzt durch die finanzielle Unterstützung des Michaeli-Gymnasiums gewesen.

"Die Sicht der Dinge ändert sich"

Seit einigen Jahren bietet der Verein auch jungen Menschen aus Deutschland die Möglichkeit, ein Praktikum in Ghana zu absolvieren. "Das wird sehr gut angenommen. So ein Praktikum ändert die Sicht der Dinge", sagt Osei-Wusu. Für diesen Verein wird der 65-Jährige natürlich auch als Rentner weiterhin aktiv bleiben. Zudem sei er von der Inneren Mission schon angefragt worden, ob er nicht ehrenamtlich für einige Stunden mithelfen wolle. Natürlich will er. Auch im Konsulat von Ghana hat man durchaus Interesse an seiner Mitarbeit. Und dann möchte er auch noch etwas machen, wofür er bisher kaum Zeit hatte: Schreiben. "Ich schreibe gerne Gedichte. Darauf werde ich mich konzentrieren. Aber jetzt muss ich mich erst einmal sortieren", sagt er. Und lacht.

Weitere Informationen über den Deutsch-Ghanaischen Freundeskreis gibt es im Internet unter www.dtghf.de.

Geldspenden für den Freundeskreis sind möglich auf das Konto der Bank für Sozialwirtschaft, Kontonummer 8878300, BLZ 700 205 00.


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