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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Eine grenzenlose Nachverdichtung ist keine Lösung"
MdL Michael Piazolo verlangt Ansätze, an denen sich auch der Freistaat beteiligt
Münchens Hauptproblem: Es fehlen Wohnungen. Was will MdL Michael Piazolo (Freie Wähler) dagegen tun? Johannes Beetz sprach mit ihm darüber.
"Es sind Fehler gemacht worden"
Die Zahlen neuer Wohnungen halten mit dem wachsenden Bedarf nicht Schritt. Haben wir in der Vergangenheit das Problem verschlafen? Wie können wir jetzt zügig gegensteuern?
Michael Piazolo: Die Fehler sind tatsächlich in den vergangenen 20 bis 30 Jahren gemacht worden. Entscheidend war, dass alle politischen Ebenen angefangen von der Stadtregierung in München über das Land Bayern bis zum Bund vor knapp 30 Jahren das soziale Thema bezahlbares Wohnen aus dem Auge verloren und dem freien Markt übergeben haben. Aus heutiger Sicht war diese Entscheidung, dem Privatisierungsdruck nachzugeben und rein dem Markt zu vertrauen, fatal. Für mich hätte insbesondere die Landespolitik die ordnungspolitischen Fäden beim Wohnungsbau und das Ziel möglichst viel Wohnraum in öffentlicher Hand und für die Bürger bereit zu halten, nie aus der Hand geben dürfen. Es gibt im Sinne der kommunalen Daseinsvorsorge und unseres Sozialstaates eben Bereiche in der Gesellschaft, für die wir gemeinsam zuständig sind. Neben der Wasser-, Energie- und Gesundheitsversorgung und der Infrastruktur ist das für mich auch das bezahlbare Wohnen. In der Bayerischen Verfassung ist in Artikel 106 nicht umsonst das Recht auf eine angemessene Wohnung und die Förderung von billigem (bezahlbarem) Wohnraum verankert. Das hat vor allem unsere Landesregierung in den vergangenen Jahrzehnten teils wissentlich vernachlässigt.
Durch diese großen Versäumnisse und auch die Entwicklungen auf dem Markt in den vergangenen zehn Jahren, in denen der Wohnraum als Betongold und Grundstücke zu den rentabelsten und sichersten Anlageformen gehören, ist es natürlich äußerst schwierig, nachzusteuern. Stadt und Land haben zu wenige eigene Grundstücke, um den hohen Preisen in München effektiv entgegenzuwirken. Im Prinzip kann nur über das Baurecht, über einen veränderten Mietspiegel, in den auch Bestandswohnungen einfließen, und eine Änderung der Bodenpreise und der Bodenpolitik reagiert werden. Eine Möglichkeit, die uns Freien Wählern vorschwebt, ist auch, den Druck von den Städten zu nehmen und dem Wachstum entgegenzuwirken, indem wir das Arbeiten und Leben auf dem Land deutlich attraktiver gestalten. Mein Stichwort sind dabei die gleichwertigen Lebensverhältnisse in Bayern. Dafür muss der Freistaat tatsächlich tiefer in die Tasche greifen und über eine echte Landesentwicklungsplanung Anreize schaffen. Eine grenzenlose Nachverdichtung und das Motto „Bauen, bauen, bauen“ ist für mich mit Blick auf unsere schöne Stadt München keine Lösung.
"Ich halte Wohnungstauschmodelle für geeignet"
Wer keine bezahlbare Wohnung findet, kann keine Familie gründen und sich auch nicht in München niederlassen, um hier als eine der dringend benötigten Fachkräfte zu arbeiten. Wie sollen junge Leuten und Berufsanfänger Münchner Mieten stemmen?
Michael Piazolo: Ehrlicherweise sind wir im Moment leider in einer Situation, in der für junge Menschen das Glück auf dem Wohnungsmarkt entscheidend ist. Junge Menschen und Familien sind da auch leidensfähig und geben sich mit kleinen Wohnungen zufrieden, das ist ein Trend. Gleichzeitig haben wir in München das Phänomen, dass die Wohnfläche pro Kopf so hoch ist wie nie. Grundsätzlich halte ich daher auch Wohnungstauschmodelle für geeignet, bei denen die Mieten bei einem Mieterwechsel nicht exorbitant ansteigen. Dann könnten alte Menschen, die gerne eine kleinere, bezahlbare Wohnung haben möchten und junge Familien mit einem höheren Wohnraumbedarf tauschen. Es gibt einzelne Vermieter, die dies ermöglichen. Allerdings sollten wir dafür Anreize bieten.
Als Bildungspolitiker liegt mir auch am Herzen, dass das studentische Wohnen und Wohnen für Auszubildende bezahlbar bleibt. Viele Münchner sind als Studenten oder Auszubildende nach München gekommen und waren froh, wenn Sie ein Dach über dem Kopf gefunden haben. Die jüngere Generation sollte diese Möglichkeiten auch haben. Gleichzeitig sollten wir aber dafür sorgen, dass junge Menschen attraktive Ausbildungs- und Arbeitsplätze in ihren Heimatregionen finden und nicht auf Gedeih und Verderb ihr Glück in München suchen müssen. Das erreichen wir mit der Stärkung des ländlichen Raums und anderer Regionen.
"Noch stärker von staatlicher Seite fördern"
Sind „alte“ Modelle wie Werkswohnungen und Genossenschaften ein gangbarer Weg, um den Mangel zu lindern? Wie kann der Freistaat hier eine Kommune wie München unterstützen?
Michael Piazolo: Gerade Genossenschaften bieten eine hervorragende Möglichkeit, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Genossenschaftlicher Wohnraum verbleibt in der Regel langfristig in Händen der Bürger. Aus meiner Sicht müsste das Genossenschaftsmodell daher noch stärker von staatlicher Seite gefördert werden, zumal Wohneigentum für viele Menschen nicht mehr erschwinglich ist.
Grundsätzlich sollten sich auch die großen Unternehmen an der Bereitstellung von günstigem Wohnraum beteiligen. Das Problem haben die Unternehmen sicherlich schon längst erkannt, sind aber meist aus wirtschaftlichen Gründen nicht bereit, hier mitzugestalten. Zu oft ziehen sich große Unternehmen darauf zurück, dass sie ja schon Gewerbesteuer zahlen, Arbeitsplätze schaffen und die Wohnraumfrage eine rein kommunale Aufgabe wäre. Diese ist aus meiner Sicht aber zu kurz gedacht. Im Endeffekt würde ein Unternehmen doch an Ansehen und Attraktivität gewinnen, wenn es Wohnungen für Mitarbeiter anbieten würde.
Eine Kommune wie München sollte mit ihren Wohnbaugesellschaften noch stärker dazu beitragen, die Preise zu deckeln. Der Freistaat Bayern wiederum muss die baurechtlichen Rahmenbedingungen für die Kommunen optimieren und das kommunale Wohnraumförderungsprogramm massiv ausweiten. Auch eigene Anstrengungen im Wohnungsbau für die Mitarbeiter im Staatsdienst sind Aufgabe des Freistaats. Der Verkauf der GBW-Wohnungen war dabei aber so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was die regierende CSU für den überhitzten Markt in München tun sollte.
"Hier gibt es zu viel Konkurrenz"
München wird das Wohnungsproblem nicht alleine lösen können. Wie soll eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land gestaltet sein? Da geht es ja auch um „Folgefragen“ wie Verkehrsinfrastruktur, Schulen, Freizeitmöglichkeiten.
Michael Piazolo: Generell haben wir ein Problem mit dem Konkurrenzdenken zwischen Stadt und Land. Ich finde, wir sollten lieber miteinander die Probleme lösen. München und die Umlandgemeinden und die anschließenden Landkreise sollten daher noch mehr zusammenarbeiten. Der Münchner Wachstumsdruck ist schließlich auch ein Problem für die ganze Region. Die einen leiden unter der Verkehrsbelastung und -zunahme und die anderen unter der extremen Nachfrage nach Wohnraum oder unter beidem. Hier ist ein lösungsorientiertes Miteinander gefragt, das vom Freistaat Bayern mitgesteuert wird.
Aber auch hier gibt es zu viel Konkurrenz zwischen der CSU und der SPD, die die Geschicke von München und Bayern lenken. Daher läuft leider nicht alles optimal und Hand in Hand. Beide Seiten denken für mich zu wenig sach- und lösungsorientiert. Ein Beispiel dafür: In meinem Stimmkreis liegt Harlaching. Hier sind sich Stadt und Land noch uneins, für was und von wem drei Grundstücke in Staats- und Stadteigentum verwendet werden sollen. In der Nähe der Grundstücke ist die räumlich völlig überlastete Grundschule an der Rotbuchenstraße und auch die KiTa-Versorgung im Stadtteil ist unterdurchschnittlich. Gleichzeitig will der Freistaat hier neue Wohnungen bauen, in die wiederum Familien einziehen sollen. Irgendwie ist das widersprüchlich und jeder weiß das. Die Bürger hätten aber gerne zeitnahe Lösungen für die Schul- und die Kitaversorgung. Dennoch verspielen Stadt und Land hier wertvolle Zeit, statt gemeinsam zu handeln. Das darf nicht sein. Hier müssten Stadt und Freistaat eigentlich Hand in Hand arbeiten, auf die Bedürfnisse vor Ort eingehen und im Zweifelsfall Grundstücke tauschen.
Für mich gilt: Die Probleme Münchens können auch landespolitisch nicht wegdiskutiert werden und verlangen nach Lösungsansätzen, an denen sich auch der Freistaat beteiligen muss. Beispielsweise könnte der Freistaat dafür sorgen, dass der Münchner Wachstumsdruck sich mehr auf die Fläche verteilt und nicht alleine auf München und seine Umlandgemeinden. Es gibt schließlich Regionen in Bayern, die hätten gerne Wachstum und weniger Wegzug. Auch das Verkehrsproblem ist eine staatliche Angelegenheit, das die Stadt nicht alleine lösen kann. Für die Ertüchtigung des ÖPNV in München und im Umland und auch für die Schulische Infrastruktur müsste sich der Freistaat deutlich mehr einbringen. Dies ist eine überfällige Zukunftsinvestition, die auch München nicht alleine stemmen kann.
Kandidat im Stimmkreis 103
Michael Piazolo (Freie Wähler) ist seit 2008 Landtagsabgeordneter. Am 14. Oktober wird der Landtag neu gewählt. Piazolo tritt als Direktkandidat wieder im Stimmkreis 103 Giesing an. Dazu gehören Sendling, Thalkirchen, Obersendling, Solln sowie die Hälfte von Forstenried und Fürstenried, Obergiesing-Fasanengarten und der Großteil von Untergiesing-Harlaching.
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