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Die Kulturschmiede wird sündig

Ausstellung zu den sieben Hauptsünden

Berit Opelt, Geiz. (Bild: Berit Opelt )

Nach entbehrungsreichen Monaten findet bis 25. Juli jeweils dienstags und donnerstags von 18 bis 21 Uhr wieder ein Programm in der Sendlinger Kulturschmiede (Daiserstraße 22) statt: Die „Wochen der Sünde“ sind den sieben Hauptsünden gewidmet: dem Hochmut, der Habgier, dem Neid, dem Geiz, dem Zorn, der Wollust, der Völlerei. Das Programm – von Liz Walinski mit Cyanotypien (historische Fotografie), Berit Opelt mit „Portraits“ der sieben Todsünden, Manuela Müller mit Rauminstallation, Audio- und Videoaufnahmen und Fred Krüger mit „Sündenböcken“ – führt knapp vorbei am Fegfeuer ins Hier und Jetzt. Die Künstler zeigen auf, wie die Sünde als Macht- und Disziplinierungsinstrument aller Religionen erscheint und menschliches Fehlverhalten bewertet.

Was ist Sünde?

Sind Sünden nur ein Machtinstrument der katholischen Kirche, um die Schäfchen vergangener Jahrhunderte an die Kandare zu nehmen? Tatsächlich sind die Sünden kein nur christlich konnotierter Begriff. Auch das Judentum, der Islam, nahezu alle Religionen beschäftigen sich mit diesen menschlichen Fehlverhalten. Ohne dass damit unbedingt eine theologische Aussage impliziert wird, verstehen wir umgangssprachlich unter Sünde oft eine Handlung, die als verwerflich angesehen wird.

Der Zeitgeist suggeriert oft Anderes, z.B. mit dem Slogan "Geiz ist geil". Der englische Psychologe Simon Leham behauptet "die Sünden könnten uns klug, erfolgreich und glücklich machen". Sünde kommt im Gewand gesteigerten Lebens daher, sie verspricht mehr vom Leben. Gemeinhin bekannt sind die sieben Hauptsünden, Verhaltensweisen die noch nicht als "Todsünden" zu bezeichnen sind, sondern zunächst Haltungen darstellen, die letztlich lebensunfähig machen und im Absturz enden können.

Jede Woche Zusatzprogramm

Jede Woche der Ausstellung wird eine der sieben Sünden behandelt. Die Ausstellung wird von diversen Vorträgen sowie Beiträgen von KünstlerInnen anderer Sparten begleitet, die sich sprachlich, musikalisch, perfor- mativ zum Thema äußern. In der Woche zu Habsucht / Geiz gibt es am Dienstag, 22. Juni, eine Performance mit Text von Verena Rendtoff und am Donnerstag 24. Juni, sind die Künster in der Ausstellung anwesend (jeweils ab 18 Uhr).

Wenn es die dann aktuellen Corona-Bestimmungen erlauben, werden diese Arbeiten jeweils in der thematisch entsprechenden Woche live in der Ausstellung zu erleben sein, sonst als Video- bzw. Audio- Aufnahmen. Darüberhinaus ist geplant, sie online verfügbar zu halten.

Aus der Zeit gefallen?

Manuela Müller erklärt ihre Arbeiten:

Meine Rauminstallationen werden sich mit den "Sieben Todsünden" im Kontext unserer Gegenwart ganz unabhängig von Glaubensfragen und kirchlichen Zusammenhängen beschäftigen. Die Bezeichnung "Sünde" erscheint oft aus der Zeit gefallen, obgleich diese "falschen" Lebensweisen in unserer heutigen Gesellschaft durchaus auf Widerstand, Abscheu und Ablehnung stoßen und zu Ausgrenzung oder Stigmatisierung führen können. Andererseits haben sie sich teilweise gleichsam zu einer Art Tugenden verkehrt. Die Abwehr und auf der anderen Seite die Überhöhung bis hin zur Verehrung interessieren mich.

Seelische Spannungen darunter

Die Todsünden taugen dazu, auch das Verhalten zeitgenössischer Menschen zu reflektieren, findet Liz Walinski:

Sie visualisiert die Merkmale der „Schwächen“. Die sieben Todsünden wurden vor der Kamera mit der Schauspielerin Maria Maschenka inszeniert. Auf den Abbildungen sind die Merkmale der negativen Leidenschaften in Gesichtszügen und Affektstudien eingeschrieben, deren Mimik, Posen und Verrenkungen die den Sünden zugrunde liegenden seelischen Spannungen zum Ausdruck bringen. Belichtet wurden die Lasterpersonifikationen als Cyanotypien mit den Methoden und der Ästhetik der historischen Fotografie, mit selbst hergestellten Chemikalien und ohne Dunkelkammer bei Sonnenlicht. Um die Anschaulichkeit des Lasters als verwerfliche Handlung zu unterstreichen, wird das Negativ zum Positiv und damit Mittel zum Zweck.

Todsünden als Porträts

Der Sündenbegriff hat eine sehr große Relevanz in unserer Gesellschaft. Davon ist Berit Opelt überzeugt:

Habgier, Neid oder Völlerei (in Form von Konsumismus) sind u.a. Triebfedern des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Die Gier nach Aufmerksamkeit, Reichtum, Macht, Zugehörigkeit: Die Anzahl der Follower ist allen Ernstes ein wichtiges Kriterium für viele. Es gibt unzählige weitere Beispiele. Tatsächlich funktioniert das Leben nicht ohne Sünde, das Heilsame braucht das Unheil als fördernde Kraft.

Berit Opelt hat die Todsünden in ihre Serie "Köpfe", integriert. Hier liegt der Fokus nicht auf der Wiedergabe optisch wahrnehmbarer barer Gesichtsformen. Auf Weniges ist der Gesichtsausdruck reduziert: Weniges, das alles zum Ausdruck bringt.

Auf der Drehscheibe

Wie in Peepshows der Rotlichtviertel präsentieren sich die Figuren von Fred Krueger:

Auf einer Drehscheibe zeigt er seine "Sündenböcke". Zu jeder Sünde dreht sich pro Woche ein bemalter Holz- korpus, zusammengefügt aus mehreren Einzelbildern. Der Betrachter ist hier zum einen Betroffener, denn ist er nicht auch Sünder? Zum anderen kann er die Sünde aus der Rolle des Voyeurs betrachten. Auch ist in der Ausstellung der Bronzeguss "SinTarte" zu sehen.

Das Maß aller Dinge selber sein?

In einem apostolischen Schreiben 1984 erklärte Papst Johannes Paul II. den Begriff Todsünde:

"Mit der ganzen Tradition der Kirche nennen wir denjenigen Akt eine Todsünde, durch den ein Mensch bewußt und frei Gott und sein Gesetz sowie den Bund der Liebe, den dieser ihm anbietet, zurückweist, indem er es vorzieht, sich sich selbst zuzuwenden oder irgendeiner ... Sache, die im Widerspruch zum göttlichen Willen steht." Todsünde sei, fügte er hinzu, "wenn sich der Mensch bewußt und frei aus irgendeinem Grunde für etwas entscheidet, was in schwerwiegender Weise der Ordnung widerspricht."

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