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„Da muss noch mehr getan werden“

Lassen sich die Generationen gegeneinander ausspielen?

"Das Zusammenführen der Generationen ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe", findet Bürgermeister Josef Schmid. "Es passiert schon sehr viel und hier müssen wir weitermachen! Dann bekommen wir das auch hin.“ (Bild: Colourbox.com)

Es war einmal ...

Eine hinterlistige Ziege bringt Vater und Söhne auseinander. Erst als sie ihre Probleme überwinden und wieder aufeinander zugehen, können sie die Früchte ihrer Fähigkeiten und das Füllhorn ihrer Talente im Überfluss genießen.

Tischlein deck dich erzählt vom sich lohnenden Miteinander der Generationen.

 

Altersarmut, Rente, demographischer Wandel: ein Zusammenhalten der Generationen scheint unabdingbar. Doch wie genau sieht es damit in der heutigen Zeit eigentlich aus? Und gibt es ihn noch: den Generationenvertrag, der zwar von keinem eigenhändig unterzeichnet wurde, und dennoch für alle gilt? „Der Generationenvertrag ist kein juristisch definiertes Vertragswerk“, betont Ulrike Mascher, die Präsidentin des Sozialverbandes VdK Deutschland. „Die Rentenversicherung beruht darauf, dass die Jüngeren Beiträge einzahlen, die für die Rentenzahlungen verwendet werden. Deshalb ist es wichtig, dass die jungen Menschen eine gute Ausbildung haben und einen Job finden, denn sonst funktioniert der Generationenvertrag nicht.“

Der Generationenvertrag sei nach dem Krieg ein bevorzugtes Mittel gewesen, „weil er durch das Umlagesystem sofort funktioniert hat“, erklärt Münchens Zweiter Bürgermeister, Josef Schmid. „Andere Verfahren brauchen immer eine gewisse Ansparphase. In den letzen Jahrzehnten sind diese Umlagesysteme sehr in die Kritik geraten. Deshalb gab es Befürworter für ein kapitalgedecktes System. Doch was sehen wir seit einigen Jahren? In einer Niedrigzinsphase ist das nicht besser.“ Aus seiner Sicht sei es deshalb richtig, den Generationenvertrag beizubehalten und ergänzende Elemente mit anzufügen, mit denen man etwa privat vorsorgt.

Gabriele Fegbeutel definiert den Generationenvertrag noch etwas weiter: „Die jetzige Generation soll dafür sorgen, dass die nachrückende Generation die gleichen oder ähnliche Bedingungen vorfindet, wie wir sie jetzt haben“, sagt die Mitarbeiterin im Alten- und Service-Zentrum (ASZ) Sendling-Westpark „Das umfasst unter anderem wirtschaftliche Ressourcen, Ausbildung und Umwelt. Wenn man es unter diesem Standpunkt sieht, wird es aber richtig eng – egal, ob Umwelt, Altersvorsorge, Altersarmut oder Ausbildungschancen.“ In ihrer Generation sei Bildung für alle sowie eine gute Ausbildung das höchste Gut gewesen, betont die 53-Jährige. „Wenn man schaut, was daraus geworden ist, dann sehe ich das mit großer Sorge.“

„Wer ist denn 45 Jahre im Berufsleben?“

Das findet auch Daniela Stenzel: „Bedenklich finde ich es vor allem für die jungen Leute, die mit 15 Jahren von der Mittelschule gehen. Sie haben doch im Grunde überhaupt keine Perspektive. Die Mittelschule bedeutet zwar nicht das Ende, es fehlt aber der Anreiz.“ Zudem sei es schwierig, bei der Rente die Vorgabe zu erfüllen. „So wie es geplant ist, soll 45 Jahre in die Rente einbezahlt werden. Aber wer bitteschön ist denn 45 Jahre im Berufsleben?“, fragt sich die Leserin der Münchner Wochenanzeiger. Was sie aber am meisten störe, seien die befristeten Arbeitsverträge. „Damit können Arbeitnehmer im Grunde nicht mal mehr eine Familie gründen, weil sie nach einem Jahr nicht wissen, wie es weitergeht.“

Eine ähnliche Sorge treibt Gabriele Fegbeutel um. „Deutschland ist Niedriglohnland Nummer eins. Mindestlohn und Niedriglöhne versetzten die Leute nicht in die Lage, privat vorzusorgen.“ Dies bekomme sie auch bei ihren jüngeren Kollegen mit. „In einer Stadt wie München ist es für einige Berufsgruppen nicht mehr möglich, sich eine eigene Immobilie zu kaufen. Flankierend privat vorzusorgen wird doch durch die Veränderung in der Arbeitswelt torpediert.“ Ihrer Meinung nach müsse sich bei der Rentenversicherung grundlegend etwas ändern. „Unser System kennt den Vollzeitarbeiter, sprich den klassischen Familienvater. Der Mann arbeitet, die Frau ist zu Hause bei den Kindern. Mittlerweile sind die Frauen gut ausgebildet und sobald sie Teilzeit arbeiten, wird es schwierig für sie bei der Rentenversicherung.“ Ähnlich schätzt dies Ulrike Mascher ein: „Die Frage ist, wie gelingt es, dass beide erwerbstätig sein können mit einer Arbeitszeit, die noch andere Dinge wie Kindererziehung oder Pflege ermöglicht? Da muss noch mehr getan werden.“

„Differenzierte Entwicklungen“

Aus Sicht von Josef Schmid betrifft dies aber nicht alle Menschen. „Das Problem ist, dass es differenzierte Entwicklungen gibt“, so der Bürgermeister. „Befristete Arbeitsverträge sind zu Recht in der Kritik. Es ist auch zu Recht in der Kritik, dass junge Leute von vielen renommierten Firmen erstmal nur mit Praktikumsverträgen ausgestattet werden. Das gefällt mir nicht. Global gesehen haben wir auf dem Arbeitsmarkt aber immer mehr qualifizierte Frauen.“ Sorge bereitet ihm nach eigenen Angaben vielmehr, dass immer mehr Senioren auf eine aufzahlende Grundsicherung, sprich Sozialhilfe, angewiesen seien. „Mittlerweile sind wir in München bei knapp 15.000 Personen“, erklärt der CSU-Politiker. „Und es werden immer mehr.“ Für den 47-Jährigen ist dies, wie er sagt, die Rache der Vergangenheit. „Es zeigt uns umso mehr, dass junge Menschen in der heutigen Zeit, gut ausgebildet sein müssen.“ Und an Arbeit mangele es in München nicht. “Wir haben im vergangenen Jahr 25.000 neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse aufgebaut – soviel wie nie zuvor. Wir reden hier von guten Jobs. Es werden zudem jedes Jahr knapp 2.000 qualifizierte Ausbildungsstellen nicht besetzt.“

„Sicherheit finden“

Generationengerechtigkeit kann nur dann funktionieren, wenn die einzelnen Generationen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Katrin Pischetsrieder von Feierwerk e.V. sieht diese Gefahr eher nicht. „Das nimmt die jüngere Generation so nicht wahr“, sagt die Leiterin der „Funkstation“, einer neuen Einrichtung für Kinder, Jugendliche und Familien im Domagkpark, die im Oktober eröffnet wird. „Die Jugendlichen haben vielmehr mit der Volatilität zu kämpfen. Sie müssen schauen, wie sie überhaupt Sicherheit finden können, um sich gewisse Sachen leisten zu können.“ Die heutige Zeit sei unsicher. „Es dauert oft sehr lange, bis junge Menschen überhaupt in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis kommen. Das hat sich stark verändert und das beschäftigt die Jugendlichen durchaus.“

Josef Schmid sieht auch diese Entwicklung differenziert. „Es gibt nicht die Alten, die alle auf Kosten der Jungen leben, und es ist nicht so, dass die Jungen – völlig ungerechterweise – die Alten finanzieren. Es gibt in einer Gesellschaft unterschiedliche soziale Entwicklungen. Deshalb ist es völlig daneben, wenn eine Generation auf die andere schimpft. Wir werden als Gesellschaft das nur gemeinsam lösen können, so wie es bei allen anderen Fragen auch der Fall ist. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Konsens behalten.“

„Rente ist kein Naturgesetz“

Aus ihrer Arbeit mit den Jugendlichen wisse sie, dass das Thema Rente bei der jüngeren Generation eine Rolle spielt, betont Katrin Pischetsrieder. „Sie fragen sich schon, ob sie überhaupt noch Rente bekommen.“ Gabriele Fegbeutel meint, dass die Rente in ihrer jetzigen Form so nicht weiterbestehen könne. „Da muss man sich etwas überlegen“, findet sie. Ulrike Mascher kann dies nicht nachvollziehen. Natürlich bekomme auch die heutige jüngere Generationen Rente, erklärt die 78-jährige VdK-Chefin. „Die Rentenversicherung ist ein stabiles Instrument. Sie hat den Ersten Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise und den Zweiten Weltkrieg überstanden.“ Aber die Globalisierung, so wirft Gabriele Fegbeutel ein, werde sie vielleicht nicht überstehen, „weil wir gezwungen sind, Leute schlecht zu bezahlen. Zumindest verkaufen das die Arbeitgeber so.“ Gezwungen werde niemand, meint Ulrike Mascher. „Die Rente ist kein Naturgesetz. Dass das Rentenniveau auf 43 Prozent abgesenkt wurde, war eine politische Entscheidung. Wenn wir darauf schauen, was jedes Jahr in Deutschland erwirtschaftet wird, dann stellt sich die Frage, wie dieser große Reichtum verteilt wird.“

„Wertvolle Erfahrung“

Dass sich viele Menschen eine Großstadt wie München im Alter nur noch schwer leisten können, sei sicherlich dem Ballungsraum geschuldet, sagt Gabriele Fegbeutel. „In anderen Gebieten können die Leute mehr mit ihrer Rente anfangen.“ Die Mitarbeiterin des ASZ Sendling-Westpark sieht beim Thema Ballungsraum auch in der Vereinzelung der Stadtbevölkerung ein Problem. „Das macht ein Miteinander der Generation eher schwieriger. Ich arbeite im Seniorenbereich und stelle fest, dass viele ältere Menschen vielleicht eine Einkaufshilfe bräuchten.“ Dies wäre grundsätzlich nicht schwer zu organisieren. Gabriele Fegbeutel hat hier vor allem Kinder und Jugendliche aus der Nachbarschaft im Blick. Aber: „Viele Kinder haben immer weniger Fähigkeiten. Es gibt Zwölfjährige, die noch nie einkaufen waren.“ Auf der anderen Seite erlebe sie aber auch, dass gerade in Schulen einiges passiere. „Wir haben immer wieder Schülerpraktikanten im ASZ. Die Mittelschulen haben zum Beispiel ein Projekt mit dem Namen ‚Verantwortung‘. Das sind pro Woche eineinhalb Stunden, die die Schüler bei uns verbringen. Ich setze sie dann gerne dafür ein, mit Senioren spazieren oder einkaufen zu gehen. Das ist eine wertvolle Erfahrung für die jungen Menschen.“

Katrin Pischetsrieder ist der Meinung, „dass es genügend Kinder und Jugendliche gibt, die ausreichende Lebenskompetenzen haben. Ich sehe es als unsere Aufgabe, so etwas anzustoßen.“ Dafür brauche es aber Ressourcen. „Dazu kommt, dass die Generationen nicht übereinander urteilen, sondern sich mit Empathie begegnen.“ Für viele jungen Menschen sei zudem die Familie wieder ein sehr wichtiger Wert, „obwohl sie vielleicht Angst vor der Zukunft haben. Das ist ein Signal dafür, dass viel richtig gemacht wurde.“

Jede Generation habe ihre eigenen Herausforderungen, die sie bewältigen müsse. Dies sei schon immer so gewesen, betont Josef Schmid. „Zudem kann man als Jüngerer immer von den Älteren lernen – nämlich an Erfahrung. Das Zusammenführen der Generationen müssen wir organisieren. Das ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Es passiert schon sehr viel und hier müssen wir weitermachen. Dann bekommen wir das auch hin.“

 

 

Eine märchenhafte Frage

Besitzen Sie ein Märchenbuch? Unsere Gäste antworteten:

Gabriele Fegbeutel: "Ich habe einige Märchenbücher, weil ich glaube, ohne Märchen geht es nicht. In den Märchen der Gebrüder Grimm steckt eigentlich alles drin. Mein Lieblingsmärchen, auch wenn es kein richtiges Märchen ist, ist Robin Hood."

Ulrike Mascher: "Ich habe ein wunderbares dickes Grimms-Märchenbuch und andere Bücher mit märchenhaften Geschichten. Ich habe bei Grimm nun wieder im Märchenbuch geblättert und bin auf das Märchen „Der alte Großvater und der Enkel“ gestoßen. Das finde ich, passt gut zu unserem Thema."

Katrin Pischetsrieder: "Bei mir im Bücherregal stehen keine klassischen Märchenbücher der Geschwister Grimm oder von Hans Christian Andersen, aber sehr viele märchenhafte Bücher. Ich erinnere mich aber daran, dass ich früher von meinen Eltern sehr viele Märchen erzählt bekommen habe. Das empfinde ich als sehr wertvoll und es verbindet einen auch miteinander."

Josef Schmid: "Wir haben viele Märchenbücher wegen unserer Kinder, auch wenn sie jetzt mit acht und elf Jahren keine Märchen mehr lesen. Ich selbst habe mir kürzlich 'Die Unendliche Geschichte' nachgekauft und wieder gelesen."

Daniela Stenzel: "Ich habe mehrere Märchenbücher und ich finde es sehr wichtig, dass sie im Bücherregal vorhanden sind. Meine Eltern hatten früher Schallplattensammlungen mit Märchen, die ich mir als Kind solange angehört hatte, bis ich mitsprechen konnte. Mein Lieblingsmärchen ist Aschenputtel, weil es nicht traurig ist, sondern ein gutes Ende hat."

 

 

Unsere Gäste

Bei unserem Sommergespräch diskutierten:

Gabriele Fegbeutel (Alten- und Service-Zentrum Sendling-Westpark)

Ulrike Mascher (Präsidentin VdK Deutschland)

Katrin Pischetsrieder (Leiterin Funkstation, Feierwerk e.V.)

Josef Schmid (Zweiter Bürgermeister München)

Daniela Stenzel (Leserin)

 

Was denken Sie?

Welche Meinung vertreten Sie? Diskutieren Sie mit! Schreiben Sie uns: Münchner Wochenanzeiger, Redaktion, Fürstenrieder Str. 5-9, 80687 München, leser@muenchenweit.de. Wir veröffentlichen Ihren Standpunkt (nur mit Ihrem Namen).

Unsere Sommergespräche

Alle unsere Sommermärchen finden Sie online hier: www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2506).


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