Bohren nach dem blauen Gold
Geothermie-Anlage auf dem Gelände des Heizkraftwerks-Süd soll 2020 in Betrieb gehen
Seismik-Fahrzeuge helfen Thermalwasser unter der Erde aufzufinden: In Kolonnen geben die Fahrzeuge Schallwellen im Hochfrequenzbereich an die Erde ab. Spezielle Mikrophone registrieren die Schallwellen, die von den unterschiedlichen Bodenschichten zurückgegeben werden. Mit den gewonnenen Daten kann anschließend die Beschaffenheit des Bodens mit seinen verschiedenen Schichten errechnet werden. (Foto: SWM / Marcus Schlaf)
Ein Leben ohne Heizung und Warmwasser – das ist für die meisten Münchner wohl unvorstellbar. Denn das kostbare Nass gehört in jedes Zuhause: Hahn aufdrehen und schon kann gebadet, geputzt oder gekocht werden. Doch umso selbstverständlicher der Münchener seinen Wasserhahn aufdreht, umso weniger macht er sich vielleicht Gedanken, woher das warme Wasser kommt.
Dabei zählt Münchens Fernwärmenetz mit seinen insgesamt 800 Kilometern mit zu den größten in ganz Europa. Derzeit wird in der Landeshauptstadt Fernwärme über die Stromerzeugung gewonnen. Und in naher Zukunft will München seine Fernwärme aus der Tiefe unter der Stadt beziehen. Denn die Stadtwerke München (SWM) planen eine Geothermie-Anlage, die heißes Wasser aus der Erde nutzbar machen soll. Und das bereits ab dem Jahr 2020 und für rund 80.000 Personen mit einer Leistung von rund 50 Megawatt.
Fernwärme der Zukunft
Erdwärme oder thermische Energie ist in Wärme gespeicherte Energie, die unter der Oberfläche zu finden ist. Wasser, das unter der Erdoberfläche vorkommt, ist somit, je tiefer es liegt, zunehmend wärmer. Befördert ein Heizkraftwerk dieses natürlich vorkommende Thermalwasser an die Oberfläche, kann es das heiße Wasser seinem Fernwärmenetz zuführen. Anschließend wird das kältere Wasser wieder unter die Erde zurückgeführt.
Schatz unter München
München hat einen Schatz unter sich: 80 bis 100 Grad Celsius brühheißes blaues Gold. Das Thermalwasser befindet sich in einer Tiefe von rund 2.000 (nördliche Stadtgrenze) bis über 3.000 (südliche Stadtgrenze) Meter unter der Erdoberfläche. Das heiße Wasser lagert in einer Kalkschicht, die Malm genannt wird und soll in der Zukunft seine in Wärme gespeicherte Energie an die Münchener Haushalte abgegeben. "Die Wärme aus diesem Thermalwasser lässt sich optimal zum Heizen nutzen. Hierzu wird das heiße Wasser an die Oberfläche gepumpt und über Wärmetauscher geleitet, wobei ihm die Energie entzogen wird. Das abgekühlte Wasser wird dann wieder in die Tiefe zurückgeführt. Somit ist Erdwärme ein Kreislauf ohne Eingriff in das Ökosystem", so die SWM.
"Bessere Kennwerte als erwartet"
Auf dem Gelände des Heizkraftwerks-Süd (HKW-Süd) wurde mit den Bohrungen auf der neuen Geothermie-Anlage begonnen. Die SWM bestätigten, dass sie bereits eine Tiefe von 2.800 Meter erreicht haben. Die von den Stadtwerken erwartete Temperatur des Thermalwassers von 100 Grad ist erreicht worden. Pumpversuche ergaben, dass 120 Liter heißes Wasser pro Sekunde an die Oberfläche befördert werden können. "Das sind bessere Kennwerte als erwartet. Ende Juli wird die Bohranlage auf den nächsten Bohransatzpunkt umgesetzt, Anfang August beginnen die Arbeiten für die zweite Bohrung", so die SWM. Bis Ende 2019 sollen die noch ausstehenden fünf von den insgesamt sechs geplanten Bohrungen abgeschlossen sein.
Vordringen in die Tiefe
"Ziel ist es, dass Förder- und Injektionsbohrung im Tiefengrundwasserleiter mehr als 1.200 Meter auseinanderliegen. Durch diese Distanz wird verhindert, dass es zum sogenannten hydraulischen Kurzschluss kommt, also dass das in den Untergrund zurückgeleitete, abgekühlte Wasser erneut über die Förderbohrung gehoben wird", erklärt die SWM. Die Bohrungen würden sich sternförmig in eine Tiefe von über 2.800 bis 3.100 Metern vorarbeiten, zuerst etwa 1000 Meter senkrecht unter dem HKW Süd, bevor sie horizontal abgelenkt weiter in die Erde vordringen würden. Dabei liege der Durchmesser des obersten Bohrloches bei etwa 66 Zentimeter im obersten und bei circa 22 Zentimeter im untersten Bohrabschnitt.
Sorgen der Bewohner
Die SWM nehmen mögliche Bedenken der Münchner Bürger sehr ernst, können jedoch entwarnen: "Die von der SWM eingesetzte Methode zur Nutzung der Edrwärme ist sicher. Bei den SWM steht im Fokus die sichere, zuverlässige und klimaschonende Energieversorgung Münchens – das Risiko von Schadensbeben würde die SWM nie in Kauf nehmen." Auch zu unnötigen Lärmbelästigungen während der Bohrungen werde es nicht kommen. Hierzu teilte die SWM mit, dass laufend Messungen durchgeführt würden, um Lärmquellen sofort aufzufinden und zu steuern. Lärmschutzwände, eine besonders leise Bohranlage und eine angepasste Baustellenlogistik zur Lärmvermeidung trügen, so die SWM weiter, zur Lärmvermeidung bei.
Für die Stadtwerke ist die Technologie nicht neu. Seit dem Jahr 2004 betreiben die SWM verschiedene Geothermie-Anlagen rund um München. So z.B. die Geothermie-Anlage in Riem, das Geothermie-Heizwerk in Freiham sowie das Geothermie-Heizkraftwerk in Sauerlach. Im HKW Sauerlach, das Anfang 2013 ans Netz ging, wird aus einer Tiefe von etwa 4.200 Metern 140 Grad heißes Wasser gefördert. Dadurch kann zusätzlich Strom erzeugt werden.
Münchener Fernwärme hat Tradition
Bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts wird in München Abwärme aus der Stromproduktion genutzt: So wurde im Jahr 1908 das Schwabinger Krankenhaus mit der Fernwärme eines nahe gelegenen Kraftwerks beliefert. Seitdem ist das Fernwärmenetz gewachsen und zählt mit über 800 Kilometern Länge zu den größten Europas.
In München gibt es drei Heizkraftwerke der SWM, die mit dieser Art der Wärmeerzeugung rund 35 Prozent der Münchener Haushalte versorgen: Nord, Süd und Freimann. Dabei ist die von den Münchener Kraftwerken produzierte Fernwärme ein Nebenprodukt der Stromerzeugung.
Kraft-Wärme-Kopplung
Vor allem die Heizkraftwerke Nord und Süd arbeiten nach diesem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK): Anfallende Wärme, die bei der Stromerzeugung entsteht, wird genutzt und direkt an das Fernwärmenetz abgegeben. Diese Art der Wärmenutzung sorgt für eine fast 95 prozentige Nutzung der eingesetzten Brennstoffe. Heizkraftwerke, die sich die KWK zunutze machen, haben somit eine bessere CO2-Bilanz als andere Kraftwerke.
Mittelpunkt der Erde
Die Erdkruste, in denen die Bohrungen stattfinden hat eine Dicke von bis zu 40 Kilometer. Der Erdkern liegt bei 6.370 Kilometer – das ist die fast achtfache Strecke (Luftlinie) von Sonthofen in Bayern bis Glücksburg an der Ostsee, oder entspricht in etwa der Entfernung München New York (Luftlinie circa 6.490 Kilometer).
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