Gruß aus der Vergangenheit
Ausgrabung eines frühmittelalterlichen Friedhofs in der Josef-Retzer-Straße
Das rund 1.000 Quadratmeter große Areal an der Josef-Retzer-/Georg-Jais-Straße sollte eigentlich seit Februar mit einem Mehrfamilienhaus mit 20 Wohnungen bebaut werden. Eigentümer ist die Heimstättenbaugenossenschaft Pasing eG, die statt des Wohnungsbaus zunächst einmal auf die Ergebnisse der umfangreichen archäologischen Grabungen auf ihrem Baugrund warten musste.
„Wir wussten schon, dass hier einige archäologische Funde zu erwarten waren“, meinte Eva Riedl-Jahn, nebenamtlicher Vorstand in der Baugenossenschaft. Seit den 20er Jahren waren im Umkreis immer mal wieder menschliche Knochen und Grabbeigaben bei Erdarbeiten aufgetaucht. „Aber diese Funde hier sind wirklich sensationell.“
Sicherlich die Wiege Pasings
Der vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege mit den Ausgrabungen beauftragte Mario Hölzl, Geschäftsführer der Münchner achäologischen Grabungsfirma X-Cavate, rechnete zu Beginn mit zehn bis zwölf Gräbern und fand mehr als 130 Grabstätte aus dem 6. Jahrhundert. „Das hat uns einfach umgehauen“, gab er zu. Das Gebiet zählt damit zu den größten Reihengräberfeldern, die aus dem Frühmittelalter bekannt sind. „Das freigelegte Stück ist allerdings nur ein kleiner Ausschnitt. Wir sind uns sicher, dass es unter den Nachbarstraßen und der Wohnbebauung weitergeht. Schätzungsweise 900 Gräber gehören zum Gräberfeld. Diese lassen wir freilich unberührt.“
Neben den menschlichen Gebeinen bargen die Wissenschaftler auch ein Pferdeskelett, Waffen und Schmuck: Die Überreste eines wertvollen Schwerts, ein Speer, ein Schild und sogar Reitersporen waren darunter, dazu insgesamt 344 verschiedene Perlen aus Bernstein und buntem Glas. Ein Grab war mit einem Armreif, einem Messer und sogar einem Kamm ausgestattet. Im Grab eines kleinen Mädchens fanden die Wissenschaftler eine kunstvoll verzierte, bunte Kette und nannten das Mädchen daraufhin „die Prinzessin“.
Multi-Kulti im Mittelalter
Denkbar ist, dass sie bei den Ausgrabungen sogar die Überreste des Pasinger Gründervaters "Paoso" entdeckt haben. Generalkonservator und Leiter des Landesamtes für Denkmalpflege, Mathias Pfeil meinte dazu: „Gut vorstellbar, aber nicht zweifelsfrei klärbar.“ Die Vermutung werde vor allem durch den Kreisgraben erhärtet, der auf einen Grabhügel oder auf ein Fürstengrab hinweise – „vermutlich der Ursprung des spätantiken Pasinger Friedhofs“.
Pfeil nannte die Pasinger Grabstätte "spektakulär". „Wir haben hier eine herausragende Fundstelle für die Bajuwaren-Forschung. Mit Sicherheit ist hier Pasing entstanden. Die zahlreichen Grabbeigaben zeugen außerdem von einem außergewöhnlichen Reichtum Pasings im Frühmittelalter.“
Das ausgegrabene Pferdeskelett kenne man allerdings nicht aus Bayern, es sei eher eine typische Bestattungsmethode für den thüringischen oder alemannischen Raum, ergänzte Hölzl. „Dort wurden Ross und Reiter gemeinsam begraben.“ Er wertete dies als Beleg dafür, dass sich die Bajuwaren aus verschiedensten Stammessplittern, wie Germanen und Römern, formiert haben. „Das muss man sich wie eine Art Multi-Kulti im Mittelalter vorstellen“, so Hölzl begeistert, „ein Schmelztiegel für die Entstehen einer neuen Gesellschaft!“
Jetzt beginnt der Alltag!
Die Leute seien friedlich gestorben, erklärte Anthropologin Kristin von Heyking von der Firma AnthroArch GbR. „Die Knochen weisen kaum Brüche oder schwere Verletzungen auf.“ Bei den Ausgrabungen bestimmen die Anthropologen Geschlecht, Alter und Krankheiten und untersuchen die Lebensumstände. Die Restauratoren im Grabungsteam wiederum reinigen und konservieren die Funde. Wohin die kostbaren Stücke nun kommen und welcher Ausstellung oder welchem Museum sie zugeführt werden, sei noch nicht endgültig geklärt, betonte Pfeil abschließend.
„Es war für uns absolut aufregend und spektakulär, den Schauplatz für solch einen Fundes zu bieten“, meinte der Aufsichtsratsvorsitzende der Baugenossenschaft, Stefan Ernstberger. „Wir sind froh, dass die Grabungsstätte so schnell abgewickelt wurde und jetzt wieder Alltag einkehren kann.“ Die extra Kosten für die archäologischen Grabungen bleiben vorerst an der Genossenschaft als Grundeigentümer hängen. „Unser Auftrag lautet, günstigen Wohnraum schaffen. Das gehen wir jetzt wieder an.“ Die 20 Wohnungen im Neubau werden barrierefrei sein. „Erstmalig in unserer Geschichte bauen wir einen Lift ein. Dazu gibt es eine Tiefgarage und Außenanlagen mit Spielplatz und Radlständern. Insgesamt schaffen wir hier ein familienfreundliches Ensemble.“
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