"Ein großer Gewinn für uns"
Übergangsklasse für Sechs- bis Elfjährige in der Grundschule an der Bäckerstraße
Die Übergangsklassen in Grund- und Mittelschulen sind Schulförderung der besonderen Art. Hier lernen Kinder, deren Eltern erst vor kurzem nach Deutschland gekommen sind, teils weil sie aus ihren Heimatländern geflohen sind, teils weil sie hier nach Arbeit suchen oder ganz einfach auch, weil sie von ihren Firmen nach Deutschland versetzt worden sind.
Für die Kinder im Alter von sechs bis sechszehn Jahren steht zunächst einmal das Erlernen der deutschen Sprache ganz oben an, und genau für diese spezielle Sprachförderung wurden Ü-Klassen in manchen Grund- und Mittelschulen eingerichtet. Rechtlich gesehen dürfen die Kinder bis zu zwei Jahren in den Ü-Klassen bleiben. Spätestens danach steht ein Klassenwechsel in Regelklassen an, die ihrem Alter entsprechen.
Von null auf hundert nach Schuljahrstart
Eine dieser Ü-Klassen gibt es seit letztem Oktober in der Grundschule an der Bäckerstraße. Insgesamt 15 Kinder im Alter von sieben bis zehn Jahren aus zehn Ländern haben hier die Möglichkeit, in der deutschen Sprache „anzukommen“ und gleich noch einiges am Grundschulstoff mitzunehmen.
„Wir sind von der Einrichtung einer Ü-Klasse bei uns an der Schule nach Beginn des Schuljahres überrascht worden“, erinnert sich die Rektorin Christine Berchtold. „Damals war das Schuljahr bereits drei Wochen alt. Die Stundenpläne und Raumverteilungen waren erprobt. Viel Platz gab es einfach nicht mehr für die Ü-Klasse. Das war einerseits schade. Andererseits sind wir durch die ständigen Improvisationen im Unterrichtsalltag als Schulfamilie ganz besonders zusammen gewachsen.“
Unterricht mit Händen und Füßen
Auch für die Lehrerin Mirjam Huber kam die Leitung der Klasse überraschend. „Ich war mobile Reserve ohne feste Schule und Klasse. Erfahrungen mit ausländischen Kindern hatte ich noch keine, auch keine Spezialausbildung für Deutsch als Fremdsprache. Doch mich hat die Aufgabe sehr, sehr gereizt, auch wenn ich am Anfang wirklich in eiskaltes Wasser springen musste.“ Denn die Kinder vor ihr konnten überhaupt kein Deutsch und hatten dazu auch sehr unterschiedliche Schulerfahrungen.
„Mein „normales“ Lehrerwissen hat mir dabei erst einmal wenig genützt. Ich habe mich einfach nur gefragt, wie soll das gehen? Das war Unterricht mit Händen und Füßen.“ Sie habe sich daraufhin um Weiterbildungen gekümmert und konnte an der Grundschule am Ravensburger Ring hospitieren, die bereits Erfahrungen mit Ü-Klassen hat. „Das hat mich gerettet!“, meint Huber lachend.
Schöne Projekte
Mittlerweile habe sie viele schöne Projekte mit den Kindern durchgeführt, nutzte den Raummangel positiv, um den Sport- und Matheunterricht gemeinsam mit Regelklassen zu veranstalten und arbeite viel mit Musik und Pantomime. „Im Moment beschäftigen wir uns mit der „Raupe Nimmersatt“, einem Kinderbuch über eine Raupe, die zum Schmetterling wird. In diesem Buch kann ich alles integrieren: Naturanschauung, Wochentage, Zahlenraum bis zehn und natürlich ganz viel Wortschatz.“
Dazu hat Huber eine kleine Voliere für Schmetterlinge organisiert, um mit den Kindern die Verwandlung von der Raupe über die Verpuppung im Kokon bis zum Schmetterling ganz nah zu beobachten. „Toller Unterricht“, meinen dazu die beiden Praktikanten Hannah und Leo aus der nahen Friedrich Oberlin Fachoberschule mit der fachlichen Ausrichtung Sozialwesen, die ein mehrwöchiges Praktikum in der Klasse absolvieren.
Große Hilfe
„Wir durften beim „Einzeltraining“ unterstützen“, erklärt Hannah. „Also, wir haben regelmäßig mit zwei oder drei Kindern Arbeitsblätter ausgefüllt oder gelesen.“ Sie sei begeistert, wie viel die Kinder in kurzer Zeit lernen. „Es macht total viel Spaß“, so auch Leo. „Die Kinder akzeptieren uns und sind echt dankbar für jede Hilfe. Ich finde den Unterricht mit Guten-Morgen-Kreis, der Kinorunde, in der etwas mit Pantomime erklärt wird, und den anderen verschiedenen Weisen, wie Frau Huber Unterricht macht, ganz ungewöhnlich und spannend und kein bisschen langweilig.“
Das Lob bekamen die Praktikanten gerne zurück. „Sie sind eine große Hilfe für mich“, versichert Huber. "Ohne sie könnte ich den Unterricht nicht differenzieren, mich mal ausschließlich auf wenige Kinder konzentrieren, während die anderen das Gelernte vertiefen." Und Rektorin Berchtold meint: „Die Praktikanten bringen sich wunderbar ein. Das ist toll! Überhaupt ist die Ü-Klasse ein großer Gewinn für uns“, so Berchtold weiter. „Die ganze Schulfamilie profitiert von dem Multikulti, den Begegnungen und den Hilfestellungen, die die anderen Kinder geben können. Bei uns ist Integration kein Fremdwort.“
Keine Fortsetzung im nächsten Jahr
Leider steht am Ende des Schuljahres das Aus für die Bäcker-Ü-Klasse. Der Grund, den das Schulreferat nennt: Platzmangel. Dabei hat die Bäckerschule in den letzten Monaten hervorragend bewiesen, wie kreativ sie mit den knappen Raumresourcen umgehen kann. „Wir haben keine Genehmigung, die Klasse fortzuführen“, bedauert Berchtold. „Das ist wirklich jammerschade. Die Ü-Klasse ist uns allen ans Herz gewachsen. Und mit Mirjam Huber haben wir die optimale Lehrerin gefunden. Wir können nur hoffen, dass es vielleicht wieder eine kurzfristige Entscheidung für unsere Ü-Klasse hier gibt. Das würde uns alle sehr, sehr freuen.“
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