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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Ich möchte mein Puzzlestück dazulegen"
Samira Eckmüller über Kunst und Klima, Jung und Alt, Hoffnung und Extravaganz
Samira Eckmüller interessiert sich für extravagante Modekunst und hat schon selbst zwei Kleider designt (ein Kleid aus Zeitungen im Barock-Stil und ein Abendkleid aus Plastik), die zugleich ein politisches Statement transportieren. Das hat die 17-jährige Schülerin am Käthe-Kollwitz-Gymnasium auch bei ihrer W-Seminar-Arbeit getan und als Thema „Politisch-Typografische Auseinandersetzung als Modeperformance“ gewählt.
Das Ergebnis konnten Passanten kürzlich vor Schloss Nymphenburg sehen: Bei ihrer Performance legte Eckmüller den Fokus auf die vier Elemente, die die Welt repräsentieren (W = Wasser, E = Erde, L = Luft und T = Feuer / Temperatur) und die zum Nachdenken über die Probleme anregen sollen, die durch den Menschen entstanden sind. Samira Eckmüller sprach über ihre Kunstaktion mit Johannes Beetz.
"Selbst nachdenken"
Kunst ist vielleicht nicht das, was die Menschen gerade sehr bewegt. Oft ist sie ja auch nicht leicht zu verstehen. Mein Kunstlehrer hat den Zweck von Kunst seinerzeit ganz einfach erklärt: "Kunst macht sichtbar", hat er gesagt. Welches Anliegen möchten Sie - in vier oder fünf Sätze gefasst - sichtbar machen?
Samira Eckmüller: Natürlich will ich auf die Zerstörung der Umwelt und die Probleme, die durch die Menschen entstanden sind, aufmerksam machen. Ich hoffe, dass die Passanten oder Touristen mit ihren Partnern darüber reden. Ich finde es nicht okay, wie wir die Elemente zerstören - zum Beispiel die Erde durch Fraking. Es gibt schon viele Umweltaktivisten. Ich möchte mein Puzzlestück dazulegen, denn die Masse kann einen Unterschied machen. Mit der Farbe auf meinen Objekten möchte ich die positive Seite der Elemente zeigen und den Kontakt zu den Menschen herstellen. Die Fragen auf der Rückseite sprechen die negativen Dinge an, die wir tun. Ich will damit aber keine Vorwürfe erheben, sondern die Menschen sollen selbst nachdenken, wo die Probleme liegen.
"Der Klimawandel wartet nicht"
Sie wollen zum Nachdenken anregen. Nun ist der Alltag voller Dinge, über die wir ständig nachdenken: Familie und Beziehungen, Prüfungen und Arbeit, Corona und jede Menge von Problemen und Herausforderungen. Denken wir wirklich zu wenig nach? Oder sollten wir manchmal auf eine andere Art nachdenken? Oft vergessen wir ja, dass viele Dinge in unserer Gesellschaft wunderbar funktionieren und wir eine zuvor noch nie erreichte Lebensqualität genießen.
Samira Eckmüller: Vieles hat sich schon verändert, aber es bewirkt nicht wirklich viel. Die Gesellschaft müsste sich um 180 Grad drehen. Der Klimawandel wartet nicht: Wenn man jetzt nichts unternimmt, wird es echt schwierig. Viele Menschen realisieren das nicht, denn bei uns bekommt man physisch vom Klimawandel, den Dürren, den Hurrikans anderswo nichts mit. Jedoch haben Hessen und der Osten von Deutschland einen Vorgeschmack durch die große Trockenheit der vergangenen Sommer erlebt. Ich glaube dennoch, es braucht noch mehr Zeit und mehr Anstöße, bis die Leute etwas tun.
Das Nachdenken zu verändern wäre also praktisch. Aber ist das durchführbar? Wir haben ja zum Beispiel Corona als Fakt und trotzdem gibt es Zweifler. Die Regierung müsste alle Fakten auf den Tisch legen und entsprechend handeln. Die Entscheidung sollte sich dabei an der Ökologie orientieren und nicht an der bestehenden Wirtschaftsweise.
"Was hätte man ohne Hoffnung?"
Auch wenn wir in den vergangenen vier Jahrzehnten eine ganze Menge erreicht haben, was Umweltschutz angeht: Zu Recht weisen junge Leute wie FFF darauf hin, dass wir zu wenig gegen Klimawandel und Ressourcenverbrauch tun. Sich einzuschränken ist keine Sache, die Menschen leicht fällt - das fängt ja schon beim Smartphone oder Süßigkeiten an. Wie hoffnungsvoll sehen Sie als junger Mensch in die Zukunft?
Samira Eckmüller: Meine Vision von der Zukunft hat zwei Seiten. Der Mensch trägt eine gewisse Faulheit in sich: Kinder räumen ihr Zimmer nicht auf, Schüler machen ihre Hausaufgaben nicht, im Job schiebt man Aufgaben vor sich her. So werden die Menschen wohl erst handeln, wenn ein enormer Druck auf ihnen lastet. Ich sehe also mit Angst in die Zukunft, denn ich werde mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen haben. Wird die Welt, in der ich einmal lebe, es zum Beispiel noch vertretbar erscheinen lassen, Kinder in die Welt zu setzen?
Aber letztendlich werden die Menschen handeln. Der Mensch ist ein rationales Wesen. Er erkennt, was gegen die Probleme zu tun ist. Wenn wir es jetzt schaffen zu handeln oder es entsprechenden technologischen Fortschritt gibt, dann kann ich mir vorstellen, dass die Zukunft doch nicht so schlimm wird wie es jetzt aussieht. Ich habe also auch Hoffnung. Was hätte man denn ohne Hoffnung?
"Den Enkeln die Fragen erklärt"
Wie haben Passanten auf ihre Kunstaktion reagiert?
Samira Eckmüller: Viele blieben stehen, haben Fotos gemacht und diskutiert. Da war eine ältere Dame mit ihren Enkeln, denen sie die Fragen auf meinen Objekten vorgelesen und erklärt hat. Das fand ich sehr süß. Die Älteren haben die Weisheiten, die die Jüngeren gerade lernen.
Manche sagten auch, dass Aktionen wie meine keinen Sinn machen, weil der Klimawandel ohnehin kommen wird. Die jüngere Generation ist aber die, die die nötigen Veränderung umsetzen will, weil sie fortbestehen will. Meine Generation hat keine Wirtschaftskrisen und keinen Krieg erlebt wie die ältere Generation. Diese hat die Erfahrung gemacht, dass nach all dem Schrecken etwas Gutes kam, aber ob das auch bei uns klappt?
"Mode integriert Alt und Neu"
Mode lebt von ständig neuen Trends. Mit den "vier Elementen" greifen Sie dagegen eine uraltes Weltverständnis auf. Wie gehören "alt" und "neu" zusammen?
Samira Eckmüller: Mode ist sehr wandelbar. Alte Trends kommen wieder – so wie sich auch in der Geschichte Muster wiederholen. In der Mode wird das sich Wiederholende aber immer wieder abgewandelt, weil es neue Moralvorstellungen und neue Einstellungen gibt. Mode integriert Alt und Neu. Das fängt bei alten Klamotten an, aus denen man viel Neues machen kann. Auch meine Kunstobjekte sind fast vollständig aus recycelten Dingen gemacht.
Die vier Elemente sind seit ewigen Zeiten Bestandteil der Kultur, deswegen integrieren auch sie Alt und Neu. Für mich sind sie in besonderer Weise mit den Indianern verbunden. Ich finde deren Weltanschauung faszinierend, denn sie leben mit der Natur, nicht gegen sie.
"Neue Sichten auf die Welt öffnen"
Sie interessieren sich für extravagente Mode - "extragant" hat für manchen einen "schrägen" Klang. Wie definieren Sie "Extravaganz" und welchen Wert hat sie? Was kann Extravaganz, was andere nicht können?
Samira Eckmüller: Extravaganz ist eine tolle Möglichkeit, seine Kreativität auszuleben. Sie erweitert die Grenzen. Sie ist etwas Besonderes – nicht das Normale oder gesellschaftlich Anerkannte. Sie kann berühren oder verstören – und bringt dadurch die Menschen zum Nachdenken, denn sie sehen etwas, was sie nicht gewohnt sind. Extravaganz ist ein Wert, der neue Sichten auf die Welt öffnet und aufweckt.
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