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„Höheres Selbstwertgefühl und besseres Organisationsvermögen“

Florian Ring, Mitarbeiter in der Schulleitung des Adolf-Weber-Gymnasiums in München. (Bild: AWG)

Was ist ein Schulabschluss während der Corona-Pandemie wirklich wert?

Seit der Einführung des Abiturs gibt es die Klage, dass der Weg zur Hochschule von Jahr zu Jahr leichter und somit der Abschluss weniger wert sei. Dieser Topos ist eine historische Legendenbildung und auch das sogenannte Corona-Abitur ist kein Notabitur; es spiegelt vielmehr – und in viel größerem Maße – den Kompetenzerwerb der Schülerinnen und Schüler wider. Gerade dieser gilt ja seit der letzten Lehrplanreform als Schlüsselqualifikation für das Bestehen des Gymnasiums, während hingegen die Quantität der Vermittlung reinen Fachwissens kontinuierlich abnimmt. Dies – und so ehrlich muss man als Gymnasiallehrkraft schon sein – ist aber ein Phänomen der letzten Jahrzehnte, was durch die Corona-Pandemie nur verstärkt wurde.

Natürlich nimmt die Öffentlichkeit wahr, dass zwischen den Lehrplaninhalten und dem tatsächlich vermittelten Lernstoff mitunter massive Diskrepanzen bestehen. Aber ist nicht die jetzige Zeit auch eine Chance, den selbst in den Augen konservativer Lehrkräfte überfrachteten Lehrplan zu verkürzen beziehungsweise Schwerpunkte zu setzen. Die Menge der Lerninhalte sagt nichts über die Schwierigkeit einer Prüfung aus; hier wäre weniger mehr – und zwar sowohl in Hinsicht auf die zu lernende Stoffmenge als auch bezüglich der Qualität des zukünftigen Abiturs.

Wie beurteilen Sie die Ausbildungs- und Zukunftschancen der „Corona-Generation?“

Durch die unbestreitbare Tatsache, dass die Schülerinnen und Schüler durch den Distanzunterricht in weitaus stärkerem Maße zur Selbstorganisation des täglichen Lernpensums gezwungen waren, zeigt sich bei vielen ein höheres Selbstwertgefühl und definitiv ein besseres Organisationsvermögen als bei den früheren Jahrgängen, was zur Bewältigung des Studiums, etwa an einer Universität, eine unabdingbare Kompetenz darstellt. Selbst das im Rahmen des digital vermittelten Unterrichts in Videokonferenzen von uns Lehrkräften oft kritisierte selbstständige Einschalten von Mikrophon und Kamera kann der Betrachter mit etwas Wohlwollen auch positiv sehen, gehört doch zum Lernen die bewusste Auswahl des Lernstoffs. Und seien wir ehrlich: Auch wir Erwachsenen haben mehr als einmal in der jetzigen Zeit bei hochspannenden Online-Sitzungen die Bild-und-Ton-Aus-Taste schätzen gelernt.


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