„Eigene Vorurteile auf den Prüfstand stellen“
Christian Ude, ehemaliger Münchner Oberbürgermeister und Kuratoriumsmitglied der Koch-Eberspeerger-Stiftung
Wovor haben Sie (besonderen) Respekt?
„Respekt, Herr Nachbar“ sagt der Bayer gerne. Und das soll heißen: Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut. Glückwunsch zu Ihrer Leistung, die ich gerade gesehen habe, zu Ihrer Einstellung, die Sie gerade geäußert haben, zu Ihren Verdiensten, von denen ich gerade gehört habe. Respekt, das ist mehr als ein kurzfristiges Bravo. Das heißt: Sie sind eine Respektsperson, weil Sie so sind, wie Sie sind, weil Sie tun, was sie tun - und wie Sie es tun.
Aber muss immer erst eine Leistung erbracht werden? Viele wären schon froh, wenn sie respektiert werden, OBWOHL sie so sind, wie sie sind. So alt (also völlig out und beschwerlich im Umgang), so jung (also ungezogen und rüpelhaft), so fremd (also nicht von hier und deshalb unheimlich), so andersgläubig (also nicht, wie wir es angeblich sind, obwohl uns die Gebote unserer Religion auch ziemlich schnurz sind), so feindselig (weil sie einer anderen Nation angehören als wir Deutschen, die immer so friedfertig waren, naja, nicht immer, aber jetzt schon), so anders eben (dabei haben wir wirklich nichts gegen Schwule, aber sie sollten es nicht auch noch zeigen und stolz darauf sein, weil sich das nicht gehört).
Warum fällt es so schwer, andere Menschen zu respektieren, auch wenn sie nicht die gleiche Hautfarbe, Religion, Nationalität haben, nicht der gleichen Generation angehören oder auf die gleiche Art Sex haben? Nicht denselben Lebensstil pflegen und ähnliche Klamotten tragen und dieselben Musikgruppen hören wollen? Missachtung hat viele Gesichter – und nicht immer (wenn auch erschreckend und alarmierend oft) steckt rechte Gesinnung dahinter. Der Wunsch, sich wegen der eigenen Gruppenzugehörigkeit als „was Besseres“ zu fühlen und auf andere Gruppen als „minderwertig“ herabzuschauen, ist weiter verbreitet, als wir denken. Oft sind wir selber anfällig dafür.
Also bitte: Nicht nur bei überraschenden Leistungen „Respekt“ sagen. Sondern eigene Vorurteile auf den Prüfstand stellen. Wir sind nicht wegen unserer Abstammung oder Herkunft, unseres Glaubens oder unserer Meinung, unserer Sitten und Gebräuche „etwas Besseres“. Aber wir sollten es besser finden, alle Menschen zu respektieren – auch wenn sie nicht so sind wie wir. Wäre es nicht furchtbar langweilig, wenn alle Menschen gleich wären? Zum Beispiel gleich alt? Nur Greise? Nur Halbstarke? Na bitte.“
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