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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
Viel spannender als "Prinzessin"
Junge Medien-Talente lernen, ihr Werkzeug für die Leser zu nutzen
"Was willst du mal werden, wenn du groß bist?" - Kinder stellen sich diese Frage. In der ersten Klasse sind die Antworten mehr oder weniger realistisch: Wären wir Mädchen tatsächlich alle Prinzessin geworden, hätte die Erde einen akuten Mangel an freiem Wohnraum in Schlössern zu beklagen, zeitgleich wäre der Weltraum voll mit Jungs, die als erfolgreiche Astronauten die Raumstationen bevölkern würden.
Glücklicherweise geht mit dem Erwachsenwerden meist auch eine Konkretisierung der Wünsche einher. Pünktlich zum Abitur herrschte zumindest bei mir Klarheit: Das Prinzessinnenkleid war passé, vielmehr ging es mir darum, den Menschen Geschichten zu erzählen, wahre, freudige, traurige, ehrliche, politische, gesellschaftliche oder persönliche Geschichten - Berufswunsch: Journalistin. Es folgte, was folgt im heutigen Werdegang junger Menschen: Studium, Abschluss, Praktikum im Ausland, Praktikum im Inland. Dann die Zusage für ein Volontariat; seit knapp sieben Monaten schreibe ich für die Münchner Wochenanzeiger. Die Redaktion hat es in dieser Zeit schon weitgehend geschafft, mir einige Unarten aus der Studentenzeit abzuerziehen: Komplizierte zehn- oder mehrzeilige Thomas Mann Ergüsse weichen immer öfter kurzen Sätzen, Meldungen enthalten inzwischen meist Uhrzeit, Datum und Ort, statt nur eine Auswahl dieser doch recht entscheidenden Informationen.
Vier Wochen Intensivkurs
Schreiben will gelernt sein, Stil muss sich entwickeln, das richtige Werkzeug wird einem von Profis an die Hand gegeben. Neben dem täglichen Coaching im Arbeitsalltag steht deshalb auf dem Volontariats-Programm der Münchner Wochenanzeiger auch ein vierwöchiger Volontärkurs an der Evangelischen Journalistenschule (EJS) in Berlin.
Anfang November habe ich also meine Koffer gepackt und mich in die Hauptstadt aufgemacht. Die EJS hat ihre zwölf Gastvolontäre aus der ganzen Bundesrepublik mit Kaffee, Tee, kleinen Leckereien und einem straffen Programm begrüßt. Vier Wochen für beinahe alle journalistischen Darstellungsformen - kein Problem für die Berliner Kollegen. Nachricht, Bericht, Internetrecherche, klassische Recherche, Interview, Reportage, Presserecht oder Kommentar - unsere Dozenten forderten jeden Tag volle Aufmerksamkeit, saubere Sprache und am besten schnelle Verschriftlichungen. Wir Volontäre waren zurück auf der Schulbank und lernten, dass nicht jeder, der schon einmal seinen Namen unter einen Text gesetzt hat, automatisch zum nächsten Heribert Prantl changiert. Es gab konstruktive Kritik oder Lob, je nachdem, was unserem jeweiligen Lehrer angebracht erschien.
Kultur macht Spaß
Nur einmal, da gelang es uns doch - wenn auch unabsichtlich - einen Dozenten an der Nase herumzuführen. Zwei Tage Kulturjournalismus hatten begonnen, Theaterbesuch und Schreiben einer Aufführungskritik inklusive. Wie es uns gefallen hätte, wollte Profi Gerhard Jörder nach der Vorstellung wissen. "Gut, schön, großartig", kamen die Antworten. Und für Jörder am nächsten Tag die Überraschung: Was wir so großartig, gut oder schön gefunden hatten, direkt nach dem Spiel, verrissen wir in unseren Kritiken und erklärten das Stück zu mehr oder weniger stümperhaftem Laienspiel. Wir hatten uns nicht abgesprochen, es war wohl einfach mit uns durchgegangen: Endlich konnten wir Meinung um Meinung in unseren Text packen, keine objektive Berichterstattung ohne die kleinste Färbung in die eigene Gedankenrichtung, stattdessen subjektive Eindrücke en masse, ein wahres Traumland auf 2.000 Zeichen für uns. Jörder gestand uns den Verriss zu - der diebische Spaß an der Sache war uns schließlich an den Gesichtern abzulesen.
Wissen, Tipps und Erinnerungen
Die Zeit in Berlin verging am Ende mit einem gefühlten Wimpernschlag. Gerade noch waren wir zwölf uns fremd, kannten nur unsere eigenen Medien: das Anzeigenblatt, die Tageszeitung, das Wochen- oder Monatsmagazin, die Online-Redaktion. Vier Wochen später waren wir Verbündete, wussten um die Stärken und Schwächen der Anderen und konnten sie in jedem Text gnadenlos aber liebevoll identifizieren. Wir scheiterten gemeinsam an der Berliner Polizei, als wir während des Obama-Besuchs ins Bundeskanzleramt gelangen wollten: Die Führung, extra für uns gebucht, sah nur die Betreuerin von der EJS. Wir stiegen zusammen auf die Kuppel des Bundestags, tranken überteuerte Berliner Weiße (Bier mit süßem Sirup) und staunten über die Preise im KaDeWe.
Ich habe wahnsinnig viel mitgenommen aus Berlin, mehr Wissen, gute Tipps, schöne Erinnerungen und neue Freunde. Der Mensch ist ein Geschichtenerzähler, er lebt umgeben von eigenen Geschichten und den Geschichten anderer. An der EJS habe ich die Abenteuer erlebt, aus denen sich spannende Geschichten machen lassen und zugleich gelernt, wie der Leser bis zum Ende der erzählten Geschichte bei mir bleibt. Wenn Sie diese Zeile noch lesen, hat sich der Kurs gelohnt.
Helden in einer fremden Stadt
"Eines der anspruchsvollsten Projekte während des Seminars war das Schreiben unserer Reportagen", erzählt Isabella-Alessa Bauer. "Wir machten uns in einer fremden Stadt auf die Suche nach interessanten Protagonisten und wichtigen, spannenden Themen, um einen außergewöhnlichen und faszinierenden Text daraus entstehen zu lassen. 'Jede Reportage braucht einen Helden', hatte uns unsere Dozentin zuvor mit auf den Weg gegeben. In Neukölln habe ich definitiv zwei Helden getroffen."Lesen Sie ihre Reportage hier.
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