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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
„Offen miteinander umgehen“
Konflikte lassen sich oft im persönlichen Gespräch lösen
Es war einmal ...
Unausgesprochene Widersprüche und Konflikte eskalieren, zwei Kinder verirren sich im perspektivlosen Dickicht und sind schutzlos tödlichen Bedrohungen ausgesetzt. Geduld, Schläue und das beherzte Zupacken im richtigen Moment lösen alle Probleme auf. Bestandene Herausforderungen werden mit Reichtum und Geborgenheit belohnt.
Hänsel und Gretel erzählen vom füreinander Einstehen.
Konflikte gehören zum Leben – das war früher nicht anders als heute. „Heutzutage trauen sich die Menschen vielleicht eher das zu sagen, was sie stört“, meint Eva Jüsten vom Amt für Wohnen und Migration der Landeshauptstadt München, die dort unter anderem die Stellen für Gemeinwesenmediation und AKIM (Allparteiliches Konfliktmanagement) leitet. „Das ist zum Beispiel im Nachbarschaftskontext der Fall. Früher hätte man die Dinge eher hingenommen und akzeptiert.“
In ihrer Arbeit merke sie zudem, dass der Ton grundsätzlich aggressiver geworden ist. Das sieht auch Elke Prumbach, die Geschäftsführerin des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) e.V. so: „Eine gewisse Verrohung stelle ich sowohl im privaten Bereich als auch im Verein fest“, sagt sie. „Auch fehlender Respekt untereinander fördert Konflikte.“
"Interaktion ist anstrengend"
Ein Grund für die zunehmende Verrohung der Sprache liege in der Online-Kommunikation, meint Sebastian Roloff. „Die Stimmungen lassen sich dort einfach nicht gut transportieren“, erklärt der SPD-Bundestagsabgeordnete für den Münchner Süden. „Da helfen selbst Emojis nichts. Das Problem ist doch, dass sich die Leute gerne in einer Komfortzone bewegen und gar nicht in Interaktion mit anderen treten wollen.“ Vielmehr drehe sich alles oft nur noch um das Smartphone. „Das ist viel einfacher, denn das Handy lässt sich weglegen. Wenn man mit jemanden spricht, kann man nicht einfach weggehen.“ Interaktion mit anderen Menschen sei immer anstrengend und „je mehr sich die Menschen in ihre eigenen Komfortzonen zurückziehen, desto konfliktscheuer werden sie.“
"Wir verlernen, miteinander zu reden"
Durch die neuen Medien sei es durchaus einfacher, „mal schnell etwas rauszuhauen“, bestätigt auch Sybille Stöhr. „Es kommt zu übelsten Beschimpfungen, die man sich persönlich so vielleicht nicht an den Kopf schmeißen würde. Das hat sicher zugenommen.“ Beim Thema Konflikte im Allgemeinen weiß die Vorsitzende des Bezirksausschusses Schwanthalerhöhe (BA 8) viel aus eigener Erfahrung zu berichten, denn Konflikte gebe es auf jeder BA-Sitzung. „Das Wichtigste ist, miteinander zu sprechen.“ Dazu gehöre, dass man dem Gegenüber seine Wertschätzung entgegenbringt. „Ich bleibe bei Beschimpfungen immer höflich. Es kann nicht sein, dass wir verlernen, vernünftig miteinander zu reden.“
"Angstfrei begegnen"
Konflikte entstehen meist aus Missverständnissen. Sie zu lösen, sei nicht einfach, vielen fehle schlicht die Bereitschaft dazu, erklärt Turmschreiber Anton G. Leitner. „Heute kommen sehr schnell Juristen ins Spiel“, sagt der Lyriker. Dies fange schon in den Schulen an. „Da gibt es zum Teil wahnsinnige Konflikte von Seiten der Eltern. Das ist tatsächlich schärfer geworden. Die Leute sind zudem viel schneller mit Beschimpfungen bei der Hand.“ Anton G. Leitner macht für das Entstehen von Konflikten vor allem die Angst der Menschen verantwortlich. „Es wäre gut, wenn sich die Leute angstfrei begegnen würden“, betont er. „Angst ist der Grund für vieles, was passiert. So entsteht auch Gewalt.“
Heutzutage werde sehr viel mit den Ängsten gespielt, meint auch Sybille Stöhr. „Mich stimmt bedenklich, wenn ich sehe, was für eine Angstgesellschaft wir zum Teil geworden sind. Ich glaube, dass viele Leute Angst vor der Reaktion des anderen haben.“ Austragen könne man Konflikte nur, indem die Menschen miteinander sprechen, betont die Vorsitzende des BA 8. „Das Wort Konflikt ist ja erstmal negativ besetzt. Ich finde es aber eher positiv, denn wenn man sich einem Konflikt stellt und ihm nicht aus dem Weg geht, bringt genau das einen selbst weiter.“ Unterstützung bekommt sie hier von Sebastian Roloff: „Es hilft, einen Diskurs auszuhalten. Man wächst daran, auch wenn es bisweilen unangenehm ist“, sagt er. „Und nur weil es unbequem ist, macht man es nicht mehr – das ist eine schlechte Tendenz in einer Gesellschaft.“ Auch Elke Prumbach ist der Meinung, dass sich die Menschen Konflikten stellen sollten. Indem man sich mit seinem Gegenüber auseinandersetzte, sei schon der erste Schritt zur Lösung getan. „Nur so entsteht die Möglichkeit, sich wieder anzunähern.“
Dies ist unter anderem auch die Aufgabe von AKIM. Das „Allparteiliche Konfliktmanagement“ ist eine zentrale Stelle, die für das gesamte Stadtgebiet bei Anfragen zu Konfliktlösungen im öffentlichen Raum eine erste Konfliktanalyse vornimmt und vor Ort mit einem allparteilichen Ansatz und rein kommunikativen Mitteln präsent ist. AKIM setzt sich für die Interessen und Belange aller Nutzergruppen ein und versucht zwischen ihnen zu vermitteln. „Unsere Aufgabe ist es, nicht zu werten, sondern alle Seiten zu hören“, erklärt Eva Jüsten. „Das macht für mich auch den Charme dieser Stelle aus. Wir sind nicht klientenbezogen, sondern neutral, eben allparteilich. Wir merken bei unseren Einsätzen ganz oft, wie wichtig das Gespräch ist. Die Leute brauchen das Gefühl, gehört zu werden.“
Perspektivenwechsel
Durch das Gespräch entstehe ein Perspektivenwechsel, der durch das Zuhören stattfinde, so Eva Jüsten weiter. „Das ist eigentlich entscheidend, um eine Lösung zu finden. Durch diesen Perspektivenwechsel bekommen die Menschen einen anderen Blick auf die Sache. Wenn das gelingt, löst es oft sehr viel.“ Wichtig sei zudem, dass die Leute frühzeitig miteinander reden. Auch Sybille Stöhr ist der Meinung, dass man Konflikte nur dann austragen kann, indem man miteinander spricht. „Das ist nichts Negatives. Es muss einfach so sein, dass man hinterher wieder vernünftig miteinander umgehen kann.“
Wie wichtig das gemeinsame Gespräch ist, betont auch die Starnberger Gemeinderätin Anita Painhofer: „Wir kommen allgemein nur weiter, wenn wir miteinander reden. Das merke ich selbst bei uns in der Landwirtschaft“, erzählt die Kreisbäuerin. Ihre Familie habe viele Felder am Stadtrand von München und „hier ergeben sich bei unserer Arbeit immer wieder Konflikte, weil die Leute nicht verstehen, dass wir abends oder am Wochenende mit unseren schweren Maschinen durch die Stadt oder über die Felder fahren und es dann staubt oder laut ist.“ Sie habe die Erfahrung gemacht, wie wichtig es sei, sich dann die Zeit zu nehmen, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, „ihnen zu erklären, was wir eigentlich machen: nämlich Lebensmittel.“
Werte und Respekt
Grundsätzlich, so betont Anita Painhofer, gehe es unter anderem darum, wie Eltern ihren Kindern Werte und Respekt vorleben. Für die Kreisbäuerin ist es ein Problem, „dass in vielen Bereichen Brauchtum und Tradition verloren gegangen sind, weil sie einfach nicht mehr gelebt werden.“ Es sei deshalb umso wichtiger, über Konflikte zu sprechen und offen miteinander umzugehen, „auch bei unangenehmen Themen“, sagt die Landwirtin. „Hinterher sind alle froh und erleichtert und stellen fest, dass im Grunde alles halb so schlimm war. Und das muss ein Kind zuhause erlebt haben. Wer einen Konflikt löst, lernt immer etwas daraus.“
„Wenn Leute zusammenkommen, gibt es Konflikte"
Dass bestimmte Werte von den Eltern vermittelt werden müssen, sieht auch Sebastian Roloff so. „Was die Eltern einem mitgeben ist ganz wichtig. Die Schule muss dies dann bestenfalls fortsetzen, oder im schlimmsten Fall oft korrigieren. Ich weiß nicht, ob wir die Lehrer damit überfordern. Aber es geht gar nicht anders.“ Schon Kinder und Jugendliche müssten wissen, dass es sich durchaus lohne, wenn sie sich mit Konflikten auseinandersetzen. „Man wächst doch daran“, erklärt er. Und Elke Prumbach betont: „Wenn Leute zusammenkommen, gibt es Konflikte. Wichtig ist, dass die Menschen über das nötige Selbstbewusstsein und die Souveränität verfügen, eine Situation richtig einschätzen zu können.“ Und dies betreffe nicht nur Erwachsene, sondern eben auch schon Kinder und Jugendliche. Konflikte seien nicht zwangsläufig schlecht, „können vielmehr auch Wendepunkte für ein besseres Miteinander sein.“ Ein gelöster Konflikt hinterlasse in der Regel immer ein gutes Gefühl, bestätigt auch Eva Jüsten. „Da passieren oft ganz tolle Dinge. Wenn sich die Leute annähern, wird das Zusammenleben erleichtert und zum Beispiel die Nachbarschaft wieder besser. Natürlich ist klar, dass es nicht immer die dicke Freundschaft wird. Aber das muss es ja auch nicht.“
Eine märchenhafte Frage
Haben Sie schon einmal einen Frosch geküsst? Unsere Gäste antworteten:
Dr. Eva Jüsten:
"Ich habe früher einige Frösche geküsst und zum Glück ist ein Prinz dabei rausgekommen."
Anton G. Leitner:
"Ich habe einige Kröten in meinem Leben geschluckt, aber mit meiner Frau tatsächlich eine Fröschin geküsst."
Anita Painhofer:
"Ich hatte großes Glück, denn ich habe einen Frosch geküsst und er war gleich mein Prinz."
Elke Prumbach:
"Ich habe immer wieder schon mal Frösche geküsst – im übertragenen Sinne, weil ich vor Situationen nicht weglaufe, sondern mich Herausforderungen stelle."
Sebastian Roloff:
"Da ich großer Tierfan bin, küsse ich selbstverständlich auch Frösche."
Sybille Stöhr:
"Manchmal muss man einen Frosch küssen, um weiterzukommen und dann kommt vielleicht auch ein Prinz raus."
Unsere Gäste
Bei unserem Sommergespräch diskutierten:
Dr. Eva Jüsten (Amt für Wohnen und Migration, Stelle für Bürgerschaftliches Engagement und Konfliktmanagement BEK)
Anton G. Leitner (Turmschreiber)
Anita Painhofer (Kreisrätin und Kreisbäuerin Starnberg)
Elke Prumbach (Geschäftsführerin Sozialdienst katholischer Frauen, SkF)
Sebastian Roloff (SPD-Bundestagskandidat)
Sybille Stöhr (Vorsitzende Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe)
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