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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Nichts tun geht auch nicht"
Bürger setzen sich für Artenvielfalt ein. Warum?
Bis zum 13. Februar kann man sich für das Volksbegehren Artenvielfalt eintragen (in allen Rathäusern). Melanie Siegel vom Bund Naturschutz gehört zu den Menschen, die für das Volksbegehren werben und zum Beispiel Plakate anbringen. Ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein? "Nein, viele Tropfen ergeben einen Liter!", sagt sie. Menschen wie sie äußern sich, warum sie sich für das Volksbegehren engagieren:
"Gemeinsam etwas bewegen"
Inge El Ghadouini:
Ich interessiere mich schon seit längerem für Umwelt- und Naturschutzthemen. Allerdings war mir bis vor kurzem nicht wirklich klar, wie dramatisch die Situation wirklich ist, wie weit der Rückgang der Artenvielfalt bereits fortgeschritten ist, sowohl im Tier- als auch im Pflanzenreich. Und dieser Rückgang ist endgültig.
Deswegen habe ich beschlossen, nicht nur im privaten Umfeld aktiv zu sein, sondern mich gleichgesinnten Menschen anzuschließen, um gemeinsam etwas zu bewegen. Drüber hinaus möchte ich möglichst viele Menschen zu inspirieren und zum Mitmachen motivieren. Das Volksbegehren ist eine sehr gute Möglichkeit, eine große Zahl von Menschen zu erreichen und als Bürger aktiv die Politik mitzugestalten. Das ist eine Chance. Ich hoffe, dass Umweltthemen zunehmend in das Bewusstsein der Menschen rücken, denn so kann sich auch etwas ändern.
"Schützende Hand von uns Eltern über die Natur"
Julia Lindemann, Organisation Rathauslotsen für das Volksbegehren:
Eltern sein hat viele Facetten. Wir trösten bei Streitigkeiten, pflegen Erkältungen, unterstützen in der Schule, diskutieren über Regeln, spielen und lachen mit unseren Kindern... Der ganz normale "Alltags-Wahnsinn" hat uns fest im Griff. Wir leben intensiv im Hier und Jetzt. Die Zukunft scheint die nächste Woche zu sein. Aber ganz so ist es natürlich auch nicht. Immer wieder lesen wir von Giften in der Natur und in der Nahrung. Mittlerweile bemerkt man bereits, dass es weniger Vögel gibt und kaum noch Insekten an der Windschutzscheibe kleben. Diese Botschaften aus der Natur und in den Medien sind deutlich und hinterlassen ein ungutes Gefühl. Natürlich sollten wir etwas für die Zukunft der Natur und Tierwelt tun – für uns und unsere Kinder. Nur wie sollen wir uns dafür jetzt auch noch die Zeit nehmen?
Eine Standard-Antwort gibt es nicht. Nichts tun geht aber auch nicht. Das spüren wir immer stärker. So haben wir gemeinsam mit unseren Kindern zunächst kleine Schritte unternommen. Wir haben bewusst die Schönheit der Natur und der Tiere genossen, immer mal wieder Plastik-Müll aufgesammelt und Jung-Vögel gerettet. Langsam wurden die Schritte größer. Und heute engagieren wir uns für das Volksbegehren "Rettet die Bienen!" Sich für das Volksbegehren einzusetzen sind ein paar kleine Schritte ins Rathaus für jeden Bayern, und ein großer Schritt für die bayerischen Naturschutzgesetze. Viel Spaß beim Unterschreiben im Rathaus – vielleicht sogar gemeinsam mit Euren Kindern.
"Aufbruchsstimmung ist zu spüren"
Martina Lewald-Brudi, Sachverständige für Baumpflege und Verkehrssicherheit von Bäumen:
Es ist eine richtige Aufbruchsstimmung zu spüren. Alle, denen die Natur am Herzen liegt, unterstützen das Volksbegehren. Über politische Grenzen hinweg hat sich ein breites Bündnis gebildet, dem der ökologische Wandel ein echtes Anliegen ist.
Mit dem Volksbegehren kann jetzt für den Naturschutz wirklich etwas bewegt werden. Ich bin stolz auf unsere bayerische Verfassung, in der die Möglichkeit eines solchen Bürgervotums als plebiszitäres Element verankert ist. Das bayerische Naturschutzgesetz lässt bislang für die sogenannte „ordnungsgemäße“ Land- und Forstwirtschaft viele Ausnahmen zu. Auf konventionell bewirtschafteten Flächen können aber nur sehr wenige Arten überleben. Der ökologische Landbau und der Verzicht auf Pestizide soll nun deutlich ausgebaut werden. Innerhalb der staatlichen Forstwirtschaft soll nun als vorrangiges Ziel gelten, die biologische Vielfalt zu erreichen oder zu erhalten und folglich die Holzproduktion nachrangig werden.
Für mich als Baumsachverständige ist der geforderte zusätzliche Schutz von Bäumen ein besonderes Anliegen. Ohne solide Rechtsgrundlage ist ein Erhalt von Bäumen in vielen Fällen bislang nicht möglich. Bislang sind in der „freien Flur“ bereits Feldgehölze und Hecken geschützt, nicht jedoch Bäume und Baumreihen. Das soll jetzt geändert werden. Daneben ist ein genereller Alleenschutz an öffentlichen oder privaten Verkehrsflächen geplant. Meine Motivation dieses Volksbegehren zu unterstützen ist sehr hoch, da damit wirklich wesentliche Änderungen im Sinne des Naturschutzes erreicht werden können.
"Ich bewundere das Gefüge der Natur"
Katrin Heininger, BUND Naturschutz Ortsgruppe München West:
Die wilde Wiese vor dem Haus war der Lieblingsplatz meiner Kindheit. Stundenlang saß ich dort und wartete gespannt auf alles, was vorbeiflog oder hüpfte. Auch die Pflanzen waren mir lebendig: Die Vogelwicke, die sich mit ihren dünnen Ranken die Grashalme empor hangelte oder die Wegwarten, denen man beim Öffnen und Schließen ihrer Blüten zusehen konnte. Meine kindliche Sammelleidenschaft hatte immer mit Pflanzen zu tun. Ich füllte Herbarium um Herbarium und sammelte unzählige Döschen mit Wiesenblumensamen, die ich an allen möglichen Orten aussäte. Erst später erkannte ich die Zusammenhänge zwischen Tier und Pflanze. Lernte, dass es auf dieser Wiese so viele Bläulinge gab, weil überall Hornklee für ihre Raupen wuchs, und verstand, dass der Zaunkönig sein Nest am Rand der Wiese in der Hecke baute, weil er für seinen Nachwuchs reichlich Futter vor der Haustüre fand. Ich war fasziniert davon, wie sich einige Insekten auf ganz bestimmte Pflanzen eingestellt haben. Manche Wildbienenart füttert ihre Larven mit dem Pollen von nur einer einzigen Pflanze. Findet sie aber nicht mehr die richtige Blüte, verschwindet diese Biene. Das einmalige Gefüge der Natur bewundere ich noch heute und finde es wichtig, sich für den Erhalt der Lebensgemeinschaften einzusetzen. Wir Menschen sind Teil davon. Die Schäden, die wir diesem Geflecht zufügen, wirken sich auch auf uns aus. Deshalb engagiere ich mich für das Volksbegehren Artenvielfalt.
"Macht einfach mit!"
Dr. Ernst Habersbrunner, Vorsitzender der Ortsgruppe München West des Bund Naturschutzes (BN) und Steuerungsgruppe des Aktionsbündnis München beim Volksbegehren Artenvielfalt:
Als mich Ende November die Nachricht ereilte, dass das „Bürgerbegehren Artenvielfalt - Rettet die Bienen“ nach Erreichen der erforderlichen Anzahl an Unterschriften vom Innenministerium angenommen worden war, sah ich zunächst nur einen riesenberg Arbeit auf uns, d.h. unsere Bund Naturschutz-Ortsgruppe, zukommen.
Von Anfang an spürte man eine riesige Begeisterung. Die Aufgaben wurden ruckzuck verteilt. Eh ich mich versah, war ich Spendenakquisiteur und Steuerungsgruppenverantwortlicher für den Münchner Westen, noch ohne genaue Kenntnis der Struktur des Aktionsbündnisses selbst, was aber für den Anfang auch gar nicht so wichtig war. Zunächst hatte ich Bedenken, wie ich unsere Mitglieder motivieren soll, bei minus 5 Grad Plakate an Laternen und Verkehrsschildern anzubringen. Völlig unbegründet. Im Gegenteil. Nachdem wir zusagten, ganz Pasing und Obermenzing zu plakatieren, meldeten sich immer mehr Interessierte auch außerhalb unserer Ortsgruppe (über Mundpropaganda), sodass wir letztlich noch ganz Hadern, Aubing, Allach, Moosach und die Stammstrecke mit den bunten Kartons beglückten. Flyer verteilen entwickelte sich nicht zum befürchteten Spießrutenlauf, sondern zu einem richtigen Selbstläufer. Wir rennen offene Türen ein.
Das liegt nicht nur an der grundlegenden Akzeptanz der Problematik in der Bevölkerung, sondern auch an der enorm positiven Ausstrahlung aller Beteiligten. Unsere Ortsgruppe rückt näher zusammen. Es kommen neue Interessenten dazu. Ganz neue Kontakte und Verbindungen zu anderen Organisationen entstehen.
In unserem BN-Alltag tun sich „Neulinge“ oft schwer, da wir uns mit teils recht komplexen Themen wie z.B. Renaturierungs-Ökologie beschäftigen müssen. Und über das Wort „autochthon“ stolpern immer wieder auch Fachleute. Da ist es nicht so einfach, selbständig aktiv zu sein. Irgendwelche Blumensamen ausstreuen heißt noch lange nicht, eine nachhaltige Blumenwiese anzulegen.
Die aktive Beteiligung am Volksbegehren birgt für sehr viele „nicht ökologisch Vorbelastete“ die Möglichkeit, in das Thema hineinzuwachsen und Selbstvertrauen aufzubauen. Oder andersrum: Eben diese Unverbrauchtheit bläst uns „alten Hasen“ mal die Ohren frei.
Mit höchstem Respekt möchte ich daher allen danken, die sich so begeistert nicht nur für die Bienchen, sondern insgesamt für eine lebenswertere Umwelt einsetzen. Und allen anderen möchte ich zurufen, macht einfach mit. Demokratie lebt vor allem außerhalb der Parlamente bei uns Bürgern - und kann Spaß machen. Es liegt an Euch und uns allen!
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