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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Die Menschen sind bereit, viel, viel mehr für die Umwelt und das Klima zu tun"
Katharina Schulze über Klimahebel und eine bessere Welt, Meister Yoda und "Mia san mia" und über Mut statt Angst
Katharina Schulze, aufgewachsen in Herrsching am Ammersee, ist seit 2016 Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag. "Als stärkste Oppositionsfraktion sind die Grünen die Stimme all derer, die sehen und wissen: Weiter so ist nicht die Antwort", sagt sie. Und: "Ich möchte in einem Bayern leben, das sich um die nachfolgenden Generationen und unsere Umwelt sorgt." Mit Johannes Beetz sprach sie über Nachhaltigkeit.
"Alle sollen frei und sicher leben können"
Die Grünen sind zweitstärkste Kraft im Landtag - „grüne“ Themen wie Artenvielfalt und Klimaschutz sind in weiten Teilen der Bevölkerung angekommen. Klimaschutz ist wichtig - aber haben wir nicht viele andere Herausforderungen, die zumindest ebenso dringend einer Lösung bedürfen? Ist es nicht fahrlässig, sich so sehr auf diesen einen Trend zu stürzen?
Katharina Schulze: Klimaschutz ist die große Herausforderung für unsere Generation. Wir sind diejenigen, die erstmals die Auswirkungen der Klimakrise hautnah zu spüren bekommen – und vielleicht die Letzten, die den Hebel umlegen und die Lebensgrundlagen für unsere Kinder und Enkelkinder dauerhaft bewahren können. Klimaschutz ist gleichzeitig eine Gerechtigkeitsfrage, wenn Entwicklungsländer unter unserem Lebensstil und unserem hohen Ressourcenverbrauch leiden. Klimaschutz ist auch eine soziale Frage, weil sichergestellt werden muss, dass grundlegende Bedürfnisse – wohnen, heizen, mobil sein – für alle erfüllt werden können und nicht nur für die Wohlhabenden. Genau darum kümmern wir uns.
Gleichzeitig beackern wir Grünen viele weitere Zukunftsthemen: Gestaltung der Digitalisierung, Zukunftssicherung des Wirtschaftsstandorts Bayern, soziale Teilhabe in allen Lebensbereichen, gleiche Rechte und Chancen für Frauen. Und ich will, dass alle Menschen in unserem Land frei und sicher leben können. Dafür müssen wir die Zivilgesellschaft stärken, die Sicherheitsbehörden personell gut ausstatten und die Bürgerrechte schützen. Da ist zum Beispiel beim Polizeiaufgabengesetz der CSU eine Schieflage zulasten bürgerlicher Freiheitsrechte eingetreten und dagegen wehren wir Grünen uns weiterhin und klagen vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof.
"Ich bin von Grund auf Optimistin"
Wir leben in schrägen Zeiten: Menschen verlangen nicht mehr, dass man sie (die Bürger) ernst nimmt, sondern ihre Ängste. „Ich möchte, dass ihr in Panik geratet“, hat Greta Thunberg beim Weltwirtschaftsforum in Davos gesagt, „ihr sollt die Angst spüren, die ich jeden Tag spüre.“ Meister Yoda aus dem Star-Wars-Multikultiversum sagt stattdessen den ausnahmsweise weisen Satz „Furcht führt zu Wut; Wut führt zu Hass; Hass führt zu unsäglichem Leid.“ Oder, um es mit den Worten meiner Großmutter zu sagen, die furchtbare Zeiten hautnah und Angst sehr konkret erlebte: „Angst ist ein schlechter Ratgeber.“ Wie ängstlich sehen Sie in die Zukunft?
Katharina Schulze: Ich bin von Grund auf Optimistin. Das ist nicht nur meine Lebenseinstellung; das ist mein politisches Leitbild, frei nach dem Motto: "Man bekommt die Zukunft nicht besser gemeckert, man muss sie besser machen!" Gleichzeitig ist Meister Yoda nicht zwingend mein politisches und philosophische Vorbild. Angst vor einer tatsächlichen Gefahr hat ja auch die Funktion, sich abwehrbereit zu machen und nach Auswegen zu suchen.
Wir haben in Deutschland bereits einen Temperaturanstieg von 1,5 Grad seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. In den beiden letzten Hitzesommern haben viele am eigenen Leib erlebt, wie konkret die Klimakrise schon da ist. Das ist ein Warnsignal, das gerade den Jüngeren auch Angst macht und das muss man aufnehmen und dann politisch gegensteuern. Und zwar leidenschaftlich und mit dem nötigen Optimismus, der uns sicher macht, dass wir diese Herausforderung bewältigen können! Es gibt doch so viele großartige Menschen, die an den verschiedenen Stellen unserer Gesellschaft für ein gutes Morgen arbeiten. Sich zusammenschließen und aus Hoffnung Wirklichkeit werden lassen – darum geht es jetzt. Und dafür muss man Mut geben statt Angst zu machen!
"Klare Kante zeigen!"
„Nachhaltigkeit ist, wenn ich wiedergewählt werde.“ Für eine Politikerin, die (hoffentlich) überzeugt ist, auf dem richtigen Weg zu sein, wäre das eine verlockende Definition. Aber so einfach ist es ja nicht: Die Volksparteien verlieren ihre Basis und damit bricht ein bewährtes demokratisches System ein, das doch recht nachhaltig funktioniert und für zwei Generationen Stabilität gebracht hat. Müssen wir uns von dieser Art der Nachhaltigkeit endgültig verabschieden? Profitiert Ihre Partei davon?
Katharina Schulze: Schön, dass Sie hier ein positives Bild der Nachkriegs-Politik zeichnen. Das ist ja eine Errungenschaft, dass wir in einem Vielparteiensystem stabile Verhältnisse haben und gleichzeitig notwendige Veränderungsprozesse wie den Ausstieg aus der gefährlichen Atomenergie oder die gesellschaftlichen Umbrüche nach der 68er-Revolte schaffen. Als Antifaschistin bin ich entsetzt, wenn jetzt Rechtsextremisten in unsere Parlamente sitzen, sich dort hauptsächlich als Störenfriede aufführen und die politische Debatte in der Öffentlichkeit vergiften. Da heißt es "klare Kante zeigen" und das ist auch mein Appell an alle Demokratinnen und Demokraten: Keinen Millimeter den Faschisten, keine gemeinsame Sache mit Neonazis! Und dann bin ich auch optimistisch, dass die AfD sich irgendwann wieder erledigt haben wird. Die Menschen in Bayern und Deutschland sind ja überwiegend klug und friedfertig …
"Mit Grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben"
In der Fridays-For-Future-Bewegung schwingt nicht zu knapp ein Generationenkonflikt mit, wenn „den Alten“ vorgehalten wird, die Zukunft „der Jungen“ verspielt zu haben. Untätig waren „die Alten“ indes nicht: Sie haben ökologische Herausforderungen wie Waldsterben und Ozonloch bewältigt und sie haben mit dem Wirtschaftswachstum ihrer Zeit ja nicht nur verschwenderischen Konsum ermöglicht, sondern ein zuvor nicht gekanntes und – mit Verlaub – höchst nachhaltiges Maß an Sicherheit, Lebensqualität sowie gesundheitlicher und sozialer Versorgung für die gesamte Bevölkerung aufgebaut. Verlieren wir diese Zusammenhänge aus dem Blick?
Katharina Schulze: Für mich gilt das bekannte Motto aus dem Zeitmanagement: Wir müssen das Wichtige tun, damit es nicht dringlich wird. Was heute auf der Agenda steht, ist klar. Wenn wir unsere Lebensgrundlagen nicht konsequent schützen, wenn wir die Klimakrise nicht konsequent bekämpfen, wird es in Zukunft auch keinen Wohlstand mehr geben auf diesem Planeten.
Natürlich dürfen wir unsere Wirtschaft nicht aus den Augen verlieren. Zur Bekämpfung der Klimakrise brauchen wir alle in unserem Land. Deswegen muss man auch hier zukunftsgewandt rangehen, und nicht stur festhalten am Diesel, an Kohlekraftwerken, an einer umweltschädlichen Landwirtschaft und an so vielen anderen Gewohnheiten, die unsere Zukunft und auch unsere Lebensqualität gefährden. Wir haben doch so viele tolle Unternehmerinnen und Unternehmer in unserem Land, die jetzt schon aufzeigen, dass man mit Grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben kann. Die gilt es zu stärken und gemeinsam für die ökologisch soziale Marktwirtschaft zu arbeiten. Dafür braucht es frische Ideen und auch mal die politische Standfestigkeit, den mächtigen Lobbygruppen entgegenzutreten und sie aufzufordern: Macht Euch mit uns gemeinsam auf den Weg – dann gewinnen wir alle!
"Die Hälfte der Macht den Frauen!"
Zurück zur Nachhaltigkeit: Die drei wichtigsten To-Do-Dinge auf der entsprechenden Agenda einer grünen Ministerpräsidentin im erfolgreichsten deutschen Bundesland wären …
Katharina Schulze (lacht): Zuallererst: Die Hälfte der Macht den Frauen! In der Regierung, in den Parlamenten, in der Wirtschaft, in den Verbänden … Das steht für mich ganz oben auf der Agenda, denn Vielfalt macht erfolgreicher!
Und dann natürlich konsequenter Klimaschutz mit einer ökologischen Verkehrswende, mit guten Wärmeversorgungskonzepten und mit Vorfahrt für Wind- und Sonnenstrom für eine gelingende Energiewende auch in Bayern. Das heißt natürlich auch: Das Windkraftverhinderungsgesetz 10H muss endlich weg, damit wieder Windräder gebaut werden können!
Drittens: Mal was ganz anderes. Weg von der „Mia-san-mia-Mackerpolitik“ der CSU und hin zu einer kooperativen Politik mit mehr Bürgerbeteiligung, mit besserer Zusammenarbeit zwischen den Ländern und mit einer Gesellschaft, die Zusammenhalt wieder nach vorne stellt.
Was kann jede und jeder beitragen?
Jeder Einzelne kann im Alltag ein bisschen zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. Unsere letzte Frage haben wir vielen Menschen gestellt: Haben Sie in Ihrem Alltag etwas geändert, um nachhaltiger zu leben? Welche Änderung können Sie sich fürs neue Jahr vorstellen?
Katharina Schulze: Ich fahre in München am liebsten mit dem Rad und besitze kein Auto. Ich bin schon lange Vegetarierin und wenn ich mir einen Heiße-Schokolade-to-go gönne, dann so oft es geht im wiederverwendbaren Becher der wunderbaren Julia Post. Ich finde es gut, wenn jede und jeder überlegt, was er oder sie für eine besseren Welt beitragen kann. Wir brauchen aber nicht die besseren Menschen, sondern die bessere Politik. Und deswegen muss die Politik die Rahmenbedingungen schaffen, damit das dem Einzelnen auch gelingen kann. Wo kein Bus fährt, nehmen die Menschen das Auto. Wenn die Bahn von München nach Hamburg dreimal so lange braucht wie der Flieger und noch doppelt so viel kostet, dann fliegen die Menschen eher. Wir müssen also Bahn, Bus, Tram und Co massiv ausbauen! Ich bin überzeugt, dass die Menschen bereit sind, viel, viel mehr für die Umwelt und das Klima zu tun. Die Politik muss aber den Weg aufzeigen und dafür braucht es Grüne in Verantwortung.
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