"Dein Körper gehört dir!"
Das Buch "Tina in Gefahr" geht einfühlsam auf ein schwieriges Thema ein
Frauen mit Behinderung werden einer Studie zufolge überdurchschnittlich häufig Opfer sexueller Gewalt. Die Übergriffe sind zwei- bis dreimal höher als bei anderen Frauen. Gründe dafür sind unter anderem die Schwierigkeit, die sexuelle Gewalt zu benennen, und Personen zu finden, denen sie sich mitteilen können, die ihnen glauben und die sie unterstützen. Die Sozialpädagogin und Journalistin Steffi Geihs hat sich nun in ihrer "Tina"-Buchreihe, die explizit für Jugendliche und junge Erwachsene mit einer geistigen Behinderung geschrieben wurde, des sensiblen Themas angenommen. "Tina in Gefahr" heißt die neueste Geschichte, die im Laufe des Dezembers in die Buchläden kommt.
Mut machen
Steffi Geihs ist mit der Problematik vertraut. Die 35-Jährige, die augenblicklich in Elternzeit ist, gehört dem Kollegium der Heilpädogischen Tagestätte der Aktion Sonnenschein in der Heiglhofstraße an. Zehn Jahre lang hat sie dort den Werdegang geistig behinderter Jugendlicher begleitet. Als sie sich nach Lesestoff für die Jungen und Mädchen umsah, musste sie feststellen, dass es wenig Geeignetes gab – herkömmliche Bücher mit Jugend spezifischen Themen sind von Wortwahl und Satzbau her meist zu schwierig, Kinderbücher in einfacher Sprache für die Jugendlichen dagegen wenig interessant. Steffi Geihs füllte diese Lücke aus, indem sie das Mädchen Tina erfand und deren Alltag und Erlebnisse in einfachen, leicht verständlichen Sätzen zu Papier brachte. Die ersten drei Bücher handelten vom ersten Verliebtsein, vom ersten Freund und vom Liebeskummer – Themen, die jeden jungen Menschen betreffen.
Mit dem jetzigen Buch will die Pädagogin jungen Menschen Mut machen – Mut nein zu sagen und sich Hilfe zu holen. Erzählt wird, dass die inzwischen 18-jährige Tina im Bus von einem Mann angefasst wird. Er legt die Hand auf ihren Oberschenkel und greift zwischen ihre Beine. Tina ist so schockiert, dass sie nur starr dasitzen kann. Zu Hause erzählt sie weinend davon, und ihre Mutter und ihre Schwester Lena erklären ihr, dass der Mann etwas Verbotenes getan hat und niemand sie berühren darf, wenn sie es nicht will. "Dein Körper gehört dir", sagt Lena. Als derselbe Mann Tina am nächsten Tag wieder begrapscht, weiß sie zwar, dass er das nicht darf, aber sie hat keine Ahnung, wie sie sich wehren kann. Erst in einem Selbstbehauptungskurs mit ihren Schulkameraden, in dem der Umgang mit solchen Situationen trainiert wird, lernt sie, sich zu verteidigen und entsprechend zu reagieren.
Sensibilität entwickeln
Nein sagen zu lernen sei schon für durchschnittliche Menschen manchmal ganz schön schwer, erklärt Steffi Geihs. Für behinderte Menschen sei es noch viel schwieriger, da sie durch die Betreuung und viele notwendige Hilfestellungen sehr oft berührt werden und so die eigenen Körpergrenzen nicht uneingeschränkt erfahren könnten. Und Birgit Seibt-Krause, die bei der Aktion Sonnenschein für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, fügt hinzu, wie wichtig es sei, das Thema Unterstützung durch Berührung immer wieder anzuschneiden und auch bewusst nachzufragen, ob die Hilfe gewollt sei.
Die Autorin sorgt mit kleinen lustigen Details in ihrem Buch dafür, dass die ernste Thematik nicht zu düster wird. "Es sollen ja keine Albträume, sondern es soll Mut entstehen", sagt sie dazu. Als sie mit der Berufsschulstufe der Montessori-Schule eine Probelesung veranstaltete, gab es an diesen Stellen dann auch fröhliches Gelächter. Dennoch waren die Jugendlichen sehr konzentriert, als sie einige Kapitel mit verteilten Rollen lasen. Kiani, die die Rolle von Tinas Mitschülerin Klara übernommen hatte, durfte in einer Szene, in der die Rollenspiele im Selbstbehauptungskurs beschrieben werden, laut schreien – und es war ihr anzusehen, dass ihr diese Übung ganz ausnehmend gut gefiel.
Einkaufen über "PlanetHelp!"
Das Buch "Tina in Gefahr" wird wieder durch eine Reihe von Arbeitsblättern ergänzt, die als zusätzliches Material im Unterricht eingesetzt werden können. Auch der Illustrator der bisherigen Bücher, der Berliner Künstler Friedrich Wall ist erneut mit dabei. Seine sehr präzisen, comicartigen Bilder spiegeln den Text eindringlich wider. Mit im Boot ist erneut auch die Aktion Sonnenschein, die das Projekt finanziell fördert. Erschienen ist das Buch in der "Edition Sonnenschein" im Allitera Verlag (ISBN: 978-3-86906-809-1) zum Preis von 9,90 Euro. Wer die Aktion Sonnenschein unterstützen möchte, kann das Buch auch über planethelp.de bestellen. In dem Portal, das Einakufen und Helfen verbindet, erhält bei jedem Einkauf eine Hilfsorganisation nach Wahl Gelder, die aus Werbe- und Provisionseinnahmen von PlanetHelp bezahlt werden.
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