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"Zweifel gehört dazu"

Leben und Tod sind untrennbar miteinander verknüpft

Georg Rieger. (Bild: Manfred Kluy)

Mit dem Osterfest feiern die Christen das höchste Fest im Kirchenjahr: Jesus ist auferstanden. Darum hoffen die Christen auf das ewige Leben. Es ist die Zeit des Innehaltens, des sich Bewusstwerdens um die eigene Endlichkeit. Doch wer denkt im Alltag schon gerne über das Sterben nach? Viel zu sehr ist er doch geprägt von Terminen, Leistungsdruck und dem Streben nach ewiger Jugend. Stellt sich die Frage: "Ist das Bewusstsein in der heutigen hektischen Zeit dafür verloren gegangen, dass Leben und Tod untrennbar miteinander verknüpft sind?" Ulrike Fries-Wagner, Pfarrerin der evangelischen Kirchengemeinde Weilheim, meint dazu: "Der Tod gehört zum Leben. Wir denken nur selten daran. Sterben geschieht heute in dafür vorgesehenen Einrichtungen und kaum noch zuhause." Wir haben Geistliche zum Thema Leben und Tod befragt.

"Trauer darf einen Platz haben"

Georg Rieger, Leiter des katholischen Pfarrverbands Laim:

Das zentrale Wort christlicher Botschaft: "Jesus ist gestorben und auferstanden" findet immer weniger Zeitgenossen, die damit etwas anfangen können. An Ostern werden wir allerdings, wie übrigens an jedem Grab mit christlicher Symbolik, daran erinnert, dass die irdische Existenz nicht die einzige für den oder die ist, welche an Gott, den Erschaffer von Himmel und Erde glauben. "Es ist noch keiner zurückgekommen!" – so lautet der Entschuldigungssatz derer, die hadern und zweifeln. Zweifel gehört dazu und es wäre vermessen zu behaupten, wer glaubt, der hadert nicht. Klein und bedürftig stehen wir da vor dieser großen Zusage der Heiligen Schrift, die bei jeder katholischen Beerdigung rezitiert wird: "Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben." (Johannesevangelium im 11. Kapitel, Vers 25). Christus selber nimmt also jeden Christen und damit Hoffenden auf ewiges Leben, hinein in seine Auferstehungszusage. Tod – braucht nicht weggeschoben zu werden und Trauer darf einen Platz haben, weil sie nicht grund- und hoffnungslos ist.

"Der Glaube nimmt den Schrecken"

Ralf Honig, Pfarrer evangelische Gethsemanekirche Sendling-Westpark:

Der Tod wird heute weithin verdrängt. Der Focus liegt auf der Optimierung des Lebens. Viele denken: Ich muss das Maximale herausholen. Der Wert meines Daseins bemisst sich daran, was ich daraus mache. Die Folge davon ist großer Leistungsdruck, selbst in der Freizeit. Ein gnadenloser Umgang mit den eigenen Ressourcen. Umso schlimmer, wenn der Tod mitten ins Leben tritt. Er ist dann ein Störfall. Wo es keine Hoffnung über den Tod hinaus gibt, wird er als totale Katastrophe empfunden. Der Glaube an die Auferstehung nimmt dem Tod den Schrecken. Weil er nicht das Ende ist, muss ich im Leben nichts erzwingen. Für Gott bin ich wertvoll, unabhängig von meiner Leistung. Er wird mein Leben in seiner neuen Welt vollenden.

"Ein erster Trost"

Engelbert Birkle, Pfarrer katholische Pfarreiengemeinschaft Weilheim:

Da ist jemand gerade verstorben. Manchmal werde ich dazugerufen. Der Tod, selbst dann wenn er erwartet wurde, hat eine Wucht. Die Angehörigen stehen am Bett des Verstorbenen und spüren die Endgültigkeit des Todes. Sie erfahren, wie eng Tod und Leben verbunden sind. Da ist das Bewusstsein für Leben und Tod in aller Klarheit (wieder) da. Bei allem Schmerz, der dann im Raum ist, gehört zu diesen Momenten am Totenbett oft auch ein großer Frieden, tiefe Dankbarkeit und ein erster Trost. Natürlich wird versucht, den Tod zu beherrschen, ihn irgendwie wegzuhalten, sich der Nähe von Tod und Leben nicht zu stellen. Die Möglichkeiten dazu sind heute vielfältig. Aus meiner Erfahrung sind alle zu ermutigen, diesen Angeboten nicht nachzugeben. Tod und Leben gehören zusammen. Schmerz und Trost auch. Wer sich dem Schmerz öffnet, der wird auch Trost finden. Es zeigt sich, was Jesus in der Seligpreisung sagt: "Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden."

"Auf Gottes Zusage vertrauen"

Katharina Storch, Diakonin evangelische Reformations-Gedächtnis-Kirche und Simeonskirche Hadern:

Leben und Tod – so unterschiedlich und doch so nah miteinander verknüpft. In der Osterzeit wird uns das als Christen wieder bewusst. Der Tod Jesu am Kreuz und die Auferstehung in das Leben. Schwarz und Weiß. Endlich und unendlich. Also ich muss mir immer wieder bewusst vergegenwärtigen, dass beides so untrennbar miteinander verknüpft ist. Ein tröstender und hoffnungsvoller Gedanke hilft mir: Für mich als Diakonin sind diese beiden Worte Gegenstand meines Glaubens. Die Begleitung Gottes im Leben und im Tod sind für mich wesentliche Grundpfeiler in meinem Leben. Da spüre ich ein Bewusstsein und das Gefühl, dass Gott mich in beidem trägt. Mit dem Glauben meine ich, dass ich auf Gottes Zusage vertrauen kann und in dieser Zusage leben kann. Damit wird es für mich einfacher, diese wichtige Lebensthemen, Tod und Leben, in eine Verknüpfung zu setzen, die zu meinem und zu jedem anderen Leben gehört. Dann traue ich mich auch, beides zu denken.

"Viele kleine Tode mitten im Leben"

Hans-Martin Köbler, Pfarrer evangelische Himmelfahrtskirche Pasing:

Leben und Tod gehören zusammen: Kein Leben ohne Tod. Kein Tod ohne vorangegangenes Leben. Fragt sich nur: Was haben wir im Blick? Und wann? Was prägt meinen Alltag, meine Gedanken und Gefühle? Mag sein, dass die moderne Hektik dem Nachdenken über die Zusammenhänge oft in die Quere kommt. Doch auch Betriebsamkeit hat Grenzen: Im Stau, im Bus oder beim Warten auf die nächste Bahn. Es gibt sie, mitten im Leben: Die vielen kleinen Tode. Stillstand und stockender Verkehr. Abschiede von dem, was einem lieb ist und vertraut. Beziehungen zerbrechen. Am Ende zerstört der Tod das Leben. Die Ostergeschichte dreht den Spieß um. Wir Christen sagen: Jesus ist auferstanden. Das Leben besiegt den Tod. Jedes Lächeln, jede Wohltat, jeder gute Witz erzählt davon. Das uralte Osterlachen hat das immer schon gewusst: Halleluja-haha!

"Weniger Teilnahme als früher"

Martin Bickl, Pfarrer, Leiter des katholischen Pfarrverbandes Eichenau-Alling:

Im Umgang mit Angehörigen von Verstorbenen ist immer wieder zu spüren, dass neben christlichen Glaubensvorstellungen heute sehr unterschiedliche religiöse Vorstellungen in unserer Gesellschaft spürbar sind. Im alten römischen Reich wurden Tote außerhalb der Stadtmauern bestattet. Es gehört zu den Errungenschaften christlich-abendländischer Kultur, dass Friedhöfe rund um die Kirchen im Zentrum von Ortschaften errichtet wurden. Die Lage von Friedhöfen bei den Kirchen ist auch Ausdruck des christlichen Auferstehungsglaubens. Das geht in vielen Friedhöfen bis hin zur Ausrichtung der Gräber wie der Kirchen in Richtung Osten. Der Osten steht für Jesus Christus, der in der Bibel mit dem Licht des Morgens verglichen wird. Die Ausrichtung in Richtung Osten, in die Richtung Christi, spiegelt sich in dem Begriff "Orientierung" (von "Orient" für "Osten") wieder. Während es in der Generation meiner Großeltern noch selbstverständlich war, dass in unseren Dörfern Tote zu Hause aufgebahrt wurden und das ganze Dorf einschließlich der Kinder von dem oder der Verstorbenen persönlich Abschied nahm, erlebe ich heute eine große Angst vor der Begegnung mit Verstorbenen. Insbesondere Kinder werden von Verstorbenen ferngehalten, sie werden oft zur Beerdigung z.B. ihrer Großeltern nicht mitgenommen, Eltern tun sich schwer, Kindern zum Thema "Tod" etwas zu erklären. Die Fragen der Kinder können sie sich aber nicht ersparen, wenn Kinder nicht zur Beerdigung mitgenommen werden. Die Beteiligung eines ganzen Dorfes an einer Beerdigung war früher selbstverständlich, heute erlebt man da eine große Anonymität, bis hin zu anonymen Bestattungsformen, die besonders deshalb nicht unproblematisch sind, weil Angehörigen und Freunden eines oder einer Verstorbenen ein Ort für die persönliche Trauer dann oft fehlt. Andererseits sind häufige Wohnortwechsel in beruflichem Kontext Ursache, dass man gar nicht weiß, ob man ein Erdgrab für die vertragliche Nutzungsdauer überhaupt pflegen kann. Der Tod wird zum Teil buchstäblich an den Rand geschoben, Friedhöfe werden aus Ortschaften an deren Grenzen verlagert, von Nachbarn und Bekannten gibt es viel weniger Teilnahme als früher. Das alles hat aber die tragische Folge, dass Menschen dann beim Tod eines nahen Angehörigen oft mit all dem, was da auf sie zu kommt, manches Mal überfordert werden, weil sie sonst nie damit zu tun haben.

"Tod wirft neues Licht auf das Leben"

Ulrike Fries-Wagner, Pfarrerin evangelische Kirchengemeinde Weilheim:

Der Tod gehört zum Leben. Wir denken nur selten daran. Sterben geschieht heute in dafür vorgesehenen Einrichtungen und kaum noch zuhause. Anwesend sind Angehörige oder Menschen, deren Beruf das ist. Der Tod nahe Stehenden löst Trauer und Schmerz aus, besonders bei jungen Menschen oder tragischen Umständen. Wer aber in einer ruhigen Situation mit etwas Distanz mit Sterbenden sprechen kann, macht möglicherweise eine positive Entdeckung. Aus der Perspektive des Todes fällt ein ganz neues Licht auf das Leben. Worüber werde ich einmal auf dem Sterbebett sprechen? Was sind meine kostbarsten Momente? Was würde ich gerne noch erleben? Gibt es etwas, das ich bereue? Vielleicht treffe ich manche Entscheidungen aus dieser Perspektive anders. Auf jeden Fall wird jeder Tag meines Lebens kostbar und einmalig.

"Sich an den Tod gewöhnen? Niemals!"

Andreas Jall, Stadtpfarrer katholische Pfarreiengemeinschaft Starnberg:

Zwei kurze Beobachtungen aus meinem Alltag: Menschen trainieren mit einer für mich außerordentlich großen Ausdauer im Fitnessstudio um die Ecke – um zu leben! Zwar "nur" etwas fitter und gesünder – aber sie wollen leben. Im Gespräch mit Anhängern einer besonderen Ernährungsform (ich weiß nicht mehr ob Vegetarier oder Veganer oder noch strengerer Form) wird eine Strenggläubigkeit und Konsequenz sichtbar, die jedem Dogmatikprofessor leuchtende Augen bescheren würde – um zu leben! Diese Anhänger der angeblich besonders gesunden Lebensform (ich persönlich liebe Weißwürste mit einem Weißbier) wollen leben, sie werden vielleicht sogar etwas länger leben. Wir wollen uns nicht an den Tod gewöhnen. Wir Christen sagen dazu: Gott, der Ewige, hat uns geschaffen. Deswegen können wir nicht anders, als uns nach Leben und Ewigkeit zu sehnen. In Jesus ist uns dieses Leben geschenkt. Frohe Ostern Ihnen!

"Das Kreuz – heilsames Zeichen"

Georg Fetsch, Dekan katholische Pfarreiengemeinschaft Peißenberg/Forst:

Wir leben in hektischen Zeiten. Termin folgt auf Termin. Auch das muss ich noch erledigen. Hier liegt noch was brach. Diese Aufgabe will abgeschlossen sein. Bei so einer Hektik vergisst man allzu leicht, worauf es im Leben wirklich ankommt: Besonnenheit, realistischer Blick, Offenheit für das Außergewöhnliche. Was bedeutet das? Leben ist nicht nur ein Abhaken von Terminen; Leben will bewusst gelebt sein. Was unweigerlich auch zum Leben gehört, ist der Tod. Da helfen keine Scheuklappen, kein Verdrängen. Daran erinnert das Kreuz. Doch trotzdem ist es auch ein zutiefst heilsames Zeichen. Es sagt: Zum Leben gehört zwar der Tod, aber im Tod ist das Leben. Das ist die Botschaft von Ostern, worauf wir zugehen – im Kirchenjahr und mit unserer ganzen Existenz. Darum lohnt sich der Blick auf das Kreuz!

"Ein Lebensort"

Andrea Borger, Pfarrerin evangelische Himmelfahrtskirche Sendling:

"Ort des Lebens" heißt der Friedhof in der jüdischen Tradition. Was als einzigartiger Trauerweg beginnt am Tag der Beisetzung, wenn sich Verwandte und Freunde versammeln für den letzten irdischen Gang, das verwandelt sich durch Besuche, die der Grabpflege dienen und der Beziehungspflege über den Tod hinaus. Für manche werden die Friedhofswege zu vertrauten Alltagswegen. Gerade im städtischen Bereich sind Friedhöfe auch für viele, die dort selber keine Angehörigen liegen haben, ein Lebensort. Oft stehen dort viele Bäume und Büsche. Eichhörnchen und Vögel sind unterwegs, unbekümmert und tröstlich. Geschäftige Menschen mit Gießkannen und Harken begegnen anderen, die mit suchendem Blick zu einem seltenen Besuch kommen. Zarte Netze werden gewoben von den Lebenden hin zu denen, die schon gestorben sind. Jeder kleine Engel, der da liegt, jeder Teddybär auf einem Kindergrab, jedes kleine Herz, am Grabsteinrand abgelegt – Bilder der Hoffnung, dass die, die da liegen, immer noch verbunden sind mit dem Leben und den Lebenden. "Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt. / Keim, der aus dem Acker in den Morgen dringt. / Liebe lebt auf, die längst erstorben schien. / Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün. / Im Gestein verloren Gottes Samenkorn. / Unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn. / Hin ging die Nacht, der dritte Tag erschien. / Liebe wächst wie Weizen und ihr Halm ist grün."


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