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Zum Lesen verführen

Waltraud Lucic: Nur wer lesen kann, nimmt aktiv am Alltag teil

Waltraud Lucic, Vorsitzende des Münchner Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (MLLV). (Bild: pi)

„Lesen ist immer mit Emotionen verbunden“, versichert Waltraud Lucic, Vorsitzende des Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverbands (MLLV).

„Fröhliche Erinnerungen an die Gute-Nacht-Geschichten der Mutter motivieren dazu, ein Buch in die Hand zu nehmen oder das Ebook einzuschalten. Aber auch negative Eindrücke – der Klassenkamerad, der sich beim Vorlesen Zeile für Zeile durch einen Text quält – beeinflussen die Lesebereitschaft“, erklärt Lucic.

Die 9. Kinder und Medien Studie (KIM-Studie) des Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest aus dem Jahr 2012 zeige: Trotz des wachsenden Medienangebots und der stärkeren Verbreitung des Internets, hat das Lesen von Büchern (jenseits von Schulbüchern) noch immer einen sicheren Stellenwert im Alltag von Kindern. 14 Prozent lesen jeden oder fast jeden Tag, ein weiteres Drittel ein- oder mehrmals pro Woche. 29 Prozent lesen seltener, 23 Prozent zählen zu den Nicht-Lesern. Die Studie bestätige außerdem, dass die Affinität zum Lesen bei Kindern weniger mit dem Alter, sondern mehr mit dem Geschlecht zusammenhängt. Je nach Alter lesen zwischen 43 und 53 Prozent mindestens einmal pro Woche. Mit 58 Prozent ist der Anteil der Mädchen aber deutlich größer als der der Jungen (39 Prozent). Dabei gibt es bei den Mädchen dreimal so viel intensive Leser wie bei den Jungen.

Wichtig sei nicht nur das Lesen an sich; erst wenn das Gelesene verstanden werde, bekämen Symbole Bedeutung und Worte Sinn. Nur dann könne mit Texten gearbeitet und könnten Informationen entnommen werden. Lucic: „Lesekompetent ist laut OECD, wer Texte versteht, sie reflektieren und nutzen kann.“

„Kinder, die in einem lesenden Umfeld aufwachsen, werden sich eher am positiven Vorbild orientieren und selbst zum Buch greifen“, davon ist die Pädagogin überzeugt. Zum Lesen verführen, das bedeute Zeit investieren: zum Vorlesen oder zum Stöbern in Bibliotheken. Werde dem Lesen im täglichen Leben Wert beigemessen, entwickelte sich auch bei den Kindern schnell konstantes Interesse.

Warum lesen?

Die Verbandsvorsitzende weiß: „Lesen fördert die Phantasie und verhilft zu mehr Eigenständigkeit. Außerdem verbessert es die Sozialkompetenz und fördert die Chancengerechtigkeit. Nicht zu vergessen ist auch die Einsparung von Folgekosten mangelnder Bildung: Die Bertelsmann Stiftung rechnet in den kommenden 10 Jahren mit 15 Milliarden Euro Folgekosten, wenn es nicht gelingt, niedrig qualifizierten Menschen Bildungschancen und Perspektiven zur Teilhabe am sozialen und beruflichen Leben zu ermöglichen oder zu erhalten.“ Wer viel lese, eröffne sich neue Welten, erweitere seinen Horizont und seinen Wortschatz Lesen sei der Schlüssel zur Gesellschaft, denn nur wer lesen könne, nehme aktiv am Alltag teil und erweitere täglich sein Wissen.

Lesen als Unterrichtsfach?

Der Bayerische Philologenverband (bpv) setzt sich für eine Stärkung der Leseförderung durch zusätzliche Stunden Deutschunterricht ein. „Um Sprachprobleme bewältigen zu können, brauchen die Gymnasien pro Schule pro Tag eine weitere Stunde Deutschunterricht,“ fordert der Vorsitzende Max Schmidt. Lucic dazu: „Natürlich wäre es gut, wenn diese Zeit sinnvoll genutzt werden würde und die Schüler mit unterschiedlichen didaktisch-methodischen Mitteln in die Lesewelt eintauchen könnten. Es gibt aber viele Bereiche, in denen wir nachbessern müssten und eine zusätzliche Unterrichtsstunde dringend nötig wäre.“ Gesundheitsschulung oder Achtsamkeitstraining zum Erhalt von Fitness und Arbeitskraft seien relevant. Im Hinblick auf Globalisierung und Öffnung der Märkte müsse auch mehr Englischunterricht erfolgen, während ein weiteres Fach „Schreiben am Computer“ die technische Eignung für bestimmte Berufe verbessern könne. Es passierten zunehmend mehr Badeunfälle, weil Kinder nicht schwimmen können. Schwimmunterricht müsse eingeführt werden. Die Wirtschaft suche außerdem händeringend technisch vorgebildete Lehrlinge.Technik und Werken müsse in allen Schularten und Jahrgangsstufen angeboten werden; ebenso die Fächer Ernährung und Bewegung.

„Die Schule kann nicht für alle Fehlleistungen geradestehen. Erziehung und Bildung ist eine Ganztagesaufgabe, sie beginnt bereits während der Schwangerschaft. Die Ganztagsschule fängt viele Bereiche ab, aber auch hier besteht die Gefahr der Überfrachtung. Nehmen wir uns Zeit für unsere Kinder,“ bekräftigt die Verbandsvorsitzende ihr Anliegen.

Sie verspricht sich viel davon, interessante und anspruchsvolle Lesesituationen zu schaffen: „Lesenächte, Bücherkisten, Projektwochen und Autorenlesungen können Kindern in der Schule Anreize bieten. Verführen wir unsere Kinder zum Lesen, entführen wir sie in eine sprechende Welt voller Abenteuer und neuer Erfahrungen.“


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