"Wir können nun besser verstehen"
Bayerische Forscher sind den Problemen neolithischer Schafhalter auf der Spur
Die Untersuchung der Überreste ungeborener und neugeborener Lämmer zeigt Forschenden, mit welchen grundlegenden Problemen unsere Vorfahren bei der Schafhaltung während des frühen Neolithikums (vor etwa 10.000 Jahren) zu kämpfen hatten.
Um Aussagen über mögliche Ursachen für die Lämmer-Sterblichkeit in der prähistorischen Nutztierhaltung treffen zu können, ist eine exakte Bestimmung des Sterbealters der Tiere notwendig. Eine Forschergruppe unter der Leitung der SNSB (Staatliche Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns) entwickelte nun ein statistisches Referenzmodell für eine solche Altersbestimmung bei prähistorischen Lämmern. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Journal of Archaeological Science.
Auf die Haltung kommt es an
Schon im 8. Jahrtausend vor Christus lernten die ersten Schafhalter, dass die Haltungsbedingungen ihrer Tiere sich auf die Sterblichkeit von ungeborenen und sehr jungen Lämmern auswirken. Eine internationale Forschergruppe um Dr. Nadja Pöllath, Kuratorin an der Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie München (SNSB-SAPM), und Prof. Dr. Joris Peters, Direktor derselben Sammlung, untersuchten in einer Studie Knochen von noch ungeborenen und neugeborenen Lämmern. Diese waren im Fundgut der frühneolithischen Siedlung Aşıklı Höyük (Zentraltürkei, ca. 8350 und 7300 v. Chr.) ungewöhnlich zahlreich. Im Laufe der langen Besiedelung scheinen sich die Überlebenschancen von Lämmern nach ihrer Geburt verbessert zu haben, während die Sterblichkeit bei Föten in etwa gleich geblieben zu sein scheint.
Wertvolle Einblicke
Dass die Sterblichkeit von Milchlämmern in Aşıklı Höyük im Lauf der Zeit abnahm, führen die Forscher auf Verbesserungen in der Viehhaltung wie z.B. Weidehaltung zurück. Die frühneolithische Stätte Aşıklı Höyük ist die größte und am besten untersuchte Siedlung in Zentralanatolien und war von ca. 8350 v. Chr. bis ca. 7300 v. Chr. dauerhaft bewohnt. Aşıklı Höyük gibt wertvolle Einblicke in Architektur, Kultur, Ernährung von Mensch und Tier, Vegetation sowie in die Entwicklung von Ackerbau und Tierhaltung in der Jungsteinzeit. Während zu Beginn der Besiedlung die Jagd noch wichtig für die Fleischversorgung der Bewohner war, gewann später die Nutztierhaltung an Bedeutung, wobei Schafe die wichtigste Nutztierart waren. Der Nachweis von Aborten und dicken Dungpaketen in und zwischen den Häusern beweisen, dass die Bewohner ihre Schafe über längere Zeit innerhalb der Siedlung hielten.
Neue Methoden entwickelt
Um ergründen zu können, mit welchen Problemen die neolithischen Schafhalter konfrontiert waren und welche Maßnahmen sie zu deren Beseitigung trafen, ist es entscheidend, zunächst das genaue Sterbealter eines Tieres festzustellen. Daraus kann dann auf die Todesursachen geschlossen werden. Traditionelle Methoden für die Bestimmung des Sterbealters eines Tieres basieren z.B. auf der Untersuchung von Zähnen. Für die Unterscheidung der Entwicklungsstadien bei jungen Schafen – Fötus, Neugeborenes, Jungtier - sind die meisten Methoden allerdings nicht genau genug.
In der Studie haben Nadja Pöllath und ihre Kollegen ein neues statistisches Modell entwickelt, um das Alter bei Eintritt des Todes von Schafsföten und Lämmern so exakt wie möglich bestimmen zu können. Für die Lebensaltersbestimmung analysierten die Forscher Oberarmknochen (Humerus) von modernen Schafen bekannten Alters in Referenzsammlungen in den USA, UK, Spanien, Portugal und Deutschland. Daraus erstellten sie ein Modell, mit dessen Hilfe das Alter der prähistorischen Lammfunde aus Aşıklı Höyük präzise bestimmt werden konnten. „Unsere Analysen haben wesentlich dazu beigetragen, die Ursachen der Sterblichkeit bei fötalen und jungen Lämmern einzugrenzen. Wir können nun besser verstehen, mit welchen Schwierigkeiten die Menschen während der frühen Schafhaltung und Domestizierung in Aşıklı Höyük konfrontiert waren“, erläutert Nadja Pöllath. Als Todesursachen für Föten und Lämmer seien in erster Linie Infektionen in Verbindung mit Unter- und Mangelernährung sowie zu enger Aufstallung verantwortlich zu machen.
30 Millionen einzelne Objekte
Die Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns (SNSB) sind eine außeruniversitäre Forschungs- und Bildungsinstitution mit fünf naturkundlichen Staatssammlungen der Fachrichtungen Zoologie, Botanik, Geologie und Paläontologie, Mineralogie, Anthropologie und Paläoanatomie, sowie acht Schaumuseen in München, Bamberg, Bayreuth, Eichstätt und Nördlingen und dem Botanischen Garten München-Nymphenburg, mit insgesamt ca. 260 Mitarbeitern und über 30 Mio. Einzelobjekten. Die Schaumuseen der SNSB ziehen jährlich rund 700.000 Besucher an. Info: www.snsb.de.
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