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"Wir dürfen nicht einfach hingehen und Flaschen sammeln"

AWM-Werkleiterin Sabine Schulz-Hammerl über Können und Dürfen, Schmutzbären und guten Willen, Recycling un

Sabine Schulz-Hammerl: "Jeder will ein Superentsorgungssystem in Fußnähe, aber keiner will neben einer Wertstoffinsel wohnen." (Bild: job)

Vor fast 30 Jahren trat die Verpackungsverordnung bundesweit in Kraft. Hatten vorher die Städte und Gemeinden den Müll ihrer Einwohner entsorgt, ist seither die Wirtschaft verpflichtet, Verpackungsmaterial zu sammeln und zu verwerten. Während viele Städte und Gemeinden weiterhin Bioabfall, Restmüll und oft Papier abholen (über ihre Müllabfuhr), sammeln private Firmen Plastik, Dosen / Metall und Glas (in München über die Wertstoffinseln) ein. Neben der städtischen Müllabfuhr (bzw. dem AWM in München) gibt es also ein zweites („duales“) System mit privaten Entsorgern.

Sabine Schulz-Hammerl ist seit September 2019 die Zweite Werkleiterin des Abfallwirtschaftsbetriebs München (AWM). Viele Beschwerden über unsere Wertstoffinseln landen auf ihrem Schreibtisch. Sie sprach mit Johannes Beetz über das System.

"Ich verstehe, dass man es nicht versteht"

In den vergangenen Wochen häufen sich die Beschwerden über vermüllte Wertstoffinseln. Wie reagiert der AWM auf den Unmut der Bürger?

Sabine Schulz-Hammerl: Ich bin todunglücklich, dass viele Standorte vermüllt sind. Mir gefällt das auch nicht. Ich muss aber betonen: Dieses System gehört nicht zum AWM. Das verstehen die meisten nicht und ich verstehe, dass man es nicht versteht. Es ist kompliziert:

Wir haben einen Strang, über den wir – die Stadt bzw. der AWM - Restmüll, Papier und Bioabfälle sammeln.

Daneben gibt es einen zweiten Strang für Verpackungen aus Glas, also vor allem Flaschen, und anderen Materialien, die von privaten Firmen gesammelt und entsorgt werden, nicht von den Kommunen. Das ist privatwirtschaftlich organisiert.

Wir als AWM sind für diesen zweiten Strang und damit für die Wertstoffinseln nicht zuständig. Wir können das Duale System und die von ihm beauftragten Unternehmen immer nur bitten: Bitte leert häufiger. Bitte versucht, die Plätze sauber zu halten.

Die Entsorger – bei uns die Firmen Remondis und Wittmann – haben einen Vertrag mit dem Dualen System. Sie bekommen Geld für eine ganz bestimmte Leistung und müssen wirtschaftlich arbeiten. Wenn ich möchte, dass sie eine Wertstoffinsel viermal in der Woche leeren, für die sie aber nur zwei Leerungen bezahlt bekommen, werden sie das kaum tun.

"Es muss für alle ausreichen"

Leser, die sich über die Vermüllung beklagen, halten „das System für gescheitert“. Wie geht es nach dem Auslaufen des bestehenden Vertrages 2021 grundsätzlich weiter?

Sabine Schulz-Hammerl: Wir haben einen Abstimmungsvertrag mit dem Dualen System bis Ende des Jahres. Danach bleibt das System für drei weitere Jahre das gleiche. Wir haben nur diesen Vertrag mit dem Dualen System; die suchen sich dann die Unternehmen aus, die die Wertstoffinseln bei uns anfahren. Wir haben keinen Einfluss, wer diese Firmen sind. Ich kann daher nicht sagen, wer im nächsten Jahr die Container leert. So ist das leider.

Das System ist sicher nicht gescheitert. Bis vor Corona hat es relativ gut geklappt, auch wenn es einzelne Hot Spots der Überfüllung gab. Jetzt habe ich das Gefühl, es ist viel mehr, obwohl sich die Unternehmen bemühen. Ich vermute, wir erleben gerade eine Ausnahmesituation. Jetzt sind wegen Corona zum ersten Mal wirklich alle Münchner da. Das hatten wir sonst nie, es waren immer auch welche in Urlaub. Aber natürlich muss das System so ausgelegt sein, dass es für alle ausreicht.

"Wir dürfen es nicht besser machen"

Viele Bürgerbeschwerden landen bei Ihnen. Was können Sie bewegen?

Sabine Schulz-Hammerl: Wir als Kommune bzw. AWM können nur abstimmen, auf welche Weise die Privaten den Verpackungsmüll sammeln. Er gehört uns aber nicht. Wir als AWM dürfen also nicht einfach hingehen und Flaschen sammeln. Wir würden das besser machen, aber wir dürfen es nicht besser machen.

In München haben wir zwei Firmen der Dualen Systeme als Ansprechpartner. Diese beiden wiederum schreiben z.B. die Glaseinsammlung aus. Wer das am günstigsten kann, bekommt den Auftrag. Das heißt: Der Vertrag besteht zwischen den Dualen Systemen und der Sammelfirma (in München sind das Remondis und Wittmann), aber nicht mit uns. Ich bin in diesem Zusammenhang in derselben Position wie jeder andere Bürger.

"Wir können das nicht regeln"

An wen kann sich ein Bürger bei Beschwerden wenden? Wer kann am schnellsten helfen, Probleme zu lösen?

Sabine Schulz-Hammerl: Der Bürger muss sich an die Betreiberfirmen wenden. Wir können das nicht regeln, wir haben keinen Einfluss darauf. Wir können uns ja nicht einmal die Betreiberfirmen aussuchen. Ich habe keinen Einfluss auf die Auswahl der Standplätze, auf die Leerung der Container und auf die Reinigungshäufigkeit. Der Betrieb der Wertstoffinseln obliegt Remondis und Wittmann. Ich habe keine Restriktionen in der Hand, sondern kann nur auf deren guten Willen setzen. Ich kann nur sagen: Bitte, duales System, mach es besser.

Nur beim Lärmschutz können wir Vorgaben machen – Container müssen mindestens 12 Meter von der nächsten Wohnbebauung entfernt sein.

Das ist bei den Mülltonnen anders. Die gehören uns und wir können die so gestalten, wie es für den Bürger am sinnvollsten ist.

"Nicht vor meiner Haustür!"

Der Ärger vieler Bürger ist verständlich. Verursacher der Probleme sind aber ... auch Bürger. Wir alle wollen möglichst kurze Wege zum Container, um nicht weit schleppen zu müssen; nur zu nah sollten sie auch nicht vor unserer Nase aufgestellt werden, weil wir Lärm und Dreck lieber vor der Haustür der Anderen haben als vor der eigenen. Wie lösen Sie dieses Dilemma?

Sabine Schulz-Hammerl: Wir haben zwölf Wertstoffhöfe und die Sperrmüllabholung. Es gibt keinen Grund, etwas neben dem Container zurückzulassen.

Man rechnet mit einem Containerplatz für etwa 1.000 bis 2.000 Einwohner. Übers ganze Stadtgebiet sind derzeit 920 Wertstoffinseln verteilt. Die Standorte müssen die Betreiberfirmen beantragen.

Der AWM organisiert nur das Verfahren, ob der Platz genehmigungsfähig ist. Wir versuchen immer wieder, dass die Dualen Systeme neue Wertstoffinseln einrichten, weil die Stadt ja wächst. Aber das gestaltet sich als zunehmend schwierig. Jeder will ein Superentsorgungssystem in Fußnähe, aber keiner will neben einer Wertstoffinsel wohnen. Da gibt es schon Bürger, die das System ganz in Frage stellen: Woanders sind Container okay, nur nicht vor meiner Haustür!

In der eng bebauten Stadt tun sich die Betreiberfirmen, die von den Dualen Systemen beauftragt sind, wirklich schwer, neue Standorte zu finden, weil diese viele Vorgaben berücksichtigen müssen. Wenn man dann einen Platz findet, wo nicht sofort eine Bürgerinitiative dagegen ist, kann man sich glücklich schätzen.

"Die sagen: Das finanzieren wir nicht!'"

Wie sind die Erfahrungen mit Unterflurcontainern?

Sabine Schulz-Hammerl: Wir würden uns mehr wünschen. Bei den Abstimmungen sagt das Duale System aber knallhart: „Wir haben keine Lust, eine Stadtbildverschönerung in München zu finanzieren“ - so der O-Ton. Das Duale System hat ein flächendeckendes System in ganz Deutschland. Warum sollte es für München ein besseres System finanzieren als für den Landkreis Bayreuth? Ich sage. Beides ist nicht vergleichbar, denn in München wohnen viel mehr Menschen auf engem Raum. Deswegen bräuchten wir ein anderes System. Das Duale System sagt: Das finanzieren wir nicht. Wir als AWM dürfen es aber nicht selbst finanzieren und dafür die Müll-Gebühren verwenden.

Ich bin in Sachen Unterflurcontainer zweigeteilt. Auch bei Unterflurcontainern werden Sachen danebengestellt und gibt es Verschmutzungen. Das größte Problem sind auch hier die „Schmutzbären“, die keine Lust haben, zum Wertstoffhof zu fahren.

Unterflurcontainer sind nicht leicht machbar: Im Boden liegen fast überall Sparten (Wasser-, Strom-, Gasleitungen etc.) und man braucht oberirdisch Platz für die Entsorgungsfahrzeuge, damit sie die Container hochheben können. Daher dürfen z.B. keine Bäume in der Nähe stehen.

"Nur 17 Prozent vom Plastik werden recycelt"

Vor „Corona“ konnte man manchmal meinen, Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung seien Dinge, die erst die Friday-for-future-Bewegung erfunden hätte. Das Wertstoffinsel-System funktioniert ja seit vielen Jahren auf genau dieser Grundlage. Kann man den Beitrag, den München über seine Wertstoffinseln mit dem Recycling von Glas, Dosen und Kunststoffen zu mehr Nachhaltigkeit leistet, beziffern?

Sabine Schulz-Hammerl: Das kann man so nicht konkret abschätzen. Wir sind keine Fans der Verpackungsverordnung. Die finden wir nur mit Blick auf Glas gut. Das wird super recycelt: Jede abgegebene Flasche ist perfekt. So ist es auch mit Dosen und Metall. Das wird zu 99 Prozent wiederverwertet. Hier ist das System wirklich gut.

Anders sieht es bei den Kunststoffen aus. Das wird erst mal gesammelt, dann wird es aufwendig und mit hohem Energieverbrauch wegtransportiert und sortiert – aber am Ende werden maximal 17 Prozent wirklich recycelt. Der Rest wird verbrannt – genauso als wäre er in der Restmülltonne gelandet. Das ist traurig. Der Bürger, der seinen Joghurtbecher zum Container bringt, glaubt, alles werde recycelt. Das Recycling darf aber auch im Ausland erfolgen. Das ist oft günstiger und legitim, aber es ist ein Problem, denn ein Drittel des exportierten Plastiks landet letztlich im Meer – darunter auch mancher Joghurtbecher aus Münchner Containern.

Das ist kein gutes System. Wenn man nur 17 Prozent des gesammelten Plastiks wiederverwerten kann, muss man sich doch vorher überlegen, wo der Rest hingehen wird! Das ist ein großer Schwindel. Aber die Politik hat kein großes Interesse, das zu ändern.

"Bei Papier, Glas, Metall funktioniert es gut"

Aber unser Stadtrat müsste an einem funktionierenden System doch sehr wohl Interesse haben ...

Sabine Schulz-Hammerl: Für Verpackungsabfälle sind die Dualen Systeme zuständig, das hat die Bundesgesetzgebung geregelt. Da kann der Stadtrat machen, was er will. Er hat wenig Möglichkeiten.

Das Optimum wäre, die Dinge sammeln zu können, die auch hier bei uns recycelt werden. Aber man kommt aus dem Dualen System nicht raus.

Und man müsste Produkte so herstellen, dass sie später gut recycelt werden können. Das funktioniert gut bei Papier, bei Glas, bei Metall. Aber nicht bei Plastik, wo oft verschiedene Kunststoffe miteinander verbunden sind.

Auch bei diesen ist beim Recycling technisch vieles möglich, aber die Frage ist, was das kostet. Hier in Deutschland wird Plastik größtenteils verbrannt. Warum muss der Bürger Kunststoff separat sammeln und warum transportiert man ihn sonst wohin, wenn er dann unter Umständen in schlechteren Anlagen verbrannt wird als in einer technisch guten Müllverbrennungsanlage vor Ort?

Wir wollen gar keinen Müll. Das ist der beste Weg. Wenn er aber anfällt, dann sollten wir so damit umgehen, dass wir ihn sinnvoll behandeln und recyceln können.


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