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Wie erreicht die Politik die Bürger?

Wo und wie sich Bayerns Bürger heute engagieren

Inwieweit sind die Bürger Bayerns heutzutage politisch und gesellschaftlich engagiert und in welcher Form? Die Hanns Seidel Stiftung ließ 1.854 bayerische Bürger diese Frage in einer telefonischen Umfrage beantworten und präsentierte die Ergebnisse vergangene Woche. „Wir wollen Ernst machen mit dem Weg in die Bürgergesellschaft", erklärt Hauptgeschäftsführer Dr. Peter Witterauf das Ziel der Studie „Politische Partizipation und gesellschaftliches Engagement in Bayern".

Staatsminister a.D. Hans Zehetmair, bemerkte in seiner Eröffnungsrede: „Politik beginnt nicht unbedingt erst bei den Parteien!". Die Bürger nützten vielmehr ihre Möglichkeiten zur Mitwirkung am gesellschaftlichen und politischen Leben im Rahmen von Vereinen (Sport, Kirchen etc.), Stammtischen, Ehrenämtern, Hilfsorganisationen, Bürgerinitiativen. Diese Zugehörigkeit zu formellen und informellen Organisationen wird als „vorpolitischer Raum" bezeichnet.

Gewinner, Verlierer, Trends

Dr. Helmut Jung, Geschäftsführer des Umfrage-Instituts GMS, präzisierte: Die gesellschaftliche Partizipation sei laut Studie nicht weniger geworden, die Strukturen des Engagements jedoch hätten sich verschoben. So hätten die sog. formellen Organisationen, allen voran die Vereine mit 43% Engagierten, und die kirchliche Vereinigungen mit 20%, an Mitgliedern verloren. Schlusslichter seien mit 4% bzw. 6 % Mitgliedern die Selbsthilfegruppen und politischen Parteien, die von rund 80% abgelehnt werden („kann mir nicht vorstellen, beizutreten"). Die Hilfsorganisationen (17%) und Bürgerinitiativen (14%) hätten hingegen an Zuwachs gewonnen, das Engagement sei hier jedoch weniger dauerhaft und sehr spezifisch. Dr. Witterauf kommentierte diesen Trend: „Man kann mit Bürgerinitiativen keine Demokratie gestalten!"

Insgesamt sind zwei Drittel aller bayerischen Bürger in irgendeiner Form gesellschaftlich engagiert, wobei es bei der Aktivität der Mitglieder starke Unterschiede gibt: Allen voran führen die Stammtische, bei denen 58% der Mitglieder „sehr aktiv" sind, gefolgt von 45% „sehr Aktiven" bei den Vereinen und 39% bei den politischen Parteien. Die traditionellen Organisationen des bürgerlichen Engagements sind also gleichzeitig die mit den aktivsten Mitgliedern, wohingegen die neuen Formen, wie z.B. Bürgerinitiativen, 66% „inaktive" Mitgliedern haben.

Es zeichnet sich auch eine Abkehr vom gemeinschaftsbezogenen Engagement zugunsten individualistischer Initiativen ab. Sorgen mache auch, so Dr. Jung, die sinkende Bereitschaft, Funktionen in Ämtern zu übernehmen.

Überrascht hat die deutliche Relevanz der Stammtische, v.a. in Altbayern, als Interessenvertretungen. Mit einer „Mitgliedschaft" von 43% entspricht ihr Potential sogar dem der Vereine.

Chancen für die Politik im vorpolitischen Raum

Bei 42% aller Engagierten spielt Politik eine Rolle im Verein. Da die Parteien für die Bürger nicht attraktiv sind, wären die politischen Parteien deshalb gut beraten, innerhalb dieses vorpolitischen Raums mit den Bürgern in Kontakt zu treten. „Die Parteien verpassen hier eine Chance, mit dem Wähler zu kommunizieren", warnt Jung.  Witterauf bestätigt: „Parteien müssen darauf achten, wie sie im vorpolitischen Raum verankert sind und wie sie dort das Ansehen der Parteien verbessern können".

Erwiesen hat sich auch, dass das Internet und Webblogs zwar Potential hätten, aber bislang nur zu ca. 3% für politische Zwecke genutzt würden. Die Sekundärberichterstattung dieser Minorität, die die Internetinformationen dann in die Öffentlichkeit bzw. Medien weitertrage, sei aber ein wichtiger Faktor, wie z.B. bei Wikileaks. Die traditionellen Organisationen und Institutionen, wie Vereine und Kirchen, sind jedoch nach wie vor die erste Wahl und entscheidend beim bürgerlichen Engagement.


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