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Wenn die Mutter stirbt

Ruth Eder über den Tod und ihr Buch "Ich spür noch immer ihre Hand"

Ruth Eder hat mit Frauen über den Tod ihrer Mutter gesprochen. 15 dieser Interviews sind in dem Buch "Ich spür noch immer ihre Hand. Wie Frauen den Tod ihrer Mutter bewältigen" erschienen. (Bild: Angelika Bardehle)

"Die Mutter war's. Was braucht's der Worte mehr?" lautet ein Trauerspruch, der gelegentlich auch in Todesanzeigen zu lesen ist. Ein Spruch, in dem – in all seiner Kürze – eine eindeutige Botschaft steckt: Wenn die eigene Mutter stirbt, ist das ein besonders einschneidendes Ereignis. Was bedeutet der Tod der Mutter für die Tochter? Dieser Frage ist die Autorin Ruth Eder bereits vor über 25 Jahren, nach dem Tod ihrer Mutter, nachgegangen und hat Frauen zu diesem Thema befragt. Entstanden ist aus diesen Interviews das Buch "Ich spür noch immer ihre Hand. Wie Frauen den Tod ihrer Mutter bewältigen." Nun ist das Buch in einer überarbeiteten Neuauflage erschienen. Tanja Beetz sprach mit Ruth Eder.

"Ich plädiere stark für die Hospiz-Bewegung"

Ist der Tod ein Tabuthema in unserer Gesellschaft? Wie kann man ihn mehr ins Leben holen?

Ruth Eder: Leider ist der Tod – auch wenn er uns jetzt durch Corona bedrohlich näher rückt – in unserer materialistischen Gesellschaft immer noch ein Tabuthema. Immerhin gibt es jetzt aber auch bei uns die Hospiz-Bewegung, für die ich in meinem Buch stark plädiere: Sie sorgt dafür, dass es in nahezu jeder Stadt und jeder Gemeinde Hospiz-Begleiter und -Begleiterinnen gibt, die Sterbende nicht allein lassen mit dem Tod. Dennoch sehen wir, dass sich viele, besonders junge Menschen, lieber mit Feiern und Verweigerung befassen, als sich von Masken und Abstandsregeln an die Todesgefahr erinnern zu lassen. Aber auch mit dem "ganz normalen Tod", möglichst weitab in im Grünen gelegenen Altersheimen oder Pflegestationen will sich keine Generation gern intensiv befassen und hält überwiegend Krankenschwestern und Pfarrer für die eigentlich Zuständigen für dieses traurige Thema.

"Mutter-Tochter-Bindung ist etwas Besonderes"

"Dass auch unser Leben ein Ende hat, wird uns nie schonungsloser vor Augen geführt, als durch den Tod unserer Mutter", heißt es in ihrem Buch, das 1994 erstmals erschien. Wie kommen Sie zu dieser Bewertung?

Ruth Eder: Mein Buch wendet sich ja ausdrücklich an Frauen, auch wenn es immer wieder von Männern gelesen wird. Denn die Mutter-Tochter-Bindung ist schon etwas ganz Besonderes, da die Mutter nicht nur die Versorgerin des kleinen Mädchens, sondern später auch sozusagen die „Sparrings-Partnerin“ in Sachen Identitätsfindung der Tochter als Frau und Mutter ist. An der Mutter orientieren sich immer noch die meisten Mädchen, im Guten oder im weniger Guten. Das belegen auch meine Interview-Partnerinnen.

"Es zeichnet sich ein Wandel ab"

Ist der Tod von Vätern ein weniger einschneidendes Erlebnis als der Tod von Müttern?

Ruth Eder: Sicher gibt es Vater-Kind-Beziehungen, die besonders intensiv sind. Aber in unserer Gesellschaft werden Kinder immer noch vorwiegend von Müttern großgezogen und umsorgt, was besonders bei Töchtern zu einer starken Bindung führt, auch was das Vor-Bild der Mutter als Frau angeht. Es zeichnet sich aber bei jungen Vätern ein Wandel ab, die mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen möchten und damit intensivere Beziehungen zum Nachwuchs bilden.

"Sich fügen in den Lauf des Lebens"

Sie sind nun selbst 28 Jahre näher an Ihren eigenen Tod herangerückt. Welche Gefühle haben Sie bei diesem Gedanken?

Ruth Eder: Durchaus mulmige, denn jede Kreatur will zunächst mal so lang wie möglich am Leben bleiben. Aber von Jahr zu Jahr wird mein Widerstand geringer und ein Sich-Fügen in den Lauf des Lebens, der ja nun für kein Wesen auf Erden das ewige Leben vorsieht, bricht sich Bahn. Dies Sich-Ergeben wird mir sicher eines Tages meinen eigenen Tod erleichtern, ich habe es bei meiner Oma erlebt, die mit 93 Jahren in meinem Arm ganz sanft gestorben ist.

"Ein ewiges ,Stirb und Werde'"

Wie "rüsten" Sie Ihre eigene Tochter für den bevorstehenden Abschied?

Ruth Eder: Eigentlich habe ich sie schon gerüstet: Ich habe ihr damals nämlich ihre Uroma auf dem Totenbett gezeigt und diesen sehr friedlichen Anblick hat sie heute noch vor Augen und sagt, dass er ihr die Angst vor dem Sterben nimmt. Sie war damals fünf Jahre alt. Allerdings war der einige Jahre darauf folgende Abschied von ihrer geliebten Oma sehr belastend für sie und sie hört es deshalb nicht gern, wenn ich von meinem eigenen Tod spreche. Meine Tochter erwartet gerade mit ihrem Mann ein Baby und ist eher auf Neustart denn auf Abschied gepolt, aber ich versäume es dennoch nicht, von unserem alten Kater zu sprechen, der immer schwächer wird. Ein ewiges "Stirb und Werde" eben ...

"Man umgab den Sterbenden"

Wie sieht der "ideale Tod" für Sie aus?

Eigentlich wie der, der noch vor 100 Jahren in Deutschland "üblich" war: Die alte Bäuerin oder der alte Bauer lagen in ihrem Bett, die Großfamilie um sie oder ihn versammelt. Man betete, weinte, lachte und umgab den Sterbenden mit Liebe und Wehmut. Kerzen brannten, der Pfarrer kam, all diese Rituale gaben einen starken Halt. Aber was mich angeht, war eigentlich mein eigener Abschied von meiner Großmutter und meiner Mutter der "ideale" Tod, denn auch ohne Großfamilie war ich bis zum letzten Atemzug bei ihnen. Und das ist es wohl, was letztlich zählt und einen enormen Trost darstellt im Gefühl, standgehalten und nichts versäumt zu haben.

"Hoffnung auf ein Weiterleben"

Viele der von Ihnen interviewten Frauen finden Trost in dem Gedanken auf ein Wiedersehen nach dem Tod. Teilen Sie diese Zuversicht?

Ruth Eder: Die Zuversicht nicht, aber eine Hoffnung. Und die tröstet auch mich. Meine Oma hatte diese starke Zuversicht, ich hingegen hoffe, dass man im Jenseits tatsächlich die Seelen seiner Lieben wiedererkennt und mit ihnen für immer vereint ist. Ich habe meiner Tochter mehrmals "dezent" gesagt, wie tröstlich es für mich war, in der Todesstunde bei Uroma und Oma gewesen zu sein. Ich hoffe also insgeheim, dass auch sie mich nicht alleine lässt, wenn mein "Stündlein" gekommen ist. Ein Kontakt mit meiner Mutter nach ihrem Tod hat übrigens meine Hoffnung auf ein Weiterleben verstärkt ...


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