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Warum werden die Kurzzeitpflegeplätze immer weniger, wenn wir doch immer mehr brauchen?

Die Millionen-Frage des Monats Januar

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. (Bild: BMG)

Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt jedes Jahr an: 2005 waren es laut Statistischem Bundesamt 2,1 Millionen, 2017 bereits 3,4 Millionen. Zugleich sinkt trotz wachsendem Bedarf aber die Zahl der verfügbaren Kurzzeitpflegeplätze: 2005 waren es 11.367 Plätze, 2017 nur noch 8.621. Bundesweit verschärft sich also der Engpass an Kurzzeitpflegeplätzen.

In ihrem Koalitionsvertrag haben Union und SPD indes eine Entlastung von Angehörigen versprochen: „Um Angehörige besser zu unterstützen, gehören insbesondere Angebote in der Kurzzeit- und Verhinderungspflege ..., die besonders pflegende Angehörige entlasten, zu einer guten pflegerischen Infrastruktur ... Wir werden die Angebote für eine verlässliche Kurzzeitpflege stärken.“

 

"Ich werde mich um Verbesserungen kümmern"

Herr Spahn, warum werden die Kurzzeitpflegeplätze immer weniger, wenn wir doch immer mehr brauchen?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:

Wer sich dazu entschieden hat, einen nahestehenden Menschen zu Hause zu pflegen, verdient Dank und Anerkennung – aber vor allem Unterstützung. Daher hat die Bundesregierung die Leistungen für pflegende Angehörige in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut – das reicht von unentgeltlichen Pflegekursen bis zur besseren sozialen Absicherung bei der Rente. Ganz wichtig ist, dass pflegende Angehörige eine Auszeit von der Pflege nehmen können. Denn auch sie können krank werden oder eine Rehabilitation benötigen. Gerade für pflegende Angehörige ist es wichtig, einfach mal in den Urlaub fahren zu können, um sich vom Pflege-Alltag zu erholen.

"Angehörige gut versorgt wissen"

Eine Auszeit von der Pflege können und wollen viele Angehörige aber nur nehmen, wenn sie die ihnen anvertraute pflegebedürftige Person in der Zwischenzeit gut versorgt wissen. Außerdem ist eine gute Kurzzeitpflege wichtig, wenn es um die Nachsorge pflegebedürftiger Patienten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus geht. Für beides brauchen wir eine ausreichende Zahl von Plätzen in entsprechend qualifizierten Kurzzeitpflegeeinrichtungen, aber auch in regulären Pflegeheimen.

"Wir haben einen Mangel"

Richtig ist, dass es weniger Einrichtungen gibt, die ausschließlich Kurzzeitpflege anbieten. Gleichzeitig bieten aber einige Einrichtungen, in denen bisher nur Dauerpflege möglich war, inzwischen auch Kurzzeitpflege an. Das gleicht den Bedarf aber nicht vollständig aus. Wir wissen, dass es angesichts einer zunehmenden Zahl Pflegebedürftiger und einer steigenden Nachfrage von Seiten der pflegenden Angehöriger mittlerweile einen Mangel an verfügbaren Plätzen für die Kurzzeitpflege gibt. Daher haben wir auch im Koalitionsvertrag verankert, uns für eine verlässliche Kurzzeitpflege einzusetzen. Ich werde mich um Verbesserungen bei der Kurzzeitpflege kümmern – wir arbeiten gerade an konkreten Vorschlägen, wie das umgesetzt werden kann. Unser Ziel ist klar: Wir werden die Angebote für Kurzzeitpflege stärken – denn das stärkt pflegende Angehörige.

 

"Leider oft gewinn- und nicht menschenorientiert"

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland:

Die Versorgung Pflegebedürftiger wurde seit Einführung der Pflegeversicherung dem freien Markt überlassen. Das heißt, das Anbieten von Pflegeleistungen ist in Deutschland bisher leider oft gewinn- und nicht unbedingt menschenorientiert. Es war (und ist) eine politische Entscheidung, die Pflege älterer Menschen nicht durch eine vollfinanzierte Pflegeversicherung zu sichern. Da es keinen Versorgungsauftrag für pflegerische Dienstleistungen wie Kurzzeitpflege gibt, wird die Zahl der weißen Flecken auf der deutschen Pflegelandkarte immer größer.

40 Prozent sind älter als 70 Jahre

Pflegeanbieter können sich die lukrativsten Rosinen herauspicken. Kurzzeitpflegeplätze vorzuhalten, ist derzeit aber ein Verlustgeschäft. Denn die Kurzzeitpflege wird nur dann von der Pflegeversicherung bezahlt, wenn ein Bett tatsächlich genutzt wird. Deshalb gibt es Kurzzeitpflege in den Pflegeheimen meist nur als Zwischennutzung. Und Pflegeheime sind vielerorts ganzjährlich vollbelegt. Für pflegende Angehörige, die dringend eine Auszeit brauchen, ist das ein Desaster. Sie müssen diesen eklatanten Mangel ausbaden.

Ich halte diese Entwicklung für sehr gefährlich: Mehr als die Hälfte der pflegenden Angehörigen hat niemanden, der sie im Fall des Falles in der häuslichen Pflege vertreten kann. 40 Prozent der Hauptpflegepersonen sind 70 Jahre und älter. Diese Menschen arbeiten sich im wahrsten Sinne des Wortes komplett auf, weil sie keine Entlastung bekommen, selbst wenn diese ihnen wie die Kurzzeitpflege theoretisch zusteht.

Verbindliche Quote für Kurzzeitpflege nötig

Der Sozialverband VdK fordert eine verbindliche Quote in allen Pflegeeinrichtungen für Kurzzeitpflegeplätze. Dafür muss in der Pflegeversicherung eine entsprechende Finanzierung eingeführt werden. Die Bundesländer sind ebenfalls in der Pflicht und müssen den Ausbau der Kurzzeitpflegeangebote stärker mit Steuermitteln fördern. Auch das von der Koalition vereinbarte Ziel, Angehörige besser zu unterstützen und ein jährliches Entlastungsbudget zu schaffen, das flexibel in Anspruch genommen werden kann, muss zügig umgesetzt werden. Darüber hinaus würde eine Pflegevollversicherung nach Vorbild der Krankenversicherung viele Finanzierungsnöte von Pflegebedürftigen und Angehörigen lindern.

 

"Kurzzeitpflegeplätze sind ein unverzichtbarer Baustein"

Prof. (Univ. Lima) Dr. Peter Bauer, MdL, Patienten- und Pflegebeauftragten der Bayerischen Staatsregierung:

Laut eines aktuellen Gutachtens des IGES Instituts zur Kurzzeitpflege in Bayern, das im Auftrag des Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) erstellt wurde, ist in der Tat in den letzten 20 Jahren die Zahl der Kurzzeitpflegeplätze in Bayern stark zurückgegangen. So standen beispielweise im Jahr 2005 insgesamt 1.152 zweckgebundene Kurzzeitpflegeplätze zur Verfügung, 2013 waren es nur noch 550. Als Gründe für einen Rückgang der Kapazitäten für Kurzzeitpflege werden zum einen eine steigende Nachfrage nach Dauerpflege genannt und zum anderen Personalmangel, keine auskömmliche Refinanzierung sowie bauliche Anforderungen.

In unserer immer älter werdenden Gesellschaft stellen Kurzzeitpflegeplätze einen unverzichtbaren Baustein in der pflegerischen Versorgung von Betroffenen dar. Die meisten Menschen möchten so lange wie möglich zu Hause leben können und in ihrem gewohnten Umfeld von vertrauten Personen gepflegt werden. Das kann ich gut nachvollziehen!

Nach stationären Aufenthalten oder in häuslichen Krisensituationen kann eine zeitweise Unterbringung in eine Pflegeeinrichtung die nötige gesundheitliche Stabilisierung der Betroffenen oder eine Entlastung der Pflegenden herbeiführen, mit dem Ziel, die Rückkehr der pflegebedürftigen Menschen in ihre eigene Wohnung zu ermöglichen.

"So lange wie möglich zuhause bleiben"

Als Patienten- und Pflegebeauftragten der Bayerischen Staatsregierung setze ich mich daher entschieden dafür ein, dass pflegebedürftige Menschen so lange wie möglich in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung bleiben können. Ich begrüße es deshalb außerordentlich, dass das StMGP Fördermöglichkeiten zum weiteren Ausbau von Kurzzeitpflegeplätzen auf den Weg gebracht hat. Dabei sind der finanzielle Ausgleich für Tage einer Nichtbelegung und die Vorhaltung einer fixen Anzahl an Kurzzeitpflegeplätzen in stationären Pflegeeinrichtungen wichtige Schritte in die richtige Richtung. Im Koalitionsvertrag zwischen Freien Wählern und CSU wurden pro neuem Kurzzeitpflegeplatz täglich 100 Euro und jährlich maximal 10.000 Euro festgeschrieben. Ebenso wurde fest vereinbart, dass 1.000 neue zusätzliche Kurzzeitpflegeplätze in Bayern geschaffen werden. In Bayern sind wir damit auf einem guten Weg.

"Verwaltungsaufwand muss reduziert werden"

Aus meiner Sicht als Patienten- und Pflegebeauftragter muss aber dringend der mit der Kurzzeitpflege verbundene Verwaltungsaufwand noch weiter reduziert werden. Auch die Vorhaltung fixer Kurzzeitpflegeplätze muss unbedingt noch weiter ausgebaut werden. Ebenso ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass die Tagespflegesätze in der Kurzzeitpflege nicht zu stark steigen. Viel zu viele Menschen können sich schon jetzt Pflege nicht mehr leisten und sind auf Hilfe zur Pflege angewiesen.

Daher setze ich mich für eine bezahlbare Pflege für alle ein und werde mein Amt auch in Zukunft nutzen, um die Situation für die Pflegebedürftigen in Bayern, ihren Angehörigen sowie den in der Pflege tätigen Personen weiter zu verbessern.

Die Millionen-Frage

Die Millionen-Frage wird von einer Redakteursgruppe aus dem Bundesverband der Anzeigenblätter in Deutschland (BVDA) gestellt. Sie ist an einen prominenten Vertreter aus Politik und Gesellschaft adressiert und soll die Menschen in Deutschland millionenfach erreichen weil sie in jedem teilnehmenden Anzeigenblatt gleich gestellt und gleich beantwortet wird. Dem BVDA gehören 207 Verlage mit einer Auflage von über 60 Millionen an.

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