"Wälder sind wahre Schatzkammern der Artenvielfalt"
WWF-Expertin Susanne Winter über Verluste und Wirtschaftsrisken, den "plötzlich ganz nahen" Amazonas und alte Wälder, mehr Totholz und unsere Gewohnheiten
Waldvernichtung hat viele Gründe: Abholzung für wirtschaftliche Interessen, Brandrodung für die Viehhaltung und den Getreideanbau, Blitzschlag oder menschliches Versagen. Weltweit bedroht das Verschwinden des Waldes Millionen von Arten, warnt der WWF. Was das für uns vor Ort bedeutet und wie sich der WWF für die Wälder ins Zeug legt, erklärt Dr. Susanne Winter. Sie ist beim WWF die Programmleiterin Wald und beantwortet Fragen von Johannes Beetz:
"Die Auswirkungen sind für uns riesig"
Wer an gefährdete Wälder denkt, hat tatsächlich meist die Bilder von brennenden oder kahlgeschlagenen Flächen im Amazonas-Regenwald im Kopf. Nun ist der Amazonas wirklich weit weg. Welche konkreten Folgen hat das, was dort passiert, für uns?
Susanne Winter: Die Auswirkungen des weltweiten Waldverlustes sind für uns riesig. Wenn zum Beispiel der Amazonas brennt, wird Kohlenstoff freigesetzt und die Klimakrise befeuert. Die Wetterextreme nehmen damit auch in Deutschland zu. Die Trockenheit der letzten zwei Jahre sind wahrscheinlich nur ein Vorgeschmack der klimatischen Veränderungen. Damit haben wir in Deutschland unter anderem auch höhere Wirtschaftsrisiken. Neben der häufigeren Trockenheit werden auch mehr Überschwemmungen und Stürme vorausgesagt. Unsere inländische Infrastruktur kann hier Schaden nehmen.
Zudem wird voraussichtlich die Landwirtschaft weltweit durch häufigere Schäden an den Kulturen schwieriger. Die Wirtschaftsinteressen Deutschlands sind so aufgestellt, dass sie die Waldzerstörung anheizen. In der EU sind ein Sechstel unserer Lebensmittel mit Entwaldung verbunden. Da ist der Amazonas plötzlich ganz nah. Unser Fleischkonsum ist hier ein starker Treiber. Das für die Massentierhaltung importierte Soja hat einen hohen Fußabdruck in der Landschaft (Zerstörung der Wälder und Savannen), aber auch unser importiertes Palmöl, Kakao und Kaffee sind direkt mit Naturzerstörung verbunden.
Waldverlust hat auch Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Es gilt in der Wissenschaft als Konsens, dass Umweltzerstörung Krankheits-Übersprünge von Wildtieren auf Menschen wahrscheinlicher machen. So zeigt etwa eine brasilianische Studie aus 2010: Die Abholzung von vier Prozent eines Waldes ging mit einer fast 50-prozentigen Zunahme der Malariafälle einher.
"Wir arbeiten intensiv daran"
Und wie setzt sich der WWF dagegen ein?
Susanne Winter: Der WWF Deutschland arbeitet sehr intensiv daran, die alten Wälder zu erhalten. Drei Hauptmaßnahmen sind hier im Zentrum unserer Arbeit:
1) Direkter Schutz von Wäldern - strikter Schutz von Naturwäldern, Schutz der indigenen Territorien, bestenfalls vielfältige Schutzgebietsnetze. Der WWF Deutschland setzt sich auch für den Schutz der letzten Urwälder in Europa, zum Beispiel in Rumänien, ein.
2) Wiederherstellung von Waldlandschaften – der WWF arbeitet großflächig daran, baumreiche Landschaften wiederherzustellen, um vor allem in den tropischen Ländern die Bodenerosion, den Verlust von Bodennährstoffen zu reduzieren und den Wasserkreislauf zu stabilisieren.
3) Markttransformation – Wir arbeiten mit Unternehmen daran, ihre Lieferketten entwaldungsfrei zu gestalten.
4) Schaffung von klaren gesetzlichen Rahmenbedingungen zum Schutz des Waldes:
a) verstärkten Kampf gegen illegale Holzeinschläge und -importe in den EU,
b) Schaffung eines starken EU- Lieferkettengesetzes gegen Entwaldung, damit uns keine Lebensmittel mehr erreichen, die direkt mit Waldzerstörung zusammen hängen.
"Unsere Wälder sind häufig zu licht"
Unsere bayerischen Wälder sind kein schlechtes Beispiel für Nachhaltigkeit. „Weniger verbrauchen als gleichzeitig nachwächst“ wird hier seit Generationen umgesetzt. Dass Klimawandel und Insektensterben vor unsere Tür nicht Halt machen, wissen aber auch wir. Was sind die größten Gefahren für unsere heimischen Wälder?
Susanne Winter: Auch in Bayern werden Wälder überwiegend nicht nachhaltig bewirtschaftet. Das zeigt die letzte Bundeswaldinventur. In Bayern ist sehr viel Holz genutzt worden. Eine nachhaltige Forstwirtschaft ist nicht mehr gegeben, wenn fast so viel Holz genutzt wird wie zuwächst.
Wirklich nachhaltig ist die Waldbewirtschaftung nur, wenn für die ökologische Seite ebenfalls nachhaltig genügend Holz vorhanden ist. Für den Erhalt der biologischen Vielfalt bedarf es bedeutend höhere Totholzvorräte, einen viel größeren Anteil sehr alter natürlicher Wälder und großflächig naturnahe Waldstrukturen aus heimischen Baumarten. Hier ist auch in Bayern noch Luft nach oben.
Nun zur Antwort Ihrer Frage: Der Wald in Deutschland wird auf vier Weisen stark negativ beeinflusst:
1. Die häufig noch sehr naturferne Forstwirtschaft: Unsere Wälder sind in ihrer Altersstruktur, hinsichtlich des Totholzvorrates, hinsichtlich der zu hohen Nutzungsmengen degradiert und häufig nach Einschlägen zu licht (es verbleiben zu wenige alte Bäume auf der Fläche). Der Wald verliert sein Waldinnenklima und wird schneller labil. Bodenbearbeitung, Räumung und Pflanzung von Baumarten, die dem Waldökosystem fremd sind, sind weitere Schäden am Waldökosystem. Solange Baumarten nur nach ihrer Wachstumsgeschwindigkeit und nicht nach ihrem Nutzen für das Waldökosystem beurteilt werden, sind unsere Waldflächen in Gefahr. Es besteht die große Gefahr, den Wald weiterhin massiv zu vereinfachen und damit den Anforderungen des Ökosystems nicht gerecht zu werden.
2. Veränderungen des Landschaftswasserhaushaltes durch Drainagen, Gräben, Moorentwässerung und „wassersaufende“ landwirtschaftliche Kulturen wie Mais, trocknen die Landschaft grundlegend immer weiter aus. In Trockensommern führt dies dann viel großflächiger zu Waldschäden als es ohne diese Austrocknung stattfinden würde.
3. Die Stoffeinträge aus der Landwirtschaft destabilisieren die Wälder. Insbesondere die Stickstoff- und Pestizideinträge führen immer häufiger zur Destabilisierung des Nährstoffhaushalts.
4. Zu hohe Wildbestände: der Wildverbiss verhindert die natürliche Waldentwicklung. Hier geht zudem dem Staat wie den privaten Waldeigentümer immens viel Geld und Kohlenstoffspeicher im Wald verloren, da der Zuwachs im Wald deutlich verringert wird.
"Diese Chance sollten wir ergreifen"
Mit „Waldsterben“ und „sauerem Regen“ erwartete die Generation vor uns die ökologische Apokalypse. Die ist ja dann offenbar doch nicht eingetreten. Mal ehrlich: Sehen wir manchmal nicht viel zu schwarz?
Oder zeigt das Beispiel, dass wir, wenn wir denn nur wollen, auch große Herausforderungen immer noch meistern können?
Susanne Winter: Wälder sind wahre Schatzkammern der Artenvielfalt. Sie beherbergen 80 Prozent aller bekannten Tier- und Pflanzenarten außerhalb der Ozeane. Nimmt die biologische Vielfalt in den Wäldern ab, sinkt aber auch die Fähigkeit der Wälder, Kohlenstoff zu speichern. Um die Klimakrise zu stoppen, müssen wir auch die Wälder und die dort lebenden Arten erhalten. Wir müssen unseren Wald also mit vereinten Kräften schützen.
Das wir das schaffen können, haben wir beim ersten Waldsterben gezeigt: Saurer Regen zerstörte den Wald (z.B. Erzgebirge) und die Politik reagierte entschlossen. Es wurden effektive Maßnahmen durchgeführt. Entschwefelungsmaßnahmen sind heute Standard, so dass sich viele Menschen gar nicht mehr vorstellen können, dass es ein realer Prozess und eine großräumige Gefahr war. Was wir jetzt brauchen, ist eine genauso entschlossene Reaktion, denn das globale Waldsterben ist Fakt. Wir verlieren jedes Jahr Millionen von Hektar Wald.
Die Degradation von weiteren Millionen Hektar Wald ist ebenso real: Wir nehmen Tag für Tag Naturwälder, die noch nie genutzt wurden, in Nutzung und zerstören sie durch Kahlschlag. 58% der seit 25 Jahren überwachten Wald-Wirbeltierpopulationen sind schon verschwunden! Und das Absterben der Fichten in Deutschland wurde schon seit Jahrzehnten vorhergesagt und nun findet es real statt. Die prognostizierten Einflüsse des Waldverlustes in den Tropen und die Folgen der Klimakrise würden sich bei sofortigem Einhalten des Pariser Klimaabkommens abschwächen. Diese Chance sollten wir ergreifen.
"Unsere Gewohnheiten zerstören den Tropenwald"
Corona-Lockdown, Homeschooling und Homeoffice haben durch die scheinbar so eleganten „digitalen“ Lösungen unseren Energiebedarf spürbar erhöht. Wer etwas für mehr Nachhaltigkeit tun möchte, kann das Streamen von Serien oder seine Endlosdaddelei einschränken. Manche machen das ja gerade jetzt in der Fastenzeit. Doch zurück zum Regenwald und den Forstgebieten hier bei uns: Was kann ich als „ganz normaler“ Bewohner einer großen Stadt tun, um die Wälder zu schützen? Können Sie drei Dinge nennen, die ich im Alltag unkompliziert umsetzen kann?
Susanne Winter: • Keine Einwegpapier- oder Pappmaterialien benutzen – keine Papierwischtücher, Papierhandtücher, Papiertaschentücher etc. Da, wo Papier und Pappe genutzt werden, Recyclingprodukte verwenden; Kaufentscheide zugunsten qualitativ langlebiger FSC-Holzprodukte tätigen
• Unser Lebensstil und der damit verbundene übermäßige Fleischkonsum sind Motor globaler Waldzerstörung. Unsere Ernährungsgewohnheiten zerstören den Tropenwald. Weniger Fleisch und Milchprodukte essen und unbedingt auf das Bio-Siegel achten, da diese einen Schutz vor Entwaldung bietet.
• Die Beimischung von Palmöl ins Benzin führt zur Zerstörung naturnaher Wälder. Auto stehen lassen und stattdessen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und Fahrrad fahren.
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