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"Sie machen das Hundertfache daraus"

Sportvereine sehen im Einbinden von Flüchtlingen einen Gewinn

Sport ist nicht nur Zeitvertreib, sondern integriert und verbindet Menschen. (Bild: Peter Draschan/pixelio.de)

Auf der Flucht vor Gewalt oder Hunger kommen immer mehr Menschen nach Deutschland, auch nach München. Viele haben in ihrer Heimat alles verloren und sind nun auf der Suche nach einem neuen Zuhause – dauerhaft oder für einen begrenzten Zeitraum. Um die Menschen zu integrieren, spielt der Sport eine nicht zu unterschätzende Rolle. „Der Sport ist als Partner der Flüchtlingsarbeit grundsätzlich sehr geeignet“, sagt Hans-Ulrich Hesse. „Wir wollen die Flüchtlinge in die Vereinsstrukturen einbinden.“ Aus diesem Grund unterstützt er das Projekt „Sportangebot für Flüchtlinge“ in München.

Vereine sind bereit, sich zu öffnen

Denn in vielen Münchner Sportvereinen tut sich etwas in Richtung Flüchtlingshilfe. „Integration durch Sport ist sehr wichtig. Die Sportvereine engagieren sich schon sehr für Flüchtlinge. Das merkt man in ganz München“, betont Markus Steer, der das Projekt koordiniert. „Das bereitet mir neben meiner Arbeit beim FC Wacker große Freude. Für mich ist hier ein Traum wahr geworden, weil ich jetzt das Integrationsthema, das wir in unserem Verein leben, auf andere Vereine ausrollen kann“, erzählt der Präsident des FC Wacker, der für die Vereine, die sich für Flüchtlinge engagieren wollen, koordinierend und beratend zur Seite steht. „Auf diese Art und Weise haben die Vereine jetzt die Möglichkeit eine Hilfestellung zu bekommen, die sie meines Erachtens auch ganz dringend brauchen“, ergänzt Hans-Ulrich Hesse. „Wir merken, dass die Menschen in den Vereinen bereit sind, sich den Flüchtlingen zu öffnen und zu engagieren.“

Flüchtlinge in bestehende Strukturen einbinden

Auch wenn erkannt wurde, dass Sport den Menschen in den Gemeinschaftsunterkünften eine willkommene Abwechslung ist und einen Ausgleich zum oft langweiligen Alltag bietet, klagen viele Sportvereine in der Landeshauptstadt über Platzprobleme. „Es ist nicht so, dass Integration deshalb nicht stattfinden kann“, betont Hans-Ulrich Hesse. Dies sei auch nicht der Hintergedanken für das Projekt „Sportangebot für Flüchtlinge“ gewesen. Man wolle die Flüchtlinge vielmehr in bestehende Strukturen einbinden. „Davon werden die Platzprobleme, die die Vereine natürlich haben, allerdings gar nicht so sehr tangiert. Es gibt in jedem Verein viele Bereiche, in denen es Kapazitäten gibt.“

Natürlich werde kein Verein gezwungen, Flüchtlinge aufzunehmen, ergänzt Markus Steer. „Vereine, die tatsächlich keinen Platz haben, können ja grundsätzlich keine Mitglieder mehr aufnehmen. Aber einer gewissen Anzahl an aktiven Mitgliedern ist das einfach so. Das ist ganz  klar.“

"Wunderbare Bestärkung"

Wie bedeutend es dennoch ist, dass die Sportvereine Unterstützung in der Arbeit mit Flüchtlingen bekommen, weiß auch Diana Stachowitz. Deshalb unterstützt sie das Projekt „Sportangebot für Flüchtlinge“. „Sportvereine sind gesellschaftliches Leben und es ist wichtig, dass Flüchtlinge mitmachen dürfen. So können sie integriert werden, um sich besser in unserer Gesellschaft zurechtzufinden.“

Im Sport werde eine Leistung anerkannt, die nichts mit Sprache zu tun habe. „Das ist für die Menschen eine wunderbare Bestärkung“, erklärt die sportpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag. „Man könnte noch viel mehr unterstützen und hier gilt es, Kapazitäten und Räume zu schaffen. Das ist die große Herausforderung für die Stadtplanung. Es müssen kreative Ideen entwickelt werden.“

Beide Seiten profitieren

Das sieht auch Monika Steinhauser so: „Das Gute am Vereinssport ist, dass Einheimische mit Flüchtlingen zusammenkommen und eine Begegnung auf Augenhöhe haben. Davon profitieren beide Seiten“, erklärt die Geschäftsführerin des Münchner Flüchtlingsrates. Vereine müssten dabei auch keine Berührungsängste haben. „Eine Art Flüchtlingshilfe in Vereinen gab es eigentlich immer schon. Und sie hat auch immer schon funktioniert.“

Markus Steer ist allerdings der Meinung, dass die Integration in den Sportvereinen eher wenig mit Flüchtlingshilfe zu tun hat. „Bei Sportvereinen, die Flüchtlinge integriert haben, ist es in der Regel so, dass die Flüchtlinge schon einen Asyl- beziehungsweise Aufenthaltsstatus und einen Deutschkurs haben. Sie sind schon in einer gewissen gesellschaftlichen Struktur angekommen. Das sind nicht die Leute aus Erstaufnahmeeinrichtungen“, erzählt der Präsident des FC Wacker, der in seinem Verein viele Integrationsprojekte angeschoben hat. „Das ist in München ein großes Thema, denn für diese Menschen, die hier zwischen drei bis neun Monaten bleiben und dann einen Transfer bekommen, Lösungen auch innerhalb von Sportvereinen zu schaffen, ist schwierig.“

Eigentlich selbstverständlich

Was die Sportvereine betreffe, mangele es in erster Linie an den entsprechenden Kontakten, betont Hans-Ulrich Hesse. „Wir als Vereine legen großen Wert darauf, keine Sonderangebote zu machen, denn das wäre kontraproduktiv für die Integration. Wir wollen die Leute einbinden.“ Er selbst halte wenig von separaten Veranstaltungen nur für Flüchtlinge, denn dies sei das Gegenteil von Integration. „In den meisten Münchner Vereinen haben wir ohnehin schon einen Migrationsanteil um die 40 Prozent.“ Auch Markus Steer betont, dass die Münchner Vereine zwangsläufig interkulturalisiert sind. „Wir haben Migrationshintergrund und das ist in München eigentlich selbstverständlich. Trotzdem dürfen wir das Projekt Integration durch Sport auf keinen Fall aus den Augen lassen.“

"Geschützter Raum für Frauen"

Wenn es um Migration gehe, dürfe man das Thema Frauen nicht vergessen, meint Diana Stachowitz. „Sie sind gerade auch im Sportbereich total vernachlässigt. Frauen brauchen einen ganz anderen Zugang“, erklärt die Landtagsabgeordnete weiter. „Es wäre ganz wichtig, hier einen Fokus zu setzten. Auch die Frauen, die geflüchtet sind, haben Aggressionen, die sie aber gar nicht los werden können, weil sie beispielsweise keinen Fußball spielen wollen. Vielleicht wäre Tanzen besser. Sie brauchen einen geschützten Raum, wo sie unter Frauen sind. Da fühlen sie sich geborgen.“

Gerade durch den Sport könnten Aggressionen und Stress abgebaut werden, erklärt auch Monika Steinhauser. Man habe von Seiten des Münchner Flüchtlingsrats aus diesem Grund in der Bayernkaserne zwei Fußballtrainer engagiert. „Natürlich wäre auch ein spezielles Angebot für Frauen gut. Gerade auch deshalb, weil viele sexuell misshandelt wurden. Es geht auch darum, dem eigenen Körper wieder zu vertrauen.“

"Es geht nicht nur um Fußball"

Dass der Zugang zu den Frauen nicht immer leicht ist, weiß Heinz-Ulrich Hesse. Er betont aber auch, dass es nicht nur um den Fußball gehe. „Dagegen wehre ich mich immer. Wir wollen den ganzen Sport haben.“ Für die Vereine sei es zudem wichtig zu wissen, dass von Seiten des BLSV die Möglichkeit geschaffen wurde,  Flüchtlinge in den Vereinen zu versichern, auch wenn sie keine Mitglieder sind. „Das ist eine wichtige Grundlage, ohne die wir das gesamte Projekt nicht hätten starten können.“

Grundsätzlich, so fordert Markus Steer, müsse bei der Integration der Flüchtlinge die ganze Stadt zusammenhelfen. „Die erste Erfahrung ist für die Flüchtlinge entscheidend. Deshalb ist es wichtig, dass sie auf Zuspruch und Menschlichkeit stoßen.“ Und was die Sportvereine betrifft: „Die Arbeit mit Flüchtlingen ist für die Vereine ein absoluter Gewinn und eine dankbare Aufgabe. Jede Chance, die man einem Flüchtling gibt, ergreift dieser sofort und macht das Hundertfache daraus. Das motiviert mich persönlich noch einmal zusätzlich.“

 

Unsere Gäste

Bei unserem Sommergespräch diskutierten:

Hans-Ulrich Hesse (Vorsitzender des Kreises München im Bayerischen Landes-Sportverband und Vorsitzender des Sportbeirates der LHM)

MdL Diana Stachowitz (sportpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag)

Marcus Steer (Präsident des FC Wacker, Projekt "Sportangebot für Flüchtlinge" der Landeshauptstadt)

Monika Steinhauser (Geschäftsführerin Münchner Flüchtlingsrat)

Was denken Sie?

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