„Selbst ist der Mann!“
Haben wir Respekt vor unseren Fähigkeiten? Was können wir noch selbst?
Das „HEi – Haus der Eigenarbeit“ zieht mit seinen offenen Werkstätten und schnell ausgebuchten Workshops seit über 30 Jahren viele Leute an, die kreativ werden oder etwas Handwerkliches selber gestalten wollen, die dafür ein anregendes Umfeld erleben wollen und ein wenig Platz fürs Ausprobieren benötigen. Seit 2012 gibt es im HEi übrigens auch ein regelmäßiges Repair Café – ein Selbsthilfewerkstatt, wo vom kaputten Stecker bis zur defekten alten Schreibmaschine alles repariert oder gemeinsam eine Lösung gesucht wird.
Das ist beileibe nicht das einzige Repair Café im Münchner Stadtgebiet und im Umland. Viele Vereine oder Initiativen bieten solche Treffs an, mit steigender Nachfrage. Liegt Selbermachen im Trend? „Von einem Trend würde ich eigentlich nicht sprechen“, erklärte Oliver Altehage von der Freien Waldorfschule, „obwohl mir dazu viele witzige Anekdoten einfallen. Früher hat man uns Waldörfler gerne belächelt, weil wir angeblich mit gestrickter Unterwäsche und augenscheinlich selbstgestrickten Mützen herumliefen. Jetzt kann man damit viel Geld verdienen“, meinte er lachend.
"Heute ist das ganz anders"
Ein Trend sei es in seinen Augen dennoch nicht, vielmehr ein veränderter Zeitgeist. „Ein Trend zum Selbermachen würde ich eher der IT-Branche zuschreiben.“ Dem stimmte auch Gabriele Albert-Wurst zu. Die Vorsitzende des Landesverbands der Maßschneider hat während ihrer Ausbildung erfahren, wie wenig Respekt man damals einem Handwerksberuf entgegenbrachte.
Sie hatte sich nach dem Abitur für die Schneiderlehre entschieden und oft genug gehört: „Ah Schneider – ich habe auch eine Hose zum Kürzen. Da habe ich mich oft belächelt und nicht ernstgenommen gefühlt“, erinnerte sie sich. „Heute ist das ganz anders. Wenn ich heute sage, dass ich Schneiderin bin, dann höre ich oft: Oh, toll!“ Albert-Wurst würde eher von „Bewusstseinswandel und von veränderter Wahrnehmung“ statt von einem Trend sprechen.
Gegen den Mainstream schwimmen
Auch Theo Strottner von den NaturFreunden Deutschlands sprach sich gegen die Bezeichnung „Trend“ aus. „Ich erkenne eher eine Gegenbewegung zum Mainstream“, erklärte er. „Der Haupttrend besteht doch eigentlich darin, ständig zu konsumieren. Und zwar betrifft das nicht nur Güter und Produkte, sondern genauso Dienstleistungen. Wenn dann etwas nicht mehr funktioniert oder genügt, dann kommt das nächste. Dieser Mainstreamgedanke entfremdet die Menschen immer mehr von den Sachen, die man doch eigentlich selber tun könnte.“
Aus diesen Überlegungen heraus initiierte er vor viereinhalb Jahren ein monatliches Reparaturcafé bei den NaturFreunden. „Das läuft wunderbar. Die Nachfrage ist gewaltig, übrigens nicht nur von Leuten, die kaputte Dinge anbringen, sondern auch an Ehrenamtlichen, die gern mithelfen und sich mit uns mühen möchten.“ Die Beweggründe, warum die Leute ein Repair Café besuchen seien allerdings sehr unterschiedlich.
Anstrengende, auch mal frustrierende Selbsterfahrung
„Da gibt es diejenigen, die knapp bei Kasse und auf die Reparaturen angewiesen sind“, so Strottner. „Und dann gibt es Leute, die die Idee der Nachhaltigkeit gut finden und uns darin unterstützen. Aber es gibt auch eine Menge Leute, die selbst versuchen, etwas zu reparieren, irgendwann nicht weiterkommen und sich bei uns helfen lassen. Das ist ein sehr schöner Ansatz.“
„Ja, die Idee, etwas selberzumachen, ist oftmals schön, aber nicht unbedingt zu Ende gedacht. Denn Selbermachen ist anstrengend, auch mal frustrierend und teuer, wenn man alles selber versucht“, meinte Schneidermeisterin Albert-Wurst. „In jedem Fall braucht man viel Ausdauer und Motivation. Hat man dann geschafft, was man wollte und kann das Ergebnis anfassen und gebrauchen, ist die Freude umso größer.“
„Nostalgischer Reflex oder Phantomschmerz?“
„Mir gefällt der Gedanke 'nicht zu Ende gedacht'. Da stellt sich mir die Frage, ob wir schlichtweg das Knowhow für die Dinge verloren haben“, antwortete Strottner. „Handeln wir aus einem nostalgischen Reflex heraus oder ist das womöglich ein Phantomschmerz? Wird Handwerk heutzutage wirklich ernst genommen?“ Die Dinge würden immer billiger werden, eine Reparatur lohne sich kaum wirklich, meinte er.
„Wer Technik kauft und die Sachen später zur Reparatur bringen will, hat wirklich oft keine Chance“, dachte auch Altehage. „Null Chance! Wir haben an der Schule deswegen eine Fahrradwerkstatt eingerichtet. Die Kinder brauchen mit ihren kaputten Rädern nicht wochenlang auf einen Termin warten. Selbst ist der Mann!“
"Ohne Hilfe auskommen"
Von wenig Service nach der Garantiezeit konnte jeder in der Sommergesprächsrunde ein Lied singen. „Mit Ablauf der Garantiezeit werden die Geräte oft gar nicht mehr angenommen“, erzählte Kristin Holighaus von Stattreisen. „Und in der Garantiezeit erhält man oft ein neues Gerät, anstatt dass da etwas repariert wird.“ Leider handle es sich oft um Billigdesigns, „die man überhaupt nicht mehr reparieren kann. Da erlebe ich auch eine Entfremdung zum Produzenten, der sonstwo sitzt und dem es egal ist, ob die Dinge funktionieren oder nicht“, meinte Strottner.
Das schmale Budget von Jugendverbänden mache Eigenarbeit oft notwendig, erzählte Brigitta Lohr von den Pfadfindern Schwarze Löwen. „Das macht uns aus. Die Kinder und Jugendliche organisieren sich selbst, gestalten ihre Lager und kommen gut ohne Hilfe aus. Was am Anfang anstrengend ist, klappt beim zweiten Mal schon besser und wird im Laufe der Zeit wirklich leicht. Diese Erfahrung machen die Kinder“, so Lohr. „Ausdauer ist gefragt.“
"Freude am Tun entdecken"
Im Selbermachen würden die Kinder oft die Freude am Tun entdecken. „Manche schnuppern in ein Handwerk, bleiben dann sogar dabei und machen eine Lehre. Das ist besonders schön für uns“, so Lohr. „Neu ist allerdings, dass die Eltern immer weniger Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Kinder haben. Mit jeder Pfadfindergeneration steigt der Sicherheitsgedanke bei den Eltern. Leider, muss ich sagen. Ich wünschte mir mehr Gelassenheit.“
Selbermachen steigere auf jeden Fall den Wert der Dinge. „Ich denke aber, dass den Kindern wenige Freiräume gelassen werden, sich selbst auszuprobieren. Das beginnt schon in der Schule“, meinte Holighaus. „Ausprobieren und Selbermachen muss in die Freizeit verlagert werden. Und die ist oftmals straff durchorganisiert.“
„Ich bin vor allem sehr enttäuscht, dass es gar keinen regulären Handwerksunterricht mehr an den Schulen gibt", ergänzte Gabriele Albert-Wurst. "Woher sollen denn die jungen Leute wissen, ob sie eine Begabung haben oder ob ihnen etwas liegt, wenn sie gar nicht mehr in Kontakt mit diesen Tätigkeiten kommen.“
Freiräume zum Ausprobieren schaffen
In den Waldorfschulen komme Handwerkliches als Selbstverständlichkeit vor. „Das gehört zu unserem pädagogischen Konzept“, erklärte Altehage. „Handwerkliches Arbeiten ist unserer Meinung nach gut fürs Sozialbewusstsein, für die Hirnentwicklung, für die Lernerfolge.“ Doch auch in den Waldorfschulen würde darum gekämpft, dass die Aktivität und Kreativität in den Kindern verankert würde.
„Heutzutage arbeiten statistisch gesehen 1,5 Eltern und die Kinder werden wegorganisiert. Dabei meine ich nicht nur Ganztagsschule, sondern überhaupt das Überangebot von Aktivitäten. Es ist gefährlich, wenn Kinder Langeweile nicht mehr aushalten können.“ Aus diesem Grund gebe es an „seiner“ Schule Handwerk im Projektunterricht mit viel Raum für individuelles Weiterarbeiten, auch außerhalb der Unterrichtszeit. „Die Kinder nutzen das und tauchen gern in solch einen Schaffensprozess ein. Und letztendlich lernen die Kinder auf diese Weise eigenverantwortliches Arbeit. Man muss sich eben dahinterklemmen, damit etwas gelingt. Da geht es um das tägliche Mühen ist.“
Gemeinsam geht es besser
Zum Stichwort „Freiräume“ gab Ulrike Mascher vom Sozialverband VdK Bayern das Zeitproblem zu bedenken. „Jemand, der berufstätig ist, hat oft keine Zeit, Hobbys ausgiebig zu pflegen oder sich an etwas Neues zu wagen“, meinte sie. „Aber kaum ist man in Rente, dann ergibt sich diese Zeit. Das stelle ich in meinem Freundeskreis oft fest. Dann können sich Wünsche endlich realisieren lassen. Sei es Töpfern, Nähen, Garteln. Das finde ich sehr spannend, obwohl ich selbst leider handwerklich nicht sonderlich begabt bin. Dafür koche und backe ich leidenschaftlich gern.“
Darin war ihre Mutter Vorbild. „Vorbilder sind einfach wichtig“, meinte dazu Albert-Wurst. „Wenn die Eltern eine Leidenschaft vorleben, dann fällt es den Kindern auch leichter einzusteigen.“
Überhaupt hat die Gemeinschaft eine wichtige Funktion beim Selbermachen und Herumtüfteln. Betrachte man nur das HEi, die vielen Repair Cafés oder die Pfadfinder - immer geht es gemeinsam besser. „Das kann ich nur bestätigen“, meinte Stephanie Hirn vom Vorstand des „Kartoffelkombinat – der Verein e.V.“. Der Kartoffelkombinat-Verein ist eine selbstverwaltete Gemüse-Genossenschaft, die sich an den Prinzipien der Solidarischen Landwirtschaft orientiert und rund 1.500 Münchner Mitgliedshaushalte mit selbst erzeugtem Gemüse aus dem eigenen Betrieb vor den Toren Münchens versorgt. Nachhaltiges Wirtschaften, Gemeinschaft, Probierraum – das werde im „Kombinat“ ganz automatisch vereint, so Hirn.
Sich trauen!
„Wir machen alles gemeinsam: planen, pflanzen, ernten.“ Da steige auch die Wertschätzung für Lebensmittel enorm. „Andererseits geben wir viele Workshops zu ganz unterschiedlichen Themen, wie Fermentieren oder die Herstellung von Putzmittel oder Kosmetika. Das alles ist an sich nicht schwierig. Die Leute brauchen aber eine Anleitung und eine anfängliche Hilfestellung. Damit kommen sie ins Tun“, so Hirn weiter und plädierte dafür, die Hemmschwelle nicht zu hoch ansetzen. „Man muss sich einfach trauen!“
„Ein tolles Konzept!“, staunte Strottner. „Mit gefällt besonders, dass das Konzept auf die Konsumenten zurückfällt. Wer wirft schon selbst Geerntetes weg. Andererseits erwarten wir abends um acht Uhr noch Frisches im Supermarkt. Das kann doch nicht funktionieren!“
Inzwischen hat das Kombinat einige Werkstätten für Kinder eingerichtet. „Da wird zum Beispiel unter Anleitung von Pädagogen gekocht. Später kommen die Eltern dazu und sind zum Essen eingeladen. Es ist sehr berührend zu sehen, wie stolz die Kinder sind, wenn das Essen gelungen ist und die Gäste zufrieden sind. Das ist genau der Freiraum, den die Kinder brauchen. Hier können sie ungestört ihre Kreativität fließen lassen.“
Aufmerksam bleiben!
Aber wer sagt denn, dass der Raum zum Gestalten und Probieren nur fürs Handwerkliche gelten soll? Kristin Holighaus spannte den Bogen vom handwerklichen Können über Reparaturen, Gärtnern und Kochen bis zum kreativen Umgang mit dem eigenen Umfeld. „Wir von Stattreisen führen Münchner durch München und erleben immer wieder eine Entfremdung von der eigenen Stadt. Die Leute erledigen schnell mal was und schauen gar nicht mehr genau hin, wo sie eigentlich sind. Da fehlt der Gedanke darüber, was sie eigentlich wirklich an dem Ort wollen und wie sie sich einbringen können.“
Je aufmerksamer man ist, um so mehr Respekt vor den Dingen um einen herum stellt sich ein. „Man fühlt sich gleich anders zu Hause und identifiziert sich mit dem Umfeld. Das ist wichtig für das eigene Selbstverständnis“, so Holighaus. „In diesem Zusammenhang bekommen Mitgestaltungsprozesse bei baulichen Maßnahmen eine ganz andere Gewichtung“, ergänzte Lohr. „Genau!“, so Holighaus. „Die Leute beachten und achten ihre Umgebung dann viel mehr. Das ist eine weitere Form der Nachhaltigkeit.“
Unsere Sommer-Frage
Einen Kleiderschrank montieren, Zimmerwände streichen, die Fahrräder der Kinder reapieren oder den neuen Laptop einrichten: Welche von diesen oder ähnlichen Dingen machen Sie (gerne?) selbst? Unsere Gäste antworten:
Gabriele Albert-Wurst: "Ich mache alles gern, was man mit den Händen machen kann, zum Beispiel nähen, stricken, kochen, garteln oder auch Schmuck kreieren."
Oliver Altehage: "Ich repariere gern Fahrräder oder mache Gartenarbeit, weil da auch mal der Kopf Pause hat."
Dr. Stephanie Hirn: "Ich mache gern alles aus Pflanzen und Lebensmitteln, aber stelle auch eigene Zahnpasta und Kosmetika her."
Kristin Holighaus: "Brot backen, den Balkon bepflanzen, mein Fahrrad bekleben."
Birgitta Lohr: "Ich leite gerne die Pfadfinder bei der Gartenarbeit an."
Ulrike Mascher: "Kochen und Freunde zum Essen einladen."
Theo Strottner: "Ich mache alles, nur unterschiedlich gern, am liebsten aber die Fahrräder der Kinder reparieren oder Laptops einrichten."
Unsere Gäste
Bei unserem Sommergespräch diskutierten:
Gabriele Albert-Wurst, Vorsitzende Landesinnungsverband des Maßschneiderhandwerks Bayern, Obermeisterin Innung München
Oliver Altehage, Geschäftsführer Freie Waldorfschule München Südwest
Dr. Stephanie Hirn, Kartoffelkombinat - der Verein e.V.
Kristin Holighaus, Stattreisen
Birgitta Lohr, Pfadfinder Schwarze Löwen Hadern
Ulrike Mascher, Vorsitzende Sozialverband VdK Bayern
Theo Strottner, NaturFreunde Deutschlands, Repaircafe
Respekt zeigen
Respekt meint nichts anderes als guten Willen: Aushalten, dass es andere Bewertungen und Erfahrungen neben den eigenen gibt. Die unmittelbare Folge daraus ist, Mitgefühl empfinden zu können. Jedes familiäre, jedes soziale und politische Problem lässt sich durch das Maß an Mitgefühl definieren, das wir füreinander aufbringen oder eben nicht. Welchen Menschen und Einrichtungen, welchen Leistungen, Fähigkeiten und Tätigkeiten begegnen wir mit Respekt?
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