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"SeelenPflege"

Über den Umgang mit geistigen Gebrechen

Melanie Kuwalefsky, Leitung der Beratungsstelle der AWO. (Bild: Melanie Kuwalefsky, AWO)

Es jährt sich wieder der internationale Tag der Pflege. Zu Ehren der britischen Krankenschwester Florence Nightingale wird dieser jährlich zu ihrem Geburtstag am 12. Mai begangen. Sie begründete im 19. Jahrhundert die moderne Krankenpflege, indem sie als erste allgemeine Standards für die Ausbildung des Krankenpflegepersonals schuf.

Spricht man über Pflege, so ist damit im Allgemeinen die Pflege am Leib gemeint. Ein gebrochenes Bein sieht jeder und jeder kann nachvollziehen, dass es schmerzt und die Heilung kraftraubend ist. Eine schmerzende Seele sieht man nicht und sie ist auch nicht gesellschaftlich akzeptiert. Man macht weiter, bis es eben nicht mehr geht... Gerade im Bereich der Demenz gelingt es den Erkrankten oft jahrelang, die Veränderungen vor dem Umfeld zu kaschieren. Freunde und Verwandte sind dann häufig wie vom Donner gerührt und wissen gar nicht, wie sie mit ihren Lieben umgehen sollen. Wie also, reagiert man in solch einer Situation?

Die Münchner Wochenanzeiger haben zum Tag der Pflege mit Experten über dieses Thema gesprochen und einige Tipps und Anregungen zusammengestellt.

Der erste Schritt: Woran erkenne ich, dass jemand in meinem Umfeld Hilfe braucht?

"Eine völlig neue Situation"

Hermann Imhof, Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung:

Ein Unfall, chronische Krankheiten oder fortschreitende Alterserscheinungen können Auslöser sein, dass ein Mensch plötzlich hilfs- bzw. pflegebedürftig wird. Oft beschließen Angehörige, den Betroffenen Zuhause zu pflegen. Diese Entscheidung verdient Anerkennung und großen Respekt. Sie sollte jedoch auch gründlich bedacht sein. Denn alle Beteiligten erwartet eine völlig neue Situation, die Jahre andauern kann.

"Genau hinschauen"

Melanie Kuwalefsky, Leitung der Beratungsstelle der AWO:

Wenn sich der Betroffene anders verhält als gewohnt, sollte ich aufmerksam werden und genau hinschauen. Körperliche Beeinträchtigungen sind meist für andere Menschen offensichtlich, anders verhält es sich bei geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen. Da sich diese meist schleichend ankündigen, sind sie für das Umfeld des Betroffenen erst spät erkennbar.

"Es kann ganz unterschiedlich sein"

Norbert Huber, Geschäftsführer Caritas München:

Ob jemand im eigenen Umfeld Hilfe benötigt, kann ganz unterschiedlich erkennbar sein. Sie sollten darauf achten, ob sich etwas im Verhalten Ihres Angehörigen ändert, z.B. wird Ihr Angehöriger aggressiv, kommt nicht zu Verabredungen oder ändert sich sein persönliches Erscheinungsbild. Ist der Angehörige nicht dem Anlass entsprechend gekleidet oder ist sein Wohnumfeld verändert, z.B. wird der Müll nicht mehr regelmäßig weggebracht, das Bad ist nicht geputzt. Wenn möglich besprechen Sie Ihre Beobachtungen mit anderen Personen, damit Sie ein kompletteres Bild und Sicherheit in Ihrer Einschätzung erhalten.

"Es hat seine Tücken"

Sabine Rube, Referentin Demenzarbeit - Malteser Hilfsdienst e. V.:

Das Krankheitsbild Demenz hat seine Tücken, da bei der beginnenden Symptomatik mit leichten kognitiven Gedächtnisstörungen, parallel vom Betroffenen ein massives Verdrängen der auftretenden Symptome entsteht. Die Gedächtnisstörungen werden auch vom Angehörigen vertuscht, da eine Angst vor der Diagnose als bedrohlich empfunden wird. Zudem gehört eine mangelnde Krankheitseinsicht im Anfangsstadium mit zur Symptomatik. Der Weg zum Hausarzt zur Diagnosestellung wird von allen Beteiligten daher hinausgezögert. Im Vorfeld zeigen sich zudem meist folgende Symptome: Die Konzentrationsfähigkeit wird herabgesetzt, so werden z.B. Familienfeiern für den Betroffenen als sehr belastend empfunden, da gerade in diesem Rahmen das Vertuschen der Krankheit sehr aufwändig erscheint. Sprachschwierigkeiten, die richtigen Worte im Gespräch zu finden, verunsichern die Betroffenen erheblich. Im Anfangsstadium können Orientierungsprobleme auftreten, die sich in zeitlicher, örtlicher und personenbedingter Desorientierung zeigen. So kann z.B. der Platz des geparkten Autos, aufgrund der Veränderungen im Kurzzeitgedächtnis nicht mehr gefunden werden. Hinzu kommt, dass Termine nicht eingehalten werden, da diese einfach in Vergessenheit geraten. Das Resultat daraus bedeutet für den Betroffenen den sozialen Rückzug, da das Gebäude an Merktechniken im Verlauf der Erkrankung zusammenbricht. Zudem kann durch den veränderten Gehirnstoffwechsel eine Depression zur Symptomatik dazugehören.

"Man zieht sich zurück"

Eva-Maria Schädler, Leiterin Fachstelle für pflegende Angehörige, Johanniter-Unfall-Hilfe München:

Man erkennt den Bedarf an Unterstützung daran, dass sich jemand zunehmend zurückzieht. Bestimmte Gegebenheiten, die früher für die Person wichtig waren, verändern sich dann häufig. Etwa die äußere Erscheinung aber auch die Mobilität, da mit einer Demenz vielfach auch Orientierungsprobleme einhergehen. Ein weiteres Zeichen ist eine stark vereinfachte Kommunikation.

 

Wie beginne ich das Gespräch mit jemandem, der sich seiner Erkrankung selbst nicht bewusst ist oder diese nicht wahrhaben will?

"Offen, ehrlich, sensibel"

Hermann Imhof, Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung:

Wichtig für Angehörige, pflegende Personen und für den Patienten ist, dass die Krankheit nicht verdrängt wird. Nur wer die Krankheit annimmt und sich damit auseinandersetzt, kann auch mit den Folgen leben. Offen und ehrlich, aber natürlich sensibel miteinander reden, ist wichtig für alle.

"Nach Hilfe fragen"

Melanie Kuwalefsky, Leitung der Beratungsstelle der AWO:

Bei Unsicherheit ist es ratsam, sich bei einer Beratungsstelle oder Fachstelle vorab zu informieren, bevor man überhaupt das Gespräch mit diesem Menschen, bezüglich des veränderten Verhaltens sucht. Hier kann man im Rahmen eines Beratungsgespräches das weitere Vorgehen abklären und sich Hilfestellung holen. Möglich sind hier auch Hausbesuche.

"Gemeinsam behutsam"

Norbert Huber, Geschäftsführer Caritas München:

Wichtig ist es einfühlsam vorzugehen, da es den Betroffenen meist sehr wohl bewusst ist, dass irgendetwas nicht stimmt. Häufig versuchen Personen die Erkrankung zu leugnen und sich so zu organisieren, dass es dem Umfeld nicht auffällt. Es gilt behutsam anzusprechen, was einem auffällt bzw. auch einfach Fragen zu stellen und Interesse zu zeigen. Nehmen Sie keine Lösungen vorweg und treffen Sie keine Entscheidungen über den Kopf Ihres Angehörigen hinweg. Dies führt unweigerliche zu Konflikten und Widerstand. Versuchen Sie gemeinsam mit Ihrem Angehörigen, die Probleme zu besprechen und gemeinsam Lösungen zu finden. Eventuell holen Sie sich auch Beratung von dritten Personen.

"Zuhören und Verstehen"

Sabine Rube, Referentin Demenzarbeit - Malteser Hilfsdienst e. V.:

Gerade in der beginnenden Phase des Krankheitsbildes "Demenz" erleben wir beim Betroffenen Momente der absoluten Klarheit des Gedächtnisses. Diese Momente sollten für ein konstruktives Gespräch genutzt werden. Von großer Bedeutung wäre dabei, dass es durchaus sein kann, dass ein anderes Krankheitsbild (z.B. eine Stoffwechselstörung, Vitamin B12 Mangel, Gehirntumor...) für ein auffälliges Verhalten die Ursache sein kann. Deshalb wäre ein Arztbesuch dringend erforderlich, um andere Krankheitsbilder auszuschließen. Wir Malteser arbeiten seit Jahren mit dem Wissen der Silviahemmet Philosophie aus dem schwedischen Königshaus. Einer der Grundsätze im Umgang mit dementiell veränderten Menschen lautet: "Der Betroffene lehrt uns das Krankheitsbild zu verstehen." Das bedeutet für uns ein kontinuierlicher Perspektivenwechsel, um dem Betroffenen gerade dort abzuholen, wo er gerade steht. Diese Haltung schenkt dem Betroffenen Lebensqualität trotz der schweren Erkrankung.

"Fokus auf die eigene Sorge"

Eva-Maria Schädler, Leiterin Fachstelle für pflegende Angehörige, Johanniter-Unfall-Hilfe München:

Empfehlenswert ist, anhand eines Beispiels aus dem Bekanntenkreis oder der Nachbarschaft zu zeigen, welche Unterstützungen möglich sind und von Bekannten bereits in Anspruch genommen wurden. Auf der emotionalen Ebene sollte man kundtun, dass Sie als Angehöriger sich richtig Sorgen um die Gesundheit des pflegebedürftigen Menschen machen. Dabei ist es wichtig, nicht die Defizite des Pflegebedürftigen in den Fokus zu rücken, sondern die eigene Befindlichkeit und Sorge mitzuteilen.

 

Wo kann ich mir Unterstützung holen?

"Sie haben einen Anspruch"

Hermann Imhof, Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung:

Pflegekassen sind verpflichtet, für ihre pflegebedürftigen Versicherten eine individuelle Pflegeberatung anzubieten. Pflegeberaterinnen und Pflegeberater bieten Orientierung – angefangen bei der Vermittlung von Pflegediensten und Haushaltshilfen bis hin zur Auswahl von Betreuungseinrichtungen. Weitere Anlaufstellen sind die Pflegestützpunkte und Fachstellen für pflegende Angehörige. Selbstverständlich können Betroffene sich gerne auch an meine Geschäftsstelle wenden (www.patientenportal.bayern.de).

"Die AWO hilft"

Melanie Kuwalefsky, Leitung der Beratungsstelle der AWO:

In München gibt es mehrere Beratungs- und Fachstellen, so wie auch die Beratungsstelle der AWO München-Stadt in der Gravelottestraße 16, für die ich verantwortlich bin.

"Stellen vor Ort"

Norbert Huber, Geschäftsführer Caritas München:

Als Angehöriger habe ich die Möglichkeit bei der Pflegekasse meines Angehörigen anrufen, diese ist verpflichtet mich zu meinen konkreten Fragen einer Pflegebedürftigkeit und bei der Antragstellung für einen Pflegegrad zu unterstützen. Des Weiteren gibt es vor Ort verschiedene Stellen, bei denen ich mir Unterstützung holen kann, in München gibt es Fachstellen für pflegende Angehörige oder auch bei ambulanten Pflegediensten.

"Wir schenken Zeit zum Durchatmen"

Sabine Rube, Referentin Demenzarbeit - Malteser Hilfsdienst e. V.:

Wir Malteser bieten den Betroffenen und auch den Angehörigen Unterstützung durch Betreuungsangebote in Form von Tagesstätten und stundenweisen Betreuungsangeboten. Dort werden demenziell veränderte Menschen nach der Philosophie Silviahemmet betreut. Wir bieten in allen Einrichtungen ein individuelles Beschäftigungsangebot an. Dabei orientieren wir uns an den noch vorhandenen Fähigkeiten jedes Einzelnen, stellen diese in den Vordergrund, so werden die Defizite in den Hintergrund verlagert. Das Ziel, Lebensqualität und Würde trotz der schweren Erkrankung zu ermöglichen, gelingt uns Maltesern mit dem Wissen und der langjähriger Erfahrung im Umgang mit den Erkrankten. Auch den Angehörigen wird durch unsere Betreuungsangebote Zeit zum "Durchatmen" geschenkt. Die Philosophie Silviahemmet stellt nicht nur den Umgang mit dem demenziell veränderten Menschen in den Mittelpunkt, sondern schenkt eine besondere Aufmerksamkeit den Angehörigen. Schulungen für Angehörige im Umgang mit demenziell veränderten Menschen werden kontinuierlich angeboten. Die Fachstelle für pflegende Angehörige gibt Auskünfte über die Eingruppierung in den Pflegegrad sowie über weitere Hilfen.

"Alten- und Service-Zentren im Stadtteil"

Eva-Maria Schädler, Leiterin Fachstelle für pflegende Angehörige, Johanniter-Unfall-Hilfe München:

In München gibt zahlreiche Beratungsangebote wie Beratungsstellen für ältere Menschen sowie die Fachstellen für pflegende Angehörige. In den Stadtteilen sind eigene Alten-und Service-Zentren beheimatet, die einen direkten Bezug zum Stadtteil haben. Zudem gibt es die Fachstellen für häusliche Versorgung der Stadt München und die Pflegeberater/-innen der eigenen Kranken- oder Pflegekasse.

 

Wie kann ich meinen erkrankten Mitmenschen im Alltag helfen? Welche Rolle spielt dabei der psychische Aspekt?

"Einfach mal warten und machen lassen"

Hermann Imhof, Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung:

Es geht oft schneller, eine Tätigkeit selbst zu erledigen, als auf den Pflegebedürftigen geduldig zu warten. Jedoch gilt: Je geduldiger Sie manchmal warten, desto mehr tun Sie für die geistige, seelische und körperliche Gesundheit des Pflegebedürftigen.

"Viele Angebote für Hilfe im Alltag"

Melanie Kuwalefsky, Leitung der Beratungsstelle der AWO:

Für die Hilfen im Alltag gibt es viele Angebote. Diese Angebote gehen über Wissensvermittlung durch Angehörigenseminare über Besuchs- und Begleitdienste, Tagespflegen und Heimplätze, bis hin zu ganz alltagspraktischen Hilfen in der Häuslichkeit, z.B. ambulante Pflegedienste, Essen auf Rädern, Notrufsysteme usw. Beratungsstellen geben auch gerne einen Überblick aller Leistungen weiter und helfen bei der Zusammenstellung der passenden Hilfen. Auch psychische Aspekte beider Seiten – Angehöriger wie Betroffener – werden berücksichtigt.

"Kleinigkeiten wirken groß"

Norbert Huber, Geschäftsführer Caritas München:

Viele ältere bzw. pflegebedürftige Menschen freuen sich, wenn sie angesprochen oder zu Hause besucht werden, da sie beispielsweise nicht mehr mobil sind und ihnen im Alltag häufig der Kontakt zu anderen Menschen fehlt. Aber natürlich können auch praktische Kleinigkeiten sehr hilfreich sein, z.B. die Post vom Postkasten mitbringen oder den Einkauf erledigen. Wichtig ist auch hier: Fragen Sie, wie Sie konkret helfen können oder ob Sie etwas übernehmen können.

"Klarheit vermeidet Konflikte"

Sabine Rube, Referentin Demenzarbeit - Malteser Hilfsdienst e. V.:

Die wichtigste Grundlage, um das Krankheitsbild verstehen zu können, ist der Erwerb von Wissen über Symptomatik, Verhaltensauffälligkeiten und speziellen Kommunikationstechniken. Für den Betroffenen zeigt sich die Phase der beginnenden Demenz am schwierigsten. Das scheint wohl auch der Grund zu sein, dass die meisten Betroffenen die Diagnosestellung hinauszögern, da die Angst vor der Diagnose im Vordergrund steht. Dabei ist es vor allem für den Angehörigen von großer Bedeutung, so bald wie möglich ein Netzwerk an Hilfsangeboten aufzubauen, um bei fortschreitender Erkrankung alle Ressourcen in Anspruch nehmen zu können. Klarheit über das Krankheitsbild Demenz ist die wichtigste Vorraussetzung, um Konflikte und Hilflosigkeit innerhalb der Familie zu vermeiden. Wir Malteser helfen Ihnen schon gleich nach der Diagnosestellung weiter.

"Ein Löffelchen voll Zucker..."

Eva-Maria Schädler, Leiterin Fachstelle für pflegende Angehörige, Johanniter-Unfall-Hilfe München:

Begegnen Sie dem erkrankten Menschen immer auf Augenhöhe und respektieren Sie das Recht auf selbstbestimmtes Handeln und Entscheiden. Geben Sie ihm praktische Hilfen, wie eine Begleitung zum Arzt oder zum Einkauf und verbinden sie dies mit etwas Schönem, etwa einem Cafébesuch. So fällt es leichter, die Hilfe anzunehmen. Eine alternative Form der Hilfe kann der Hinweis sein, wo es konkret Unterstützung für den jeweiligen Bedarf gibt. Bieten Sie der pflegebedürftigen Person dabei eine Begleitung an, um die Hemmschwelle zu reduzieren.


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