"Plötzlich tut es einen Schnalzerer"
Stefan Frühbeis von BR Heimat legt ein Mosaik aus vielen bunten Steinchen
Er ist Musikant und Radiomensch: Stefan Frühbeis. Beim Bayerischen Rundfunk war er jahrzehntelang für Berge zuständig, jetzt ist er Redaktionsleiter und Wellenchef von BR Heimat. Die große Resonanz auf das neue BR-Programm hat manch einen überrascht. Es startete heuer an Mariä Lichtmess (2. Februar); an diesem Tag wurden früher Knechte und Mägde auf Bauernhöfen neu eingestellt. Was ist das überhaupt: Heimat? Johannes Beetz suchte mit Stefan Frühbeis eine Antwort.
"Eine Palette voller Gefühle"
Ein Ort? Ein Gefühl? Was ist Heimat?
Stefan Frühbeis: Es ist ein Ort und eine Palette voller Gefühle. Heimat fühlt sich in Sizilien anders an als am Chiemsee, in Haidhausen anders als in Glonn. Das ist sogar innerhalb Münchens unterschiedlich. Wer ein Häuschen mit Garten hat, für den fühlt sich Heimat anders an als für einen, der in einer Wohnung lebt.
Das läuft über alle Sinne: Wie sieht Heimat aus? Wie schmeckt Heimat? Ich kenne Studenten, die sind in der ganzen Welt unterwegs – und dann kommen sie nach Hause und freuen sich auf die Mehlspeise oder den Apfelstrudel der Oma. Da kommen der Gaumen, der Geruch dazu. Wenn ich sage, "das schmeckt wie bei der Oma, wie bei der Mama, da bin ich daheim", dann kann ich gar kein größeres Kompliment machen. Plötzlich tut es einen Schnalzerer – und das ist das, was man in dieser Kombination vielleicht Heimat nennt.
Für jeden ist diese Heimatidee eine andere. Ich glaube aber, dass die Botenstoffe immer dieselben sind – sie sind nur anders belegt.
"Wir sind kein Wohlfühlsender"
Die Vielfalt ist allein in einer Stadt wie München gewaltig, die Stadtviertelidentifikation spielt eine große Rolle. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land sind noch größer.
Stefan Frühbeis: Das haben wir schon vor Jahren festmachen können: Je weiter ich weg bin, umso mehr verschiebt sich der Heimatbegriff: Bin ich in Brasilien, sage ich, „ich bin Deutscher“. In der bayerischen Community bin ich Münchner.
Bayern ist ein Land der "Stämme" und recht verschiedener Regionen. Gibt es einen gemeinsamen Nenner, auf den man "Heimat" bringen kann? Gemeinsame „Botenstoffe“?
Stefan Frühbeis: Wir haben als Basis für diesen Sender die Musikklangfarbe gewählt: Volksmusik und Blasmusik – die fränkische, die bayerische und die angrenzender Alpenrandgebiete. Das ist die eine Geschichte.
Die andere ist der journalistische Anteil. Da haben wir den großen Vorteil unseres Korrespondentennetzes und unserer Regionalstudios, die ganz nah an den Leuten dran sind. Die Kollegen dort bauen mir kein komplexes Heimatbild, sondern dieses ergibt sich aus vielen Facetten wie ein Mosaik. Heute ist vielleicht gerade das oberfränkische Bierfest Teil dieses Heimatgefühls.
Wir sind aber kein Wohlfühlsender. Die Problematik der Flüchtlinge, die in Passau ankommen, beschäftigt uns ebenso. In diesem Spannungsbereich zwischen dem, was Heimat sein könnte, und dem, was Heimat ist, bewegen wir uns.
Heimat ist sehr wohl auch Brauchtum und Almabtrieb; aber auch daheim ist nicht immer alles eitel Sonnenschein, sondern es passiert alles Mögliche. Diese Prozesse, dieses Mosaik machen das aus, was ich unter diesem Heimatsender verstanden haben möchte.
"Wir geben den Menschen etwas"
Für wen machen Sie das Heimat-Programm?
Stefan Frühbeis: Wir dachten, wir machen das Programm für eine relativ überschaubare Gruppe: Volksmusikanten, Trachtenverbände, eine Klientel, die traditionellerweise mit Heimat und Brauchtum verhaftet ist und die man eher im Chiemgau als im Westend vermutet.
Mich hat aber verblüfft, dass wir seit dem ersten Tag Mails aus Deutschland und der ganzen Welt bekommen – von Menschen, die es aus beruflichen Gründen oder der Liebe wegen woandershin verschlagen hat. Die vermissen etwas ganz stark: ein Heimatgefühl. Sie haben Heimweh. Diesen Menschen geben wir anscheinend etwas. Wir liefern ihnen ein Stück ihrer Heimat dorthin, wo sie sind: In Abidjan, in Goa, auf Bali, in New York City …
Das geht über die Volksmusik, über die Sprache - Dialekt müsste da ganz groß geschrieben werden, um die Idee von Heimat zu transportieren – und über die vielen kleinen Facetten, die Bestandteil unseres Programms sind.
"Wo es einem taugt, entsteht Heimat"
Braucht man in einer sich globalisierenden Welt noch ein eigenes Heimat-Programm?
Stefan Frühbeis: Wir haben heute die ganze Welt innerhalb von 48 Stunden auf dem Teller oder in der Wohnung. Ich glaube aber, je weiter das Pendel in diese Richtung ausschlägt, umso mehr sehnen sich Menschen nach etwas, von dem sie sagen, "da bin ich daheim, da fühle ich mich wohl, da werde ich von meinen Nachbarn akzeptiert, da taugt‘s mir".
Wenn es jemandem wo taugt, dann entsteht das Gefühl von Heimat. Das muss nicht der Ort sein, an dem man geboren ist. Wir wissen das von vielen, die entwurzelt wurden und sich neue Heimaten gesucht haben oder suchen mussten. Andere sind wegen ihrer Arbeit oder der Liebe freiwillig fortgegangen – da sind wir wieder bei unseren Stammhörern in den Rocky Mountains, die über unser Programm sagen: "Das tut meiner Seele so, so gut."
"Die Idee hat sich freigeschwommen"
Viele Menschen leben mobiler als früher. Sie reisen in ferne Länder und wissen über die eigene Heimat oft nur noch wenig. Hat sich der Heimat-Begriff oder der Stellenwert von Heimat verändert?
Stefan Frühbeis: Das hat er gewaltig. Ich glaube nicht, dass der BR vor zehn Jahren gewagt hätte, einem neuen Programm den Namen „Heimat“ zu geben.
Umgekehrt sehe ich, wieviele Hirschgeweihe auf Kaffeetassen neben Laptops stehen. Deren Besitzer sind alle keine Jäger; keiner von denen hat je einen Hirsch gesehen, keiner einen Hirsch geschossen, keiner weiß, wie man einen Hirsch zubereitet. Diese Identifikation ist für mich aber ein Zeichen, dass dieses Heimatgefühl völlig frei von Vorurteilen verwendbar ist. Die Idee der Heimat hat sich von der Nähe zum Nationalen freigeschwommen.
"In welchem Paradies leben wir"
Hat sich Ihr persönlicher Heimat-Begriff durch Ihre Arbeit gewandelt?
Stefan Frühbeis: Zum einen hat er das, weil ich im Vorfeld Zeit und Muße hatte, gut zu überlegen, welchen Inhalt wir dem Wort Heimat mit dem Programm geben wollen. Zum anderen bin ich, seit ich 15 war, in der ganzen Weltgeschichte viel unterwegs gewesen. Ich habe mit Tuareg gelebt, die ein unfassbares Heimatgefühl haben in einer Gegend, die wir für lebensfeindlich ohne Ende halten.
Ich glaube, man weiß erst dann mehr zu schätzen, was man daheim hat, wenn man einmal weiß, wie es woanders ist. Da spielt am Rande das Gleichnis vom verlorenen Sohn hinein. Der hat ja in der Welt Geld ohne Ende verschwendet - und wollte dann nur ungefähr wieder da sein, wo es einmal gut für ihn war. Diese Geschichte kann man perfekt in unsere Zeit übertragen.
In welchem Paradies dürfen wir heute bei uns leben! Wie gut geht es uns! Jeder darf sagen, was er denkt, und nicht nur kaufen, was ihm gefällt. Auch das ist Heimat: Nicht nur am Biertisch sagen dürfen, was man denkt, ohne weggesperrt zu werden. Heimat bedeutet nicht "Die Wiese ist grün" – sie geht bis in unsere Grundrechte, unsere Freiheiten hinein. Es ist sehr heilsam und lehrreich, einmal fortgewesen zu sein.
Ich habe Völkerkunde, bayerische Geschichte studiert. Ich habe mir ein Raster geschaffen, um vergleichen zu können. Darum ist es so unglaublich, dass wir dieses Programm machen dürfen. Dafür bin ich sehr dankbar.
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