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Opa ist jetzt im Himmel

Wie sich die Trauer von Kindern und Erwachsenen unterscheidet

Ralf Honig, Pfarrer ev. Gethsemanekirche. (Bild: job)

Jeder Mensch trauert anders. Der eine zieht sich zurück, der andere sucht das Gespräch. Doch wie ist es, wenn der Tod plötzlich in die Welt eines Kindes einbricht? Gehen Kinder anders mit Trauer um als Erwachsene? Wir haben nachgefragt.

"Von Herzen lachen und weinen"

Ralf Honig, Pfarrer ev. Gethsemanekirche:

Kinder zeigen ihre Gefühle sehr viel offener als Erwachsene. Freude und Begeisterung ebenso wie Traurigkeit und Wut. Sie können von Herzen lachen und weinen. Sie verstellen sich nicht dauernd. Während Erwachsene meinen, immer stark und unangreifbar sein zu müssen, lassen Kinder ihren Tränen freien Lauf. Das zeigt sich auch beim Umgang mit der Trauer. Da sind die Gefühle von Eltern und Kindern die gleichen. Nur tun sich Kinder leichter, sie zu zeigen. Deshalb ist es auch hier gut, Kinder ernst zu nehmen und die Trauer mit ihnen im Gespräch auf Augenhöhe zu teilen. Kinder halten das aus, manchmal besser als ihre Eltern. Oft begegnet mir bei ihnen trotz der Trauer auch ein im besten Sinne kindliches Urvertrauen zu Gott, in der Art: Die Oma oder der Opa sind jetzt im Himmel. Es geht ihnen gut. Wir müssen nicht traurig sein. Kinder können auch hier das Vorbild für Erwachsene sein, als das sie uns Jesus vor Augen stellt.

"Das hängt stark von der Entwicklungsstufe ab"

Nicole Rinder, Trauerbegleiterin und stellv. Geschäftsleiterin bei Aetas Lebens- und Trauerkultur:

Kinder trauern anders als Erwachsene. Sie leben unterschiedliche Gefühle nebeneinander: Im einen Moment sind sie tieftraurig, und im nächsten lachen sie und sind fröhlich. Das verwirrt viele Erwachsene. Kinder zeigen ihre Trauer auch nicht unbedingt in Worten und Weinen, sondern auch in Spielen, Malen, Schreien und Toben. Wie ein Kind Trauer erlebt und zeigt, hängt stark von der Entwicklungsstufe ab, in der es sich befindet. Im Kindergartenalter ist die Welt voller Magie, für die Kinder existieren oft "Parallel-Wahrheiten": Sie sprechen davon, dass Papa tot ist und fragen im nächsten Satz, wann er wieder nach Hause kommt. Schulkinder begreifen allmählich die Endgültigkeit des Todes – das kann sehr schmerzhaft und beängstigend sein. Ein typisches Phänomen kindlicher Trauer ist der Rückschritt in eine frühere Entwicklungsstufe. Zum Beispiel will ein Kind, das schon alleine geschlafen hat, nun wieder partout bei den Eltern schlafen. Das ist kein Grund zur Beunruhigung. Die kindliche Psyche setzt so Kraft für die Verarbeitung frei.

"Betroffene Kinder in ihren Fähigkeiten stärken"

Ina Weichel, Leiterin Ambulanter Hospiz- und Palliativberatungsdienst des Malteser Hilfsdienstes e.V.:

Während bei Erwachsenen oft über längere Zeit der Alltag von Verlust und Schmerz überlagert ist, wechseln Kinder häufig spontan und schnell zwischen Traurigkeit und Kinderalltag. Das schließt nicht aus, dass sie sich phasenweise zurückziehen und z.B. in ihrer Konzentrationsfähigkeit beeinflusst sind. Altersspezielle Unterstützung für trauernde Kinder, Jugendliche und ihre Eltern bieten in München z.B. Lacrima und die Nicolaidis-Stiftung an. Wir im Malteser Hospizdienst haben uns zur Aufgabe gemacht, betroffene Kinder und Jugendliche in ihren Fähigkeiten zu stärken, damit sie die Herausforderungen des Lebens möglichst gut bewältigen können. Dazu laden wir zweimal jährlich alle begleiteten Kinder und Jugendlichen, diejenigen, die um Geschwister oder Eltern trauern, kranke Kinder und die, in deren Familie ein Geschwister oder Elternteil krank ist, zu Natur-Erlebnistagen ein. Die Freude der Kinder ist unsere schönste Rückmeldung.

"Eine echte Herausforderung, jedoch keine Krankheit"

Diakon Tobias Rilling, Sachgebietsleiter Lacrima – Das Johanniter-Zentrum für trauernde Kinder:

Diese Frage kann man mit einem eindeutigen "Ja" beantworten. Es sind drei Aspekte dabei zu berücksichtigen: 1. Je nach Alter und Entwicklungsstand gibt es hier im Verstehen und im Ausdruck Unterschiede. 2. Auch der Umgang der Familie mit Trauer ist bedeutend im Empfinden der Kinder. 3. Ebenso spielt auch die Beziehung des Kindes zum Verstorbenen eine große Rolle. Wie eng war die Bindung zur verstorbenen Person und wie war die Abhängigkeit zu ihr?

Für viele Kinder ist die Begegnung mit dem Tod eine echte Herausforderung, jedoch keine Krankheit. Wir Menschen haben das Lebensende tief in unseren Genen verankert und im Laufe der Evolution gelernt, damit umzugehen. Dabei helfen uns die Trauer und damit der Trauerausdruck. Entscheidend ist die Trauerkultur, die hier in unserer hochtechnisierten Welt kaum mehr vorhanden ist. Dabei meine ich mit Trauerkultur einen längerfristigen Verlauf mit dem Verlust umzugehen. Diese Geduld und die Zeit der Umstellung gestehen wir uns Erwachsene kaum zu und somit auch nicht den Kindern, die in ihrer Entwicklung immer wieder aufs Neue lernen müssen, denselben Verlust zu fühlen und auszudrücken. Dabei geht das nicht immer mit Weinen ab. Kinder trauern auch im Spielen, Toben und im Experimentieren. Deswegen benötigen sie besondere Hilfe und Unterstützung.

"Unglaublich, was da geleistet wird"

Petra Reiter, Schirmherrin von Lacrima – Das Johanniter-Zentrum für trauernde Kinder über die Arbeit von Lacrima:

Die Schirmherrschaft für Lacrima, dem Zentrum für trauernde Kinder der Johanniter, liegt mir sehr am Herzen. Dort werden Kinder und Jugendliche betreut, die Vater, Mutter, Bruder oder Schwester verloren haben. Die Trauer darüber kann Kinder geradezu überwältigen. Wenn die engsten Bezugspersonen ebenfalls trauern – wer kann die Kinder dann auffangen? Trauerbegleiter kümmern sich bei Lacrima um die Kinder, meist ehrenamtlich. Sie helfen einfühlsam und kindgerecht durch den Trauerprozess. Unglaublich, was da geleistet wird. Sich engagieren, für andere da sein, macht auch das eigene Leben reicher. Und ob man Zeit oder Geld spendet, oder sein Wissen und Können zur Verfügung stellt, ist dabei gleich wertvoll. Wenn jeder nach seinen Möglichkeiten hilft, ist viel gewonnen.


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