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"Nur gut bezahlte Pflegekräfte können gute Pflege leisten"

Hans Kopp erklärt, wie die AWO mit dem Fachkräftemangel in den Pflegeberufen umgeht

Hans Kopp mit einigen der vielen AWO-Auszubildenden (von rechts): Aysa Avdic, Armin Omerovic, Emina Junuzovic, Lorena Kasahni und Almina Hodzic. (Bild: job)

Die Zahl der Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, wird weiter wachsen. Aber: Es fehlen Fachkräfte in diesem Berufsfeld. Knapp 100 Menschen bildet die Arbeiterwohlfahrt (AWO) München-Stadt derzeit aus. AWO-Mitarbeiter Hans Kopp (Geschäftsführer für den Bereich Pflege) schilderte im Gespräch mit Tanja Beetz, wie sein Wohlfahrtsverband mit den gegenwärtigen Herausforderungen umgeht:

 

"Es geht auch ohne mittlere Reife"

Welche Möglichkeiten der Ausbildung gibt es bei der AWO?

Hans Kopp: Wir bilden Alten- und Gesundheitspfleger im Zeitraum von drei Jahren aus. Über die einjährige Pflegefachhelferausbildung kann man auch ohne mittlere Reife die Ausbildung zur Pflegefachkraft machen, so die Noten gut sind. Mit der Akademisierung der Pflege als Studium wollen wir auch Bachelorabsolventen für Stabsfunktionen bekommen. Ansonsten praktizieren in unseren Heimen auch Auszubildende für Bürokommunikation in Verbindung mit unserer Zentralverwaltung.

"Wir müssen reizvolle Aufstiegsperspektiven anbieten"

Welche Karrieremöglichkeiten bieten Pflege & Co?

Hans Kopp: Für eine Pflegefachkraft sind die Weiterentwicklungschancen auch gleich nach Examensabschluss sehr gut. Dies sind fachliche Spezialisierungen wie Gerontofachkraft, Hygiene- oder Wundexpertin. Oder Funktionen wie Praxisanleiter und die Übernahme von leitenden Tätigkeiten. Viele unserer Einrichtungsleiter haben als Altenpflegerin begonnen und sich für die Leitungsaufgabe weiterqualifiziert. Wir müssen reizvolle Aufstiegsperspektiven anbieten, um gerade die guten Mitarbeiter zu halten. Die Abwerbeangebote der Kliniken bereiten uns hier Sorgen.

"Sie besitzen viel Gefühl für den Menschen"

Wie geht ein großer Wohlfahrtsverband wie die AWO mit dem Nachwuchsproblem um? Wie begegnet er dem Mangel?

Hans Kopp: Wir haben in den letzten Jahren unsere Ausbildungsanstrengungen intensiviert. Von 79 Azubis im Jahr 2015 auf jetzt 97. Wir wollen dabei den jungen Pflegeauszubildenden eine möglichst attraktive Ausbildungssituation bieten, um ihre Motivation und Kompetenz zu stärken. So unterstützt ein Ausbildungsbeauftragter bei uns die Praxisanleiter, die in den Einrichtungen und ambulanten Diensten das Lernen begleiten und für die Qualität vor Ort sorgen. Sie sollen 2 Std. pro Woche mit dem Auszubildenden zusammen pflegen; hier bräuchte es bessere refinanzierte Freistellungsbedingungen, um diese gemeinsame Lernzeit noch auszuweiten.

Die meisten unserer Auszubildenden haben einen Migrationshintergrund. Wir werben auch im Ausland ausgebildete Krankenpfleger an, die dann hier nach erfolgreichem Erlernen der deutschen Sprache ihre Anerkennung absolvieren sollen. Unsere Auszubildenden formen ein recht buntes Bild und sind von Herkunft und Persönlichkeit sehr individuell. Sie besitzen viel Gefühl für den Menschen und sozialen Idealismus. Durch die vielen Zuwanderer in der Pflege erwächst aber auch eine Verantwortung. Wir müssen uns darüber verständigen, welche Werte uns in der Praxis leiten: Wesentlich ist, wie wir die Freiheit und Selbstbestimmung der Person in der Pflege bewahren können. Ebenso, wie wir Zielkonflikte, was für einen Menschen gut ist, untereinander fair und respektvoll lösen.

"Wir haben das Einstiegsgehalt angehoben"

Der Wohnraum in München und dem Umland ist knapp - und teuer. Wie kommen junge Azubis und Fachkräfte damit zurecht? Kann die AWO hier unterstützen?

Hans Kopp: Wir wissen, dass wir ausreichend bezahlbare Unterkünfte und Wohnungen für unsere Mitarbeiter brauchen. Glücklicherweise haben wir eigene Wohnungsangebote, die wir beständig weiter ausbauen. Derzeit haben wir v.a. in Giesing günstige Wohnungen. Entlohnung und Wohnungskosten müssen in einem akzeptablen Verhältnis stehen. Unser Ausbildungstarif liegt mit 900 bis 1.100 Euro vom 1. bis zum 3. Lehrjahr erheblich über dem Tarif anderer Branchen. Das ist leider viel zu wenig bekannt.

Um dem Pflegenotstand entgegenzuwirken, haben wir unser tarifliches Einstiegsgehalt für Pflegefachkräfte auf 3.000 Euro mit einer Fachkraftzulage angehoben. Auch diese Angabe stößt oft auf Erstaunen, weil das Bild von den billigen Arbeitskräften der Pflege vorherrscht.

"Man muss Einsparungsversuchen einen Riegel vorschieben"

Wir befinden uns im Landtagswahljahr: Welche Forderungen hat die AWO an die Politik? Und welche Aufgaben hat die Politik bereits gelöst?

Hans Kopp: Politiker aller Parteien fordern eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte. In München können wir als Arbeitgeber nur mit soliden Tariflöhnen bestehen. Mit Fachkraftzulage und einer höheren München-Zulage haben wir seit Jahresbeginn zusätzliche Register gezogen. Wir erwarten von den politischen Vertretern, dass sie sich gegenüber den Kostenträgern, Pflegekassen und Sozialhilfeträgern, auch für die Refinanzierung in Form angemessen hoher Leistungsentgelte einsetzen. Wir können nicht hinter dem Lohnniveau der Krankenhäuser zurückbleiben, sonst droht uns die die Abwanderung und Pflegenotstands in der Altenpflegeeinrichtungen.

Die Belastungen Pflegender sind anerkanntermaßen sehr hoch – körperlich und seelisch. Hier brauchen wir ausreichende Personalschlüssel, um anspruchsvollere Arbeit gut und auf Dauer leisten zu können. Will die Politik eine humane Pflege sicherstellen, muss sie Einsparungsversuchen einen Riegel vorschieben. Mit der Pflegereform 2017 hat der Gesetzgeber endlich eine gerechtere Anerkennung der Hilfebedarfe Demenzkranker geschaffen. Die Umstellung war für Betroffene und Leistungsanbieter großzügig geregelt. Dennoch stellen wir in der Praxis fest, dass der Pflegebedarf durch den Medizinischen Dienst zu häufig zu niedrig festgestellt wird. Auch leidet die Pflege und Pflegeverwaltung insgesamt unter zu viel Bürokratie.

"Pflegen ist äußerst anspruchsvoll und ist ein erfüllender Beruf"

Wie kann die Wertschätzung der Pflegeberufe in der Gesellschaft gesteigert werden? Ist hier ein Wandel erkennbar?

Hans Kopp: Die öffentliche Berichterstattung über Pflege ist auf Skandale und Defizite fixiert. Wie soll sich da das schlechte Image der Pflege ändern? Wer noch mitten im Leben steht, will sich natürlicherweise nicht dem Risiko eines Pflegeschicksals auseinandersetzen.

Kann es in der Pflege überhaupt positive Seiten geben? Ja, die gibt es und sie müssen auch von den Medien herausgestellt werden: Die schönen Momente in den Beziehungen der Generationen, die beachtliche Sozialkompetenz bei schwierigem Umgang, die jüngere professionelle Entwicklung der Pflege als Beruf auch aus dem Schatten der Medizin heraus. Anstrengungen hin zu einer eigenen berufsständischen Pflegevertretung oder die politische Aufwertung mit einem Pflegerat gehören hier dazu.

Der Pflegeberuf erfährt auch in seiner Akademisierung eine Weiterentwicklung mit Bachelor- und Master-Absolventen, die mehr gesellschaftliche Anerkennung bringen kann. Deren gutes Wissen muss in die Praxis fließen, damit wir von den Klischees wegkommen, dass jeder pflegen könne. Wie soll aber angesichts des Schreckensszenarios Pflegenotstand ein werbendes Berufsbild entstehen? Die entscheidende Aufwertung passiert über anständige Arbeitsbedingungen und angemessene Bezahlung. Pflegen ist äußerst anspruchsvoll und ist ein erfüllender Beruf: geistig, seelisch und sozial.


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