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"Nicht vorrangig dem freien Wettbewerb überlassen"

Stadt legt ihren elften Marktbericht Pflege vor

"Auszubildende aus Drittstaaten brauchen eine verlässliche Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis", betont Münchens Sozialreferentin Dorothee Schiwy. (Bild: LHM)

Das städt. Sozialreferat hat dem Stadtrat den elften Marktbericht Pflege vorgelegt. Der Bericht enthält die Ergebnisse der Datenerhebungen zu allen 85 voll- und teilstationären Pflegeeinrichtungen in München.

Hohe Auslastung

Die Anzahl der vollstationären Pflegeplätze in der Landeshauptstadt München lag (zum Stichtag 15.12.2020) mit 7.955 Plätzen auf einem fast konstanten Niveau wie in den letzten drei Jahren. Selbst in Zeiten der Corona-Pandemie waren die vollstationären Pflegeplätze nahezu komplett belegt. Die Auslastungsquote zum Stichtag lag bei 94,3 Prozent.

„Die hohe Auslastungsquote zeigt, dass nach wie vor vollstationäre Pflegeplätze insbesondere für schwer kranke Pflegebedürftige und Sterbende dringend benötigt werden", meinte Bürgermeisterin Verena Dietl. "Die Kommunen haben nach derzeitiger gesetzlicher Lage kaum Einflussmöglichkeiten auf den Pflegemarkt, der sich immer weiter kommerzialisiert. Die Landeshauptstadt München nutzt alle verbliebenen Einwirkungsmöglichkeiten wie zum Beispiel die Förderung von Investitionen oder Sicherung geeigneter Standorte, um gezielt die Schaffung zusätzlicher Pflegeplätze und innovativer Pflege- und Versorgungsformen zu unterstützen. Aus unserer Pflegebedarfsermittlung von 2020 wissen wir, dass bis 2030 zusätzlich 1.000 Pflegeplätze benötigt werden."

Sie appellierte an die neue Bundesregierung, endlich gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Kommunen ermöglichen, bedarfsgerechte Angebote besser umzusetzen und dies nicht vorrangig dem freien Wettbewerb zu überlassen.

"Pflege wird so zum Armutsrisiko"

Laut Berechnungen des Sozialreferats sind die Eigenanteile von Bewohnern in Einzelzimmern vollstationärer Pflegeeinrichtungen im Dezember 2020 im Median auf 2.800 Euro pro Monat gestiegen. Im Dezember 2018 lag der Eigenanteil im Einzelzimmer noch bei rund 2.500 Euro pro Monat. Das entspricht einer Steigerung von 12 Prozent in zwei Jahren.

Ein Teil des Eigenanteils ist der pflegebedingte Aufwand. Er hat sich von 2018 bis 2020 im Median um rund 200 Euro pro Monat erhöht (2020: 1.300 Euro). Münchens Sozialreferentin Dorothee Schiwy erläuterte: „Die bisherige Bundesregierung hat die Eigenanteile – entgegen der ursprünglichen Ankündigungen – nur um einen geringen Betrag des pflegebedingten Aufwands gesenkt. Die finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen bleibt nach wie vor hoch. Immer mehr Bewohner*innen in einer vollstationären Einrichtung werden künftig auf Sozialhilfe angewiesen sein."

Allein im Jahr 2020 sei der Anteil der Betroffenen, die zur Finanzierung eines Platzes in einer vollstationären Pflegeeinrichtung auf Sozialhilfe angewiesen waren, um 1,2 Prozent auf insgesamt 36,3 Prozent angestiegen. Pflege werde so zum Armutsrisiko. "Das muss auf Bundesebene dringend geändert werden", so Schiwy, "wir brauchen eine Senkung der Eigenanteile in der Pflege und mittelfristig einen Wechsel zu einer Pflegevollversicherung mit gedeckelter Eigenbeteiligung.“

Kurzeitpflege: Plätze sind weggefallen

Bei der Tagespflege wurde für den Stichtag 15.12.2020 ein Zuwachs von 53 auf 374 solitärer Tagespflegeplätze festgestellt. Zudem sind dem Sozialreferat bereits jetzt weitere Tagespflegeeinrichtungen bekannt, die demnächst neu eröffnen bzw. ihr Platzangebot für solitäre Tagesplätze erhöhen wollen. Voraussichtlich ist dadurch zum Stichtag 15.12.2021 mit einem weiteren Anstieg um 47 solitäre Tagespflegeplätze (auf dann 421 Plätze) zu rechnen.

Um beinahe zehn Prozent verringert haben sich laut den Erhebungen die Anzahl der festen Kurzzeitpflegeplätze. Sie lag zum Stichtag im Dezember 2020 bei 83 Plätzen (Vorjahr 91 Plätze). Trotz der Corona-Pandemie waren diese Plätze sehr nachgefragt. Die Auslastung lag zum Stichtag bei 75 Prozent. Schwerpunkt der Kurzzeitpflege liegt allerdings nach wie vor auf den eingestreuten Kurzzeitpflegeplätzen, die in 55 der 59 Einrichtungen angeboten werden. Diese sind nicht fest im Voraus buchbar, sondern werden kurzfristig nach Verfügbarkeit angeboten.

Jede vierte Azubi-Stelle ist nicht zu besetzen

Der Fachkräftemangel in der Langzeitpflege hat sich durch die Corona-Pandemie weiterhin verschärft. Von den insgesamt 734 Ausbildungsplätzen in vollstationären Pflegeeinrichtungen mit verschiedenen Ausbildungsgängen waren zum Stichtag am 15.12.2020 rund 73 Prozent besetzt. 2020 wurde eine neue generalistische Pflegeausbildung eingeführt, die drei Pflegeberufe zu einem zusammenfasst. 51 vollstationäre Pflegeeinrichtungen haben 273 Ausbildungsplätze in der Generalistik angeboten, davon waren 181 zum Stichtag besetzt (66,3 Prozent).

„Gerade Interessierte aus dem Ausland hatten während der Pandemie in Deutschland kaum Chancen, eine Ausbildung in einem Pflegeberuf zu beginnen. Die Ausbildung in der Langzeitpflege – auch von jungen Berufseinsteiger*innen und in akademischen Pflegeberufen – in der Langzeitpflege muss deshalb eine hohe Priorität haben", so Sozialreferentin Dorothee Schiwy. "Vor allem brauchen Auszubildende aus Drittstaaten eine verlässliche Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, um einen vorzeitigen Ausbildungsabbruch zu verhindern.“

Fachkräfte wandern ab

Bislang werden Pflegekräfte in der Akut- oder Krankenpflege besser entlohnt als die Kollegen in der Langzeitpflege ("Altenpflege"), so Bürgermeisterin Verena Dietl. Das führe schon jetzt zu einer Abwanderung der Fachkräfte vom einen in den anderen Bereich. Im Zuge der Einführung der "Generalistischen Pflegeausbildung" könnte sich die Gefahr verschärfen, dass die Mehrheit der generalistisch ausgebildeten Absolventen in die Akutpflege wandere und dann entsprechend in der Langzeitpflege Personal fehle.

„Die Landeshauptstadt München fordert eine bessere Bezahlung aller beruflich Pflegenden und die tarifliche Gleichstellung von Langzeitpflege und Akutpflege im Krankenhaus, um die Rahmenbedingungen gleichermaßen attraktiver zu gestalten", bekräftigte Verena Dietl.

Das Sozialreferat bedankte sich für die gute Kooperation mit den Einrichtungen sowie ihren Trägern. Trotz der Corona-Pandemie haben auch in diesem Jahr alle Münchner teil- und vollstationären Pflegeeinrichtungen an der Vollerhebung mitgewirkt. Das Sozialreferat werde in den nächsten Jahren die jährlichen Datenerhebungen für die Marktberichte Pflege weiter fortsetzen.

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