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"Nachweislich falsch"

Julian Nida-Rümelin warnt vor dem "Akademisierungswahn"

Julian Nida-Rümelin lehrt Philosophie und Politische Theorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2001/02 war er Kulturstaatsminister im ersten Kabinett Schröder. (Bild: pi)

Den Sprung aufs Gymnasium nicht geschafft, für das Abi zu unbegabt? Was Eltern als "Scheitern" wahrnehmen, verbaut ihren Kindern in der Regel mitnichten jede Perspektive: Prof. Julian Nida-Rümelin beklagt, dass die berufliche Bildung (um die andere Deutschland beneiden) vernachlässigt wird. Selbst klassische Ausbildungsberufe sollen inzwischen immer häufiger an der Universität gelehrt werden. Wir aber brauchen Fachkräfte - vom Handwerker bis zur Pflegekraft. Brauchen diese "Praktiker" Abitur?

Vielfalt von Begabungen schätzen

Nida-Rümelin plädiert für ein Bildungssystem, das die Vielfalt von Begabungen wertschätzt, und rät zu eine Rückbesinnung auf die duale Berufsausbildung. Der "Akademisierungswahn" führe uns auf den falschen Weg. Er meint:

"Unter 'Akademisierungswahn' verstehe ich eine ganze Vielfalt von Phänomenen, die allerdings eng miteinander zusammenhängen:

- Zu diesem Wahn gehört die Idee, Abitur und Studium seien in Zukunft der Normalfall. Nur ein akademisches Studium könne für den globalisierten Arbeitsmarkt der Zukunft vorbereiten. Repetitive Tätigkeiten würden in Zukunft weniger nachgefragt, daher verliere die berufliche Bildung an Bedeutung.

- Damit einher geht die Abwertung aller Berufstätigkeiten, ja generell von Aktivitäten, die haptischer oder sozialer Natur sind, die eine Nähe zu Dingen oder Menschen verlangen.

- Der Anteil tertiärer Bildung sei das zentrale Qualitätsmerkmal von Bildungssystemen.

- Damit einher geht die Meinung, dass ein unbegrenzter Akademikeranstieg wünschenswert sei und dass eine Verlagerung von Berufsausbildungen an Hochschulen diese qualitativ verbessere und zukunftsfester mache.

- Zum Akademisierungswahn gehört weiterhin die Auffassung, ohne Studium und Abitur drohe der sozio-ökonomische Abstieg. Wer studiere, sichere sich damit ein weit höheres Lebensarbeitseinkommen.

Dass jede dieser Behauptungen nachweislich falsch ist, zeige ich in meinem Buch ' Der Akademisierungswahn. Zur Krise beruflicher und akademischer Bildung' (Edition Körber 2014)".

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