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"Mit Vertrauen fängt alles an"

Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler über Schwarz und Weiß, Verantwortung und Ängste, Papphocker und Ge

Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler. (Bild: ELKB Rost)

Susanne Breit-Keßler ist seit 2001 Regionalbischöfin des Kirchenkreises München-Oberbayern. Sie vertritt die Münchner und oberbayerischen Protestanten im Landeskirchenrat und in der Öffentlichkeit. Mit Johannes Beetz sprach sie über den Deutschen Evangelischen Kirchentag.

"Papphocker und viel Gesang"

Erinnern Sie sich an Ihren ersten Kirchentag? Welches Bild ist Ihnen im Kopf geblieben?

Susanne Breit-Keßler: Ich weiß gar nicht mehr, welcher das war. Aber ich erinnere mich an Papphocker und viel Gesang.

"Ein weltoffener 'global player'"

Den Kirchentag gibt es seit 70 Jahren. Das ist im Grunde die Spanne eines Menschenlebens. In dieser Zeit hat sich auch die Rolle der Kirchen in der Gesellschaft grundlegend verändert. Welche Veränderungen sind für Sie die entscheidenden und welche Impulse kann ein Kirchentag den Menschen heute geben?

Susanne Breit-Keßler: Die eigene Kirchenmitgliedschaft wird heute eher hinterfragt als früher. Die Kirche steht in mehr Konkurrenz zu anderen Sinnstiftungs-Angeboten. Der Kirchentag kann zu Selbstvergewisserung beitragen und zu der Erkenntnis, dass die evangelische Kirche ein weltoffener „global player“ ist, der in Gottes Namen zu Frieden, Gerechtigkeit und der Bewährung der Schöpfung beiträgt.

"Der Diskurs liegt uns im Blut"

Der Kirchentag ist ein Forum der Laien, er steht allen Konfessionen offen und es wird Veranstaltungen mit Vertretern anderer Religionen geben. Wie viel „evangelisch“ und wie viel „Kirche“ an sich steckt im Evangelischen Kirchentag?

Susanne Breit-Keßler: Der Kirchentag ist eine selbstständige Organisation, getragen von leidenschaftlichen Protestanten. Der Diskurs liegt uns Evangelischen im Blut - deshalb passt das schon alles so.

"Ein vitales Beispiel dafür, dass es geht"

Der Kirchentag ist zudem eine Veranstaltung der jungen Leute. Die fordern ja auch auf politischer Ebene neue Formen der Beteiligung und Mitgestaltungsmöglichkeiten ein – z.B. bei den „Fridays for future“ oder in einer starken „Pulse of Europe“-Bewegung. Eine funktionierende Gemeinschaft braucht immer beides: neue Ideen und stärkende Impulse der Jungen, aber eben auch die Erfahrung und stabilisierende Gelassenheit der Alten. Das fällt Institutionen wie den Kirchen, die auf dem Fundament von oft Jahrhunderte alten Bekenntnissen, Traditionen, Erfahrungen stehen, nicht immer leicht. Wie verknüpft man dennoch beides immer wieder aufs Neue?

Susanne Breit-Keßler: Der Kirchentag ist ein vitales Beispiel dafür, dass es geht. Alte und Junge treffen sich, machen vieles gemeinsam. Ansonsten sucht sich jeder individuell aus, was er oder sie machen mag. Und da wird manches alte Herz wieder jung und junge Leute interessieren sich für die Themen der Senioren. Wir sind eine lebendige Kirche und das spürt man auch.

"Mit Ängsten souverän umgehen"

In Ihrer Karfreitagspredigt haben Sie gesagt, wir sollten lernen, uns selbst zu akzeptieren als das, was wir sind: von Gott gewollte Menschen, die ein Leben mit Höhen und Niederungen erleben und manchmal eben auch den „Kopf voller Zweifel und ein Herz voller Angst“ haben. Mit dieser Angst zündeln Populisten gerne: Wir sehen nicht mehr das „Schlaraffenland“, in dem wir leben, sondern fühlen uns bedroht, an den Rand der Klippe gedrängt, verunsichert, machtlos.

Der Kirchentag setzt dem sein Motto „Vertrauen“ entgegen. Woraus ziehen Sie Vertrauen? Und in was setzen Sie Vertrauen?

Susanne Breit-Keßler: Ich setze mein ganzes Vertrauen auf Gott. Das hilft mir auch, mit Ängsten souverän und erwachsen umzugehen. Natürlich vertraue ich auch meinem Mann und meinen besten Freunden.

"Das sagt ja auch keiner"

Kirchentagspräsident Hans Leyendecker meint, Vertrauen oder Zuversicht seien ein gutes „Gegengift gegen die Lust an der manchmal schon modischen Untergangsstimmung“. Im Buch der Könige, aus dem das Motto vom Vertrauen stammt, wird von König Hiskia erzählt. Der sieht sich von einem mächtigen assyrischen Heer belagert – er hat den Untergang also ganz konkret vor Augen. Dass er dennoch auf Gott vertraut, bringt ihm Hohn und Spott der Assyrer ein. Hiskia ist am Ende aber der „Gewinner“ - Gottes Engel erschlagen die Soldaten seiner Gegner.

Ist das nicht doch ein wenig blauäugig? Vertrauen allein wird nicht reichen, um die Herausforderungen, vor denen wir stehen, zu bewältigen.

Susanne Breit-Keßler: Sagt ja auch keiner. Aber ohne Vertrauen ist alles nichts - da agiert man sich sinnlos zu Tode. Mit Vertrauen fängt alles an, das sieht man ja auch an den Kindern. Und dann kommt Nachdenken, miteinander Reden und Entscheiden dazu.

"Das wird nie altmodisch"

Der Kirchentag will „die Fragen der Zeit“ aufgreifen. Über 2.000 Veranstaltungen zu einer Fülle von Themen sind vorbereitet – es wird auch um nicht religiöse Dinge wie Stadtentwicklung, Älterwerden, Geschlechteridentität, Europa, Eigentum gehen. Welche gesellschaftliche Rolle kann Kirche in einer Zeit spielen, in der die Zahl ihrer Mitglieder schwindet?

Susanne Breit-Keßler: Unsere Kirche hat das zeitlos gültige Evangelium zu verkünden, mit dem man leben und sterben kann. Das wird nie altmodisch. Und zugleich betreiben wir auf dem Boden dieses Evangeliums Zeitansage. Wir sagen, was dran ist und wo wir unsere Verantwortung wahrnehmen müssen.

"Achtsam mit sich selbst umgehen"

Eines der Themen in Dortmund ist Nachhaltigkeit. Viele Menschen bewegt die Frage, wir wir die Lebensgrundlagen der nächsten Generationen sichern. Die Bewahrung der Schöpfung ist ja auch ein kirchliches Kernthema. Haben wir das Bibelwort „Macht euch die Erde untertan“ zu lange falsch verstanden?

Susanne Breit-Keßler: Ja. Denn es heißt nicht, die Erde und Menschen auszubeuten, sondern achtsam mit beidem und mit sich selbst umzugehen.

"Mit Schwarz und Weiß ist da nix"

Auf große Fragen gibt es keine simplen Antworten. Religion führt uns oft in Versuchung, die Welt in „richtig“ und „falsch“ einzuteilen. Es ist dann einfach, auf der „richtigen Seite“ zu stehen. Viel öfter müssen wir aber Dinge abwägen. Denn: Viel öfter als den einen, geradlinigen Weg gibt es Zwickmühlen und nur die Option zwischen kleinerem und größerem Übel. Ist das „Abwägen“ eine Kunst, die verloren geht?

Susanne Breit-Keßler: Der evangelische Glaube hat in der Nachfolge Jesu Christi als „Markenzeichen“ gerade das: Genau hinschauen, überlegen, die „Geister prüfen“, wie es im Neuen Testament heißt und sorgsam entscheiden. Mit Schwarz und Weiß ist da nix - das hat uns Jesus vorgelebt. Allerdings auch Klarheit in der Entscheidung!

"Sich selbst ein Urteil bilden"

Unsere Heimat ist eher katholisch denn evangelisch geprägt. Kinder werden in der Schule im Religionsunterricht entsprechend getrennt, so dass sie als Erwachsene kaum sagen können, was an „den Anderen“ das Andere ist. Wie würden Sie einem Katholiken oder Muslim erklären, was „evangelisch“ bedeutet?

Susanne Breit-Keßler: Im Religionsunterricht lernt man sehr wohl, was die anderen Konfessionen und Religionen ausmacht. Man besucht sich auch gegenseitig - und das setzt sich im Konfirmandenunterricht munter fort. Wer von uns Evangelischen nichts oder wenig weiß, dem würde ich sagen: Wir glauben an Gott, der die Welt und uns Menschen geschaffen hat. Wir glauben, dass Gott Mensch geworden ist in Jesus Christus, um uns nahe zu sein. Wir glauben, dass wir nicht durch unsere eigene Leistung selig werden, weder auf Erden noch im Himmel. Sondern dass Gott uns ohne Ende liebt - allein aus Gnaden. Die Beziehung zu ihm ist entscheidend, nicht die zu einer Institution. Hinzufügen würde ich, dass Luther diese Einsichten uns wieder neu nahe gebracht und ermutigt hat, die Bibel zu lesen und sich selbst ein Urteil zu bilden.

"Zu Bibelarbeit und Konzert"

Wenn Sie beim Kirchentag sind: Können Sie zwei oder drei Veranstaltungen nennen, die Sie besuchen wollen – und warum?

Susanne Breit-Keßler: Ich kann diesmal nicht beim Kirchentag sein. Wenn ich wie sonst dort wäre, würde ich in eine Bibelarbeit mit einem Politiker gehen und zu einem Konzert mit christlicher Rockmusik.

 

520.000 Gläubige in 150 Gemeinden

Zum Kirchenkreis München-Oberbayern gehören 150 Gemeinden in zwölf Dekanaten. Neben den Münchner Prodekanaten (mit Germering) zählen dazu das Dekanat Weilheim (mit Weilheim, Peißenberg, Starnberg, Tutzing, Berg, Dießen-Utting, Feldafing-Pöcking) und das Dekanat Fürstenfeldbruck (mit Eichenau-Alling, Gauting, Gräfelfing, Planegg, Stockdorf, Gilching, Herrsching). In diesen leben über 520.000 evangelisch-lutherische Christen.


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