Mit Fitnessbändern durch die Krise
Der Sozialdienst katholischer Frauen unterstützt wohnungslose Frauen
Alleine kochen, keinen Besuch empfangen, Angst um die Arbeitsstelle haben: Mit dem Corona-Virus sind seltsame Zeiten ins Land gezogen, die jeder auf irgendeine Art und Weise zu spüren bekommt, der eine mehr, der andere weniger. Auch die Bewohnerinnen des Hauses Agnes. Cornelia Zangl leitet die Einrichtung für wohnungslose Frauen vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Mit der Erzieherin und Sozialpädagogin, die außerdem über eine Coachingausbildung verfügt, sprach Tanja Beetz.
48 Einzelzimmer auf sechs Etagen
Seit wann gibt es das Haus Agnes und wie viele Frauen können hier wohnen?
Cornelia Zangl: Das Haus Agnes existiert seit dem Jahr 2002. Wir haben hier 48 möblierte Einzelzimmer, die sich über sechs Stockwerke verteilen. In jedem Stockwerk stehen den Bewohnerinnen Bäder sowie eine Gemeinschaftsküche und ein Aufenthaltsraum zur Verfügung. Die Landeshauptstadt München hat das Haus angemietet.
"Trennung vom Partner"
Welche sind die Hauptgründe für die Wohnungslosigkeit der Frauen?
Cornelia Zangl: Vorwiegend ist es die Trennung vom Partner oder der Herkunftsfamilie. Wir haben aber auch viele Migrantinnen, viele von ihnen mit Fluchthintergrund. Es sind Frauen, die durch einen Schicksalsschlag ihre Wohnung verloren haben. Außerdem kommen Frauen zu uns, die aus der Psychiatrie entlassen wurden, manchmal auch aus dem Gefängnis.
"Selbst versorgen können"
Welche Voraussetzungen müssen die Frauen erfüllen, um im Haus Agnes aufgenommen zu werden und wie lange ist die durchschnittliche Verweildauer?
Cornelia Zangl: Sie müssen auf jeden Fall volljährig sein, dürfen keinen anderen Wohnplatz zur Verfügung haben und sollen eine Beratung in Anspruch nehmen wollen. Außerdem müssen sie sich selbst versorgen können. Frauen, die von Suchtmitteln abhängig oder akut psychisch erkankt sind, können wir nicht aufnehmen, da wir schon psychisch kranke Frauen aufnehmen, wenn eine Zusammenarbeit möglich ist. Bei einer akuten Psychose beispielsweise ist dies nicht möglich, bei Depressionen schon. Im Schnitt bleiben die Frauen sechs Monate bei uns. Da es aber gerade in München sehr schwierig ist, eine Wohnung zu finden, kann bei der Landeshauptstadt München ein Antrag auf Verlängerung gestellt werden.
Kinder besuchen ihre Mütter
Was ist, wenn die Frauen Kinder haben? Können sie bei ihnen wohnen?
Cornelia Zangl: Da unsere Einzelzimmer nur rund neun bis zehn Quadratmeter groß sind, können Kinder nicht mit aufgenommen werden. Sie wohnen in der Regel beim Expartner, in einer Pflegefamilie oder in einem Heim. Manchmal ist es möglich, einen Platz mit einer Frau zu tauschen, die im Frauenobdach Karla 51 lebt und kein Kind hat. Natürlich können die Kinder bei uns im Haus Agnes ihre Mütter besuchen oder auch mal am Wochenende übernachten. Wegen der Corona-Pandemie ist das alles aber zurzeit leider nicht möglich.
"Kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld"
Stichwort Corona-Pandemie: Was bedeuten die Einschränkungen für die Bewohnerinnen?
Cornelia Zangl: Rund 60 Prozent unserer Bewohnerinnen sind berufstätig, viele von ihnen im Niedriglohnsektor. Das ist ein Problem, weil sie keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben. Hinzu kommen natürlich die Beschränkungen. Normalerweise dürfen sie bis 22 Uhr Besuch von Frauen haben. Das geht natürlich im Moment nicht. Auch die Gemeinschaftsküchen dürfen derzeit nur einzeln betreten werden. Die meisten der Bewohnerinnen sind sehr belastet, weil sie traumatische Erfahrungen gemacht haben. Für manche ist diese Situation sehr schwer zu ertragen. Andere wiederum sagen, ich habe schon so viel Schlimmes erlebt, da ist diese Corona-Krise nicht das Schlimmste. Sie kommen ganz gut durch.
Backen und malen
Wie können Sie helfen?
Cornelia Zangl: Wir können die Frauen zum einen mit Gutscheinen zum Beispiel von Supermärkten, Kaufhäusern und Drogerien unterstützen. Hungern muss bei uns keine Frau. Außerdem stellen wir verschiedene Materialien zur Verfügung. Wir haben eine Umfrage unter den Bewohnerinnen gemacht, was sie gerne machen würden. Da war der Wunsch nach Fitnessbändern, Hörbüchern und Büchern. Eine Frau wünschte sich ein Backbuch, eine andere Häkelsachen, eine weitere konnten wir mit Malsachen unterstützen. Zum Glück haben wir einen großen Garten, in dem wir Gymnastik machen können. Unsere Gruppenangebote können wir natürlich derzeit nicht anbieten. Normalerweise gibt es alles zwei Wochen ein gemeinsames Frühstück und einmal im Jahr ein Kunstprojekt. Was wir aber weiter anbieten, sind Einzelberatungen, da wir in unserem Besprechungsraum die Abstandsregeln sehr gut einhalten können.
"Befürchtungen haben sich Bewahrheitet"
Ist die Nachfrage nach Unterstützung mit Beginn der Ausgangsbeschränkungen angestiegen?
Cornelia Zangl: Oh ja, sie ist deutlich angestiegen. Was vor wenigen Wochen befürchtet wurde, hat sich bewahrheitet. Dadurch, dass auf einmal viele Paare den ganzen Tag gemeinsam zuhause sind, gibt es mehr Konflikte. Bei uns ist die Nachfrage ohnehin immer sehr hoch. Zieht an einem Tag eine Frau aus, zieht am gleichen Abend die nächste ein.
"Gelder gerechter verteilen"
Was wünschen Sie sich von der Politik mit Blick auf wohnungslose Frauen?
Cornelia Zangl: Die Frauen sind die größeren Verliererinnen in dieser Situation. Die Spirale in die Armut ist wesentlich schneller als bei Männern. Minijobs sollten in eine sozialversicherungspflichtige Beschäfitung übergehen. Wir brauchen mehr Unterstützung für Frauen und vor allem mehr Plätze. Ich denke, es ist auch wichtig, dass es mehr Beratung für Männer gibt, damit präventiv gegen Gewalt etwas getan werden kann. Die Gelder müssen einfach gerechter verteilt werden.
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