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Mit dem Kübel in der Hand auf die Bühne der Internetwelt

Seiten wie „Streetviewfun“ geben ahnungslose Passanten der Lächerlichkeit preis

Sie fühlen sich unbeobachtet - und rasen plötzlich als Witz um die Welt: Ahnungslose Menschen, die in unvorteilhaften oder einfach nur ganz privaten Situationen vor eine Google-Kamera geraten. Sie sonnen sich auf einer Wiese, küssen sich in einer Ecke, erleichtern sich an einem Zaun, stehen vor einem Erotikladen oder sitzen leicht bekleidet daheim auf der Terrasse. Einmal für „Google Street View“ abgelichtet, finden einige dieser unfreiwilligen Darsteller Eingang in das ewige Gedächtnis des Internets. Hier erheitern die mehr oder minder spaßigen Fotos Millionen Netznutzer auf Dutzenden von Seiten, die „streetviewfun“ oder „streetviewfunny“ heißen und längst ein eigenes, bizarres Genre bilden.

Läuft man einem der Kameraautos auf offener Straße in den Fokus, hält sich das Risiko noch in Grenzen, da Google die Gesichter von Personen verpixelt, also digital unkenntlich macht. Allerdings gelingt das nicht in allen Fällen. Unangenehmer wird die Sache, wenn man vor seinem Haus oder in seinem Garten fotografiert wird. „Google Street View“ liefert die Adresse nämlich immer mit. Mag das Gesicht auch verschwommen dargestellt werden, Nachbarn und Kollegen erkennen einen bestimmt. Und haben ihren Spaß. So wie im Fall einer Hausfrau aus Madrid. Eigentlich wollte sie nur draußen vor der Tür schnell den Putzeimer ausleeren. Wäre ihr bewusst gewesen, dass sie auf diesem Wege vor die Weltöffentlichkeit tritt, hätte sie sich vorher bestimmt noch etwas Netteres angezogen. Doch sie ahnte nicht, dass ein Kamera-Auto von Google just in diesem Moment alle Straßen des Viertels systematisch abfotografierte. Unbefangen lief sie mit ihrer Schlabberhose und weithin einsehbarem Dekolleté den sechs Digitalkameras voll ins Bild. Das Foto mit der Kübelfrau aus der Calle de Escribano Viejo ist bis heute online – und wird es immer bleiben. Wie gesagt: Das Gedächtnis des Internets vergisst nichts.

Keine Einwilligung eingeholt

Es ist nicht der Google-Konzern, der all die Gaudi-Seiten betreibt. Er liefert aber unbeabsichtigt den Stoff und operiert damit auf rechtlich problematischem Terrain. Zwei Münchner Juristen, die „Street View“ im Auftrag der Ingolstädter Tageszeitung DONAUKURIER analysiert haben, vertreten - ohne dass sich der DONAUKURIER dies zueigen machen würde - die Ansicht: Google beeinträchtigt zum Teil massiv Persönlichkeitsrechte. Der Rechtsanwalt Prof. Claus Köhler erklärt: „Ein digitales Foto von einem Haus darf ich grundsätzlich machen, wenn ich nicht hineinfotografiere und abbilde, was ein Passant nicht sieht. Luftbilder sind auch zulässig. Das heißt aber nicht, dass es zulässig ist, wenn von jemandem ein gestochen scharfes Foto geschossen wird, der beim Sonnenbaden im Garten liegt und erkennbar ist. Außer, es liegt vorher eine Einwilligung des Abgebildeten vor.“ Doch Google holt für „Street View“ nie eine Einwilligung ein. Köhlers Kollege Dr. Hans-Werner Moritz legt dar, dass aus seiner Sicht das Verpixeln von Gesichtern in der Regel deshalb nicht ausreicht, „weil andere individualisierbare Merkmale wie Haarfarbe oder Statur gegeben sind“. Damit seien die Hausansichten personenbezogen, wie es in der Fachsprache heißt. Moritz betont: „Wenn ich die Person auf dem Foto vollständig schwärze oder herausnehme, wäre die Aufnahme zulässig. Aber das tut Google nicht.“ Sondern liefert - ohne dies zu wollen - den Sammlern unfreiwillig komischer Straßenszenen wohl auch weiterhin ständig neues Material. Die Spanierin mit dem Putzkübel schafft es auf einer Funny-Picture-Seite immer noch in die Top 100 der populärsten Motive.

Immerhin: Bei „Streetviewfun“ steht derzeit auf Platz fünf das Foto eines Radlers im blauen Pullover, der mit grimmigem Blick einen ausgestreckten Mittelfinger in die Kamera hält. Das wiederum dürfte Google nicht sehr witzig finden.

Widerspruch möglich

Wer nicht will, dass sein Haus oder seine Wohnung im Internet bei „Street View“ zu sehen ist, muss bis 15. Oktober in der Zentrale von Google Deutschland in Hamburg Widerspruch einlegen. Dabei spielt es keine Rolle, ob man Mieter oder Eigentümer ist. Der Antrag sollte neben der genauen Anschrift auch die Namen der Bewohner enthalten, die widersprechen. Ratsam ist es ferner, zusätzliche Informationen etwa zur Farbe der Fassade oder zur Form des Daches mitzuliefern. Hält sich Google an die Vereinbarung, werden alle Ansichten des angegebenen Hauses samt Garten oder der jeweiligen Wohnung im Internet unkenntlich gemacht.

Widerspruch kann man mit Hilfe eines Online-Formulars, per Brief oder via E-Mail einlegen. Widerspruch per Online-Formular: www.google.de/streetview - hier muss unter anderem die Adresse auf einer Straßenkarte markiert werden. Google sendet anschließend eine Bestätigung, die der Antragsteller erneut online eingeben muss, um seine Identität zu verifizieren.

Widerspruch via E-Mail: streetview-deutschland@google.com - Von diesem Weg wird jedoch abgeraten, da Google hier nur seinen Hinweis auf das Online-Formular (siehe oben) sendet.

Widerspruch per Post: Google Germany GmbH, Betr. Street View, ABC-Straße 19, 20354 Hamburg. Ein Widerspruch per Telefon ist nicht möglich. Musterwidersprüche zum Herunterladen gibt es unter anderem auch auf der Internetseite des Bundesministeriums für Verbraucherschutz unter der Adresse www.bmelv.de.

Wer keinen Internetzugang hat, kann sich das Formular auch beim Werbe-Spiegel-Verlag (Fürstenrieder Str. 9, 80687 München, Tel. 54655115) abholen oder auf Wunsch zusenden lassen.


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