"Mit Arbeit verbunden, die man nicht unbedingt sieht"
Vor dem "Neustart": Wie haben Kitas die Corona-Wochen erlebt und gemeistert?
im Juli - so das angepeilte Ziel der Staatsregierung - sollen wieder alle Kinder ihre Kita besuchen können. Blicken wir auf die vergangenen Corona-Wochen zurück, in denen auch die Erzieher-Teams viele ganz neue Herausforderungen zu bewältigen hatten. Verschiedene Kitas beantworteten die Fragen von Johannes Beetz.
Unsere Gesprächspartnerinnen
Heike Vogt ist die pädagogische Leiterin des MuKuNa-Waldkindergartens in Gilching.
Daniela Chiaffrino ist die Leiterin der Kinderkrippe Haus Maria Thalkirchen (Sozialdienst katholischer Frauen, SkF).
Makbule Bilge Basal leitet das städt. Haus für Kinder in der Brantstraße 10 in Laim. Sie und ihr Stellvertreter Alexander Maier haben stellvertretend für die städt. Kitas in München geantwortet.
Dragana Barisic leitet das Kinderhaus Am Westpark (Träger ist die IKF – Integrative Kinderförderung GmbH, eine Tochtergesellschaft der Stiftung ICP München).
"Wir konnten gezielt auf Ängste eingehen"
Wir haben uns fast schon an Masken und Plexiglas an der Kasse gewöhnt. Nur: Im Kindergarten kann man sich nicht hinter Plexiglas und Schutzmasken verstecken. Wie gehen Sie mit der Angst vor einer Infektion um? Fühlen Sie sich und die Kinder geschützt?
Heike Vogt, MuKuNa: Da wir ein Waldkindergarten sind, können wir sehr gut den Abstand zu den Eltern wahren. Wir sind die ganze Zeit an der frischen Luft und somit fühlen wir uns ausreichend geschützt.
Daniela Chiaffrino, SkF: Wir versuchen natürlich alles, um Infektionen zu vermeiden. In bestimmten Situationen, wenn z.B. das Kind an der Türe abgeholt werden will, trägt sowohl das pädagogische Personal als auch die Eltern natürlich eine Maske. In der Gruppe ist es jedoch schwierig, andere Maßnahmen als häufiges Händewaschen, regelmäßiges Abwischen von Flächen und Spielzeug etc. durchzuführen. Im Sinne einer gut gelebten Pädagogik und natürlich immer zum Wohl der Kinder sehen wir wenig Möglichkeiten, weitere Maßnahmen zu treffen. Denn ein Kind im Krippenalter weint einfach mal und will und muss dann auch getröstet werden. Dieses Risiko ist uns aber durchaus bewusst. Deshalb würden wir auch Antikörper-Testungen für unsere Berufsgruppe begrüßen.
Makbule Bilge Basal und Alexander Maier, städt. Haus für Kinder: In den ersten Tagen herrschte viel Unsicherheit, da über das Virus noch wenig bekannt war und keiner wusste, wie es weitergehen wird. Daher war diese Situation für uns eine neue Herausforderung. Wir haben durch die regelmäßigen Handreichungen des Städtischen Trägers von unserer Arbeitgeberin, der Landeshauptstadt München, sehr gute Informationen und Richtlinien erhalten, wie wir in Kindertageseinrichtungen vorgehen sollen und wie wir uns gegenseitig schützen können. Durch den täglichen Austausch in Teambesprechungen, unserem "Corona-Update", konnten wir gezielt auf unsere Ängste eingehen. Wir haben anhand der Richlinien gemeinsam ein Hygienekonzept für unsere Einrichtung erarbeitet und uns auf die schrittweise Erweiterung des Betreuungsangebotes vorbereitet.
Dragana Barisic, IKF: Wir mussten von Anfang an sehr viele Maßnahmen treffen, um uns zu schützen. Wir vermeiden es, untereinander in der Einrichtung in Kontakt zu kommen, in dem wir alles telefonisch oder per Hauspost besprechen. Nasen-Mund-Schutz wird von allen getragen und wir desinfizieren alles mehrmals am Tag. Außerdem verbringen wir einen Großteil der Betreuung im Außenbereich.
"Mit großem Arbeitsaufwand verbunden"
Mitte März wurden alle Kindertageseinrichtungen geschlossen, später gab es “ein bisschen” Notbetreuung. Das hört sich fast nach “Urlaub” für die Beschäftigten an. War es das?
Heike Vogt, MuKuNa: Auf der einen Seite war es eine ungewohnte Situation, da wir nur 3 Tage Notbetreuung für 5 bis 7 Kinder hatten. Es fühlte sich schon stressfreier und ein bisschen wie Urlaub an. Auf der anderen Seite haben wir unsere Elternarbeit verstärkt wahrgenommen, wie z.B. regelmäßige Anrufe, und Arbeitsmaterial, das die Kinder zu Hause erledigen konnten, verschickt. Außerdem haben wir den Kindern ihre Lieblingsbücher und Lieder aufgenommen und ihnen per Mail zugesendet. Zusätzlich haben wir unsere Schutzhütte geputzt und renoviert, sowie den Garten neu bepflanzt.
Daniela Chiaffrino, SkF: Urlaubsgefühle kamen bei uns nicht auf. Mit dieser neuen Situation umzugehen, mit den täglich sich ändernden Meldungen etc. war für uns mit einem großen Arbeitsaufwand verbunden. Im Homeoffice haben wir anfangs die Zeit genutzt, konzeptionell zu arbeiten, das ist etwas, wofür wie im Alltag kaum Zeit haben. Um mit den Familien in Kontakt zu bleiben, haben wir Kreativpost mit Spielen und Bastelvorschlägen entworfen und verschickt. Natürlich gab es eine große Putzaktion und Vorbereitung der Räume und durch die kontinuierliche Erweiterung der Notbetreuung waren auch schnell wieder alle Kolleginnen vor Ort im Einsatz.
Makbule Bilge Basal und Alexander Maier, städt. Haus für Kinder: Unser Alltag und der der Kinder änderte sich grundlegend. Während der Notbetreuungszeit mit wenigen Kindern in der Einrichtung war es uns von Anfang an sehr wichtig, auch mit den anderen Familien und Kindern in Kontakt zu bleiben. Dafür haben wir verschiedene Wege gewählt, zum Beispiel Briefe geschrieben, Rezepte geschickt und mit Kindern und Eltern telefoniert.
Dragana Barisic, IKF: Nein, Urlaub war es auf keinen Fall. Wir haben die Zeit genutzt, um Aufgaben zu erledigen, die wir während des Regelbetriebs nicht schaffen. Wir haben die Räume aufgeräumt und gründlich gereinigt, Beobachtungsbögen ausgefüllt, Projekte fürs ganze Jahr geplant, unser Kinderhaus neu dekoriert, eine Bücherei eingerichtet und sogar eine Kinderhaus-Zeitschrift ins Leben gerufen.
"Es musste alles schnell gehen"
“Für diese Krise gab es keine Blaupause”, sagt Ministerpräsident Markus Söder. Auch Kitas mussten mit völlig neuen Situationen und Vorschriften zurechtkommen. Sicher kann man beim besten Willen nicht alles von Anfang an optimal regeln. Wie hat das in der Praxis funktioniert?
Heike Vogt, MuKuNa: Bei uns hat das alles rundum sehr gut funktioniert. Die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, nahmen die Eltern sehr gut auf.
Daniela Chiaffrino, SkF: Am schwierigsten war und ist es, dass neue Regelungen immer sehr kurzfristig bekanntgegeben werden und wir darauf sofort reagieren müssen. Wir müssen uns ständig informieren und mit allen Beteiligten abstimmen und absprechen. Das funktioniert, aber ist natürlich mit viel Organisation und Arbeit verbunden. Und auch Arbeit, die man nicht unbedingt sieht.
Makbule Bilge Basal und Alexander Maier, städt. Haus für Kinder: Das Thema "Corona" integrierten wir mit verschiedenen Methoden in unseren pädagogischen Alltag. Wir setzten spielerisch die hygienischen Maßnahmen um, begleiteten die Kinder bei Ängsten und besprachen ihre Fragen in täglichen Kinderkonferenzen. Gemeinsam mit den Familien haben wir die Kinder langsam und geschützt an den neuen Einrichtungsalltag herangeführt. Mit der Ausweitung der Notbetreuung hatten wir das Gefühl, dass die Kinder mit viel Freude und ohne Bedenken in die Einrichtung kamen. In Zeiten des Coronavirus konnten und mussten wir neue Wege gehen. So veranstalteten wir erfolgreich mit dem Elternbeirat die erste Online-Elternbeiratssitzung und Online-Fortbildungen für das Team. Ende Juni gibt es einen Online-Elternthemenabend zu "Medienkonsum".
Dragana Barisic, IKF: Es war eine sehr herausfordernde Zeit. Wir konnten uns nicht darauf vorbereiten. Es musste alles schnell gehen. Es ist in einem so großen Haus wie dem unseren mit viel Personal und vielen Familien schon eine richtige Herausforderung, die wichtigen und notwendigen Corona-Maßnahmen zu jeder Zeit umzusetzen und einzuhalten. Aber wir haben das sehr gut gemeistert, weil alle mitgemacht haben. Darüber sind wir sehr froh und auch dankbar.
"Nicht allein gelassen gefühlt"
Der Stopp des regulären Kita-Betriebs hat viele berufstätige Eltern vor große Alltagsprobleme gestellt. Nicht jeder kann auf Oma und Opa zurückgreifen – und sollte es jetzt ja auch besser nicht. Wie haben Sie die Eltern erlebt? Solidarisch? Frustriert?
Heike Vogt, MuKuNa: Dadurch, dass wir in regem Kontakt mit den Familien standen, haben sich alle Eltern nicht allein gelassen gefühlt. Sie waren eher dankbar für diese "Auszeit". Sie konnten wieder "Familie" genießen ohne Terminstress. Für die Eltern, die ohne Notbetreuung Beruf und Betreuung der Kinder unter einen Hut bringen mussten, war es schon organisatorisch schwerer. Auch die Eltern mit systemrelevanten Berufen und / oder Schulkindern - Geschwisterkindern hatten nicht so viel Auszeit.
Daniela Chiaffrino, SkF: Die Situation ist natürlich, nach so vielen Wochen mit den Kindern daheim, für die Eltern belastend. Trotzdem haben unsere Eltern toll reagiert, hatten viel Verständnis für unsere neuen Arbeitsbedingungen. Die Notbetreuung wurde gut genutzt, es waren vor allem Kinder von Eltern die in systemrelevanten Berufen tätig sind da, aber auch Kinder, die über das Jugendamt zu uns kommen. Das ist natürlich wichtig, weil die auch ohne Corona oftmals in schwierigen Verhältnissen leben, wie beispielsweise in einer Flüchtlingsunterkunft oder in extrem kleinen Wohnungen.
Makbule Bilge Basal und Alexander Maier, städt. Haus für Kinder: Unsere ersten Erfahrungen waren, dass Eltern, Kinder und auch wir sehr unterschiedlich mit der Corona-Pandemie umgegangen sind. Manche reagierten gelassen, andere wiederum ängstlich.
Dragana Barisic, IKF: Es war eine sehr lange Zeit. Es ist verständlich, dass die Eltern frustriert sind. Vor allem die, die keinen Anspruch auf die Notbetreuung haben. Nicht alle können Home-Office machen und der Urlaub und die Überstunden sind schnell ausgeschöpft.
"Noch komplizierter geworden"
Der Kita-Bereich leidet schon lange unter Personalmangel. Viele Erzieher gehören selbst zu einer der Risikogruppe und fallen – z.B. bei Schwangerschaft – in der Krise verstärkt aus. Wie konnten und wie werden Sie das stemmen?
Heike Vogt, MuKuNa: Wir haben dieses Jahr 13 Kinder. Unser Personal ist gut aufgestellt mit zwei Soz.Päds, einer päd. Ergänzungskraft und einem Bufdi. So konnten wir die Situation sehr gut stemmen.
Daniela Chiaffrino, SkF: Personalmangel ist immer ein Thema. Und schon in „normalen“ Zeiten stoßen wir an unsere Grenzen, weil wir immer knapp besetzt sind. Das ist alles tatsächlich jetzt noch komplizierter geworden, weil wir Erzieherinnen uns untereinander nicht aushelfen sollen, um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten.
"Mit Vorfreunde gekommen"
Wie gehen Kinder mit dieser völlig ungewohnten Situation um? Die, die in die Kita dürfen, werden dort ja viele ihrer Freunde vermissen.
Heike Vogt, MuKuNa: Die Kinder haben zu Beginn ihre Freunde vermisst, konnten aber sich sehr schnell auf die neue Situation einstellen. Wir haben natürlich die Umstände thematisiert und konnten so die Gefühle und Sorgen der Kinder auffangen.
Daniela Chiaffrino, SkF: Viele Eltern melden uns zurück, dass die Kinder zu Hause oft nach ihren Freunden aus den Gruppen fragen. Bei den anwesenden Kindern sprechen wir natürlich auch über die Kinder, die noch zu Hause sind. Schön zu sehen war, dass der Großteil der Kinder aus ihrer Krippenpause mit Vorfreude zurück in die Einrichtung gekommen ist.
Dragana Barisic, IKF: Mit den Kindern, die in der Notbetreuung waren, haben wir viel über die Situation geredet und durch Projekte versucht, es ihnen kindgerecht zu erklären. Ein wenig Sorgen bereiten uns die Kinder, die nicht in der Notbetreuung waren. Manche haben in der vergangenen Zeit auch Verhaltensprobleme entwickelt, was auch verständlich ist. Sie waren alleine zu Hause, teilweise auf engem Raum mit der ganzen Familie und ohne ihre Freunde und Spielkameraden zu sehen. Das ist schon eine Belastung, gerade für die Kleinen. Außerdem ist die Psyche der Kinder sehr sensibel. Die kleinste Veränderung in ihrem Alltag kann sie durcheinanderbringen.
"Wir würden uns mehr Gehalt wünschen"
In der Krise hat sich einmal mehr gezeigt, wie “systemrelevant” Ihre Arbeit ist. Erfahren Sie mehr Anerkennung als vor Corona?
Heike Vogt, MuKuNa: Unsere Arbeit findet bei den Familien große Anerkennung. Das war vor Corona schon so und hat sich in der Krise bestätigt. Die Kindergarten-Eltern loben unser Engagement und bringen Ihre Kinder gerne zu uns. Zu hoffen ist nur, dass sich der gesellschaftliche Stand der sozialen Berufe durch Corona bessert und sie mehr Anerkennung erhalten.
Daniela Chiaffrino, SkF: Von den Eltern bekommen wir wahnsinnig viel Anerkennung, das freut uns und motiviert uns natürlich sehr. Und bestätigt uns in unserer Arbeit. Aber: Wir würden uns einfach mehr Gehalt wünschen. Dann wäre vermutlich auch der Personalmangel schnell gelöst. Für eine Erzieherin liegt der Bruttoverdienst bei etwa 3.250 Euro, Kinderpfleger noch mal weniger, davon in München zu leben und eine Familie zu ernähren, ist natürlich schwierig.
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