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Man muss ihr eine Chance geben

Zwei Lehrerinnen kämpfen für die Mittelschule

Sabine Binder (r.) und Dilan Tarakci beantworten jeden Kommentar auf ihrer Instagram-Seite. Zu 99 Prozent seien die Beiträge positiv oder zumindest höflich, sagen sie. (Bild: Daniela Heinrichs)

"Jeder Job hat seine Herausforderungen. Wir sind in unserem angekommen", sagt Sabine Binder. Und Dilan Tarakci ergänzt: "Herausforderungen können positiv sein. Wir erleben jeden Tag Neues." Die beiden Frauen sind Lehrerinnen an Münchner Mittelschulen - motivierte, begeisterte Pädagoginnen, die für die Schulart und ihre Schülerinnen und Schüler eine Lanze brechen. Sie wollen die Klischees aufbrechen, die der Mittelschule anhaften und erreichen, dass diese wieder als wertige Schule wahrgenommen wird. Und vor allem wollen sie junge Leute gewinnen, die sich dazu entschließen, Lehramt Mittelschule zu studieren.

Um das zu erreichen, hat Sabine Binder vor rund eineinhalb Jahren - damals noch mit ihrer Kollegin Karin Rulka - die Instagram-Seite "Lehramt.Mittelschule" erstellt, die Einblick in den Schulalltag gibt. Sie seien, wie Sabine Binder erzählt, während eines gemeinsamen Spaziergangs in der Corona-Zeit zu dem Schluss gekommen, dass man für die Schulart Werbung machen müsse. Der Dienstweg führte sie zur Regierung von Oberbayern und diese gab grünes Licht für den Account, der so einen ganz offiziellen Anstrich bekam.

Lockere, witzige Reels

Inzwischen ist Karin Rulka ins Kultusministerium gewechselt und Dilan Tarakci, die gerade mit ihrem Referendariat fertig geworden ist, hat ihren Part übernommen. Blickt man ins "Lehramt.Mittelschule", so wird man immer wieder von lockeren, witzigen Reels - kurzen, unterhaltsamen Videosequenzen - überrascht. Da wird zum Beispiel in einer Begrüßungsszene mit den Jugendlichen abgeklatscht oder Dilan gibt in Sekundenschnelle ein Berufsprofil ab. Die Zahl der Follower wächst kontinuierlich und die beiden Lehrerinnen kommen gerne den sich mehrenden Anfragen nach, ob sie nicht an der BOS, FOS oder Uni ihren Beruf vorstellen und Fragen beantworten wollen.

Ihre letzte Klasse hat Sabine Binder durch fünf Schuljahre begleitet. Durchs Klasslehrerprinzip entstehe eine enge Bindung, berichtet sie. "Man kennt die Eltern und die Geschwister. Man wird zur Vertrauensperson." Und wie immer, wenn man mit einem bunten Haufen zusammen sei, gebe es auch viel zu lachen.

All-Inclusive-Lehrer

Natürlich sei alles eine Frage der Balance zwischen Nähe und Distanz, sagt die Pädagogin. Aber insgesamt seien die Jugendlichen nicht respektlos und wenn einem mal eine dumme Bemerkung herausrutsche, dann entschuldige er sich danach. Die Probleme seien eher anderer Natur. In den Klassen sammelten sich Kinder aus schwierigen Verhältnissen und Flüchtlingskinder, die noch wenig Deutsch sprechen. "Oft sind wir die einzigen, die ihnen Aufmerksamkeit schenken."

"Unsere Kinder sind nicht dumm," betont auch Dilan Tarakci. Es fehle ihnen aber oft an Unterstützung. Auch der dringend nötige Differenzierungsunterricht könne wegen des Lehrermangels nicht so stattfinden, wie es nötig wäre. Umso wichtiger sei es, den Schülern zu zeigen: Du bist mehr als diese Note. "Wir wollen auch Herz und Charakter bilden. Sie sollen stolz auf sich sein." Und dann resümiert sie schmunzelnd: "Wir sind All-Inclusive-Lehrer."

Viel praktisches Lernen

Ganz entschieden wehren sich die beiden Pädagoginnen gegen die Aussage, die Schule bereite nicht aufs Leben vor. "Das gelte nicht für die Mittelschule, meinen sie. Hier werde bereits ab der 6. Klasse durch die Fachlehrer berufsorientiert gearbeitet. Und die Jugendlichen lernten auch ganz alltägliche, praktische Dinge, wie zum Beispiel eine gesunde Ernährung aussehen sollte oder wie man ein Konto eröffnet.

Mittelschule hat Potential

"Man muss der Mittelschule eine Chance geben", sagen Sabine Binder und Dilan Tarakci übereinstimmend. Einen kleinen Schub erhoffen sie sich durch die angekündigte Angleichung des Gehalts. Und wenn ein Lehrer von einer anderen Schulart auf die Mittelschule wechsle, sollte er nicht den schlecht bezahlten Vorbereitungsdienst machen müssen. Das Fazit der beiden Lehrerinnen: "Wenn alle die richtigen Hebel drücken und wir wieder in positiven Kontext gestellt werden, hat die Mittelschule Potential. Vielleicht ist dies hier aber auch eine Chance, etwas Grundlegendes zu verändern."

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