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Johann Bäumer, der letzte Bürgermeister der Gemeinde Allach

Stadtteilhistoriker Dr. Walter G. Demmel berichtet

Wenn man weitere Überlegungen zur ungewünschten Eingemeindung Allachs nach München im Jahr 1938 (Werbe-Spiegel v. 14.11.2012, S.16) anstellt, kommt man nicht umhin, sich auch mit dem jeweiligen Bürgermeister der Gemeinde zu beschäftigen, der den Vertrag mit unterzeichnet hat. War der damalige Untermenzinger Bürgermeister Josef Grandl ein allen bekannter, bodenständiger, einheimischer Großbauer, so taucht Johann Bäumer in Allach erst in den 20er Jahren als Angestellter bei Diamalt auf. Dem weiter Forschenden begegnet Bäumer offiziell zum ersten Mal in Allach, als er 1926 beim Bezirksamt unter Vorlage eines Plans um Genehmigung zum Bau einer Gaststätte mit Fremdenzimmern nachsucht (Werbe-Spiegel v.15.05.2013, S.5; hier Bild 1 von 1930). Sein Lebenslauf unterscheidet sich auch deshalb wesentlich von seinem Bürgermeister-Kollegen Grandl in Untermenzing (Werbe-Spiegel v.17.07.2013, S.22).

Johann Bäumer ist am 31.08.1888 als Sohn eines Landwirts und Brauers in Chameregg – heute ein Stadtteil der oberpfälzischen Kreisstadt Cham – geboren, erlernte noch als 25-Jähriger die Landwirtschaft, was er als Gutspächter in Brunnthal bei München gut anwenden konnte. 1914-1918 nahm er vermutlich als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil, wurde zweimal verwundet, gasvergiftet und hatte seitdem die Versehrtenstufe II. Nach dem Krieg wurde Bäumer zunächst Gutsverwalter bei Kommerzienrat Leonhard Moll in Sendling und war dann von 1921-1944 Guts- und Fabrikverwalter bei der Diamalt A.G. in Allach. Bäumer wohnte mit seiner Familie im Pförtnerhaus, damals Hindenburgstr. 32, heute Georg-Reismüller-Str. 32. Dort fungierte er auch zunächst als Arbeitervertreter und von 1933-1944 als Betriebsobmann der Deutschen Arbeitsfront (DAF), die nach Auflösung der freien Gewerkschaften im Mai 1933 gegründet worden war. 1933 wurde er zweiter und war 1935-1938 erster und letzter Bürgermeister in Allach. Von meinem geschätzten Kollegen Dr. Paul Hoser, der sich intensiv mit der Entnazifizierung in der Stadt Dachau beschäftigte und dabei auch auf Hans Bäumer stieß, erhielt ich den Hinweis, dass im Staatsarchiv München zu Bäumer ein umfangreicher Spruchkammerakt bestünde, wonach 1950 nach langem Hin und Her das Spruchkammerverfahren gegen ihn eingestellt wurde.

Wer war nun dieser Mann, gegen den soviel vorlag, dass er interniert wurde und jahrelange Verhandlungen gegen seine Einstufung als Hauptschuldiger führen mußte? Sein gesamtes Leben bis 1950 ist in den Spruchkammerakten des Staatsarchivs München dokumentiert.

In den Entnazifizierungsverhandlungen gab Bäumer an, dass er seit 1925 Mitglied der NSDAP und vorher der Großdeutschen Volksgemeinschaft (GVG), die nach dem Fehlschlag des Hitlerputsches im November 1923 als Ersatzorganisation der zunächst verbotenen NSDAP fungierte, war. Stolz zeigte er sich auch, seit 1934 SS-Sturmbannführer ehrenhalber zu sein.

Als Träger des Ehrenzeichens vom 9. November 1923 (Blutorden) war Bäumer Nationalsozialist der ersten Stunde. Er erhielt zu Weihnachten 1934 von dem berüchtigten Judenhasser Julius Streicher ein Zigarettenetui mit persönlicher Widmung (Bild 2) geschenkt: „Johann Bäumer dem alten Kampfgenossen in großer Zeit! Weihnachten 1934 Streicher." Bei Julius Streicher handelt es sich um einen frühen Kampfgenossen Hitlers, den Herausgeber der Hetzschrift „Der Stürmer" und einen Antisemiten von hohem Bekanntheitsgrad.

Ab 1933 war Bäumer zweiter, von 1935-1938 erster Bürgermeister der Gemeinde Allach, als der er sich zweifellos für das Gemeinwesen unermüdlich einsetzte. In seine Zeit fällt der Bau einer neuen Schule (heute Franz-Nißl-Schule) durch den bekannten Architekten Sep Ruf (Werbe-Spiegel v. 30.01.2013, S. 9), einer Siedlung mit 52 Häusern, einer Kinderreichensiedlung für Familien mit mehr als drei Kindern, der Junkerssiedlung mit 36 Häusern, das Familienbad Allach und der Ausbau vieler Straßen.

Hinsichtlich der Eingemeindung Allachs nach München spielte Bäumer in den Verhandlungen 1937/38 eine besondere Rolle, da er mit seinen Bedingungen den anstehenden Vertragsabschluss beinahe zum Scheitern brachte. Nur die Androhung einer folgenschweren Zwangseingemeindung brachte ihn zum Einlenken und nach einem einstimmigen Gemeinderatsbeschluss unterschrieb Bäumer am Donnerstag, den 27.10.1938, den Eingemeindungsvertrag für Allach im Münchner Rathaus, gefeiert wurde am 27. November in Allach (Bild 3) und am 1. Dezember im Hofbräuhausfestsaal in München.

Danach wurde Bäumer Vorsitzender der Stadtbezirke Allach, Untermenzing und Ludwigsfeld, schied am 31.08.1944 auf eigenen Wunsch bei Diamalt aus, tauchte Anfang 1944 in der Stadtverwaltung Dachau auf und wohnte auch in der Stadt. Er wurde letzter Bürgermeister der Stadt bis zum Einmarsch der Amerikaner, denen er die Stadt kampflos überließ. Noch im letzten Kriegsjahr hatte er sich vor allem um den Ausbau der wenigen Luftschutzräume gekümmert. Nachdem er sich freiwillig gestellt hatte, wurde er von den Amerikanern in verschiedenen Lagern interniert und am 28.06.1947 nach 26 Monaten entlassen, nachdem ihn die Ärztekammer zu 90% arbeitsunfähig erklärt hatte.

Schon während des langdauernden Spruchkammerverfahrens (1948-1950) hielt er sich unter ärztlicher Aufsicht im Versehrtenkrankenhaus in Tegernsee und dann in der damaligen Krankenabteilung Bachmair in Rottach auf.

Formal musste sich Bäumer vor der Spruchkammer in vielen Punkten verantworten: Wegen der Mitgliedschaft im Verband national gesinnter Soldaten seit 1922/23 und in der NSDAP seit 1925 (Mitgliedsnummer unter 100.000), Blutordensträger, goldenes Parteiabzeichen, 1925-29 Ortsgruppenleiter in Allach-Untermenzing, 1934 Übernahme als SS-Untersturmführer mit Karriere bis zum Sturmbannführer, Bürgermeister von Allach und 1944/45 Bürgermeister von Dachau, 1933-43 Betriebsobmann bei Diamalt, Mitglied bei NSKOV, NSV und Kriegerbund, zuletzt noch Kreisabschnittsleiter für den Luftschutz. Im Bild 4 ist der fast voll dekorierte, stolze und überzeugte Nationalsozialist Bäumer zu sehen.

Vor der Spruchkammer waren viele bekannte Allacher Bürger als Be- und Entlastungszeugen aufgerufen, die ihn einerseits als temperamentvollen, lauten und eigenwilligen Mann charakterisierten, der in der Gesamthaltung aber stets seine individuelle Verantwortlichkeit erkennen ließ. Fest steht, dass er niemand „ans Messer lieferte", in einigen Fällen sogar sich für im KZ Dachau Befindliche einsetzte und z.B. Strobl, den Besitzer des Kiosk am Allacher Bahnhof, vor dem Zugriff der Politischen Polizei bewahrte.

In der Berufungskommissionssitzung vom 09.09.1950 wurde der Spruch der Hauptkammer vom 06.10.1949 aufgehoben, das Verfahren eingestellt und die Kosten von der Staatskasse übernommen. Man könnte auch hier auf den Gedanken kommen: „Die Kleinen hängt man auf, die Großen lässt man laufen".

Inzwischen hatte sich die Familie, nach einigen Jahren noch in Dachau, in der Rueßstr.3 in Untermenzing ein Haus gekauft und dort bis zum Tod von Johann Bäumer gelebt. Das abschließende Familienbild (Bild 5) zeigt Johann Bäumer in den 1950er Jahren mit seiner Frau Maria, Tochter und Enkeln.

Begraben ist die ganze Familie Bäumer im Untermenzinger Parkfriedhof. Ein tragisches Schicksal erlitt der Enkel Walter (im Bild der kleine Blonde) im Alter von 29 Jahren, der bei dem großen Busunglück am 7. März 1975 am Bahnübergang bei Krauss-Maffei mit zwölf anderen Businsassen das Leben verlor (Werbe-Spiegel v. 12.10.2011, S.16).

 

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