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"Jemanden zu etwas zwingen hat noch nie Früchte getragen"

Wie denken Festivalpianisten über das Üben, üben, üben?

Beim Pianistenfestival fliegen die Tasten - ein genuss! (Bild: www.tommyweiss.de)

Bereits zum vierten Mal treffen sich grandiose Pianisten im wunderbaren Rahmen des Festsaals im Künstlerhaus am Lenbachplatz in München, um gemeinsam an zwei Flügeln zu spielen: Am Freitag, 17. AUgust, findet dort wieder das Münchner Pianistenfestival statt. Christian Christl als musikalischer Leiter hat wieder tolle Kollegen um sich versammelt: Stefan Ulbricht, Günther Straub, Matthias Heilgensetzer und Christian Willisohn. Jeder spielt im traditionellen Jazz-Piano seinen eigenen Stil. Aber in München werden sie unter Beweis stellen, dass sie auch mit den Kollegen spontan an zwei Flügeln eine Energie entstehen lassen können, die ihresgleichen sucht.

Das Festival beginnt am 17.8. um 20.30 Uhr. Karten (35 bzw. 24 Euro) gibt es u.a. bei MünchenTicket, in den Büros der Münchner Wochenanzeiger (Luise-Kiesselbach-Platz 31 und Fürstenrieder Str. 5-9)  oder  im Künstlerhaus am Lenbachplatz, Tel. 089 / 59918414.

 

Fragen an die Profis

Die Münchner Wochenanzeiger haben die Profimusiker nach dem gefragt, was auch Amateure und Anfänger kennen: das Lampenfieber beim ersten Bühnenauftritt und die "Hänger" beim Üben:

Das erste Mal auf der Bühne war ...

Das erste Konzert in der Musikschule ist für Kinder, die ein Instrument lernen, ein einschneidendes Erlebnis (erst recht für ihre Eltern und Großeltern): Es sind Momente voller Gefühle wie Angst, Aufgeregtsein aber auch Stolz und Freude. Erinnern Sie sich daran, als Sie das erste Mal auf der Bühne standen? Wie war das vorher - und wie fühlte es sich hinterher an? Wissen Sie noch, was Sie damals spielten? Spielen Sie dieses Stück vielleicht heute noch ab und zu?

"Es war ungemein aufregend"

Günther Straub: Das erste Mal stand ich mit sechs Jahren auf der Bühne im Rahmen des Klassenabends meiner Musikschule. Es war ungemein aufregend, ich war sehr nervös, das damalige Stück hat sicher nicht länger als eine Minute gedauert hat. Ich weiß aber nicht mehr, welches Stück es war.

"Meine Hände haben gezittert"

Christian Christl: Der erste Moment vor Publikum war für mich ein ganz harter. Das war bei einem Open-Air-Festival. Als einziger akkustischer Act zwischen Hard-Rock Bands. Im Publikum mehrere tausend Menschen. Ich war nervös. Meine Hände haben gezittert und ich war mir nicht mehr sicher, ob ich kann, was ich geübt hatte. Das hat sich erst gelegt, als ich nach ein paar Minuten die positive Reaktion des Publikums wahrgenommen habe. Welche Songs ich damals gespielt habe, weiß ich nicht mehr. Aber noch heute geht es mir ab und an genauso, und die Nervosität fliegt mit der Begeisterung der Zuhörer einfach davon.

"Der Applaus gab mir Sicherheit"

Stefan Ulbricht: Ja, ich erinnere mich noch an meinen ersten Auftritt im Rahmen einer Schulfeier der Alexander-von-Humboldt Realschule in Siegburg. Das war im Mai 1998 und ich war 16 Jahre alt. Ich habe das Stück 'The Entertainer' von Scott Joplin gespielt, welches ich auch heute noch etwas abgewandelt in meinem Programm habe. Die Aufgeregtheit wurde durch den Applaus schnell hinweggespült und gab mir Sicherheit für den nächsten Gig.

"Das Gefühl war für mich sehr befreiend"

Matthias Heiligensetzer: Ich habe gute, bleibende Erinnerungen an meine ersten Schulkonzerte in der Musikschule. Da überwiegend klassische Musik gelehrt wurde, ich mich aber schon immer für Jazz- und Bluesmusik ´nebenbei´ interessiert habe, konnte ich meine Klavierlehrerin schließlich überreden, dass ich von Scott Joplin den ´Maple Leaf Rag´ spielen durfte. Natürlich war ich sehr aufgeregt, ich glaube, ich spielte ihn sogar auswendig. Es machte aber schon bald riesig Spaß, ein bisschen ´Drive´ in das ansonsten sehr gediegene Klassikprogramm des Abends reinzubringen. Das Gefühl war für mich sehr befreiend, und ein bisschen auch für das Publikum. Man merkte, dass es während des Stückes sogar mitwippte oder gar mitklatschte ... Jetzt war es ´mein Maple Leaf´ geworden ...

Heute ertappe ich mich manchmal noch zu Hause beim Üben, wenn ich ein paar Takte des Maple Leaf Rags anspiele ... dann kommen sofort die Bilder aus der Musikschule zurück.

 

Wenn man keine Lust aufs Üben hat ...

Übung macht den Meister - aber regelmäßig zu üben fällt Kindern manchmal schwer. Erwachsenen jedoch auch. Jeder hat mal einen "Hänger" oder einen Tag, an dem die Lust auf das Instrument einfach fehlt. Wie lange oder oft üben Sie selbst? Kennen Sie als Profi solche "Hänge"-Momente? Was tun Sie dann? Und was raten Sie Eltern, deren Kinder mal keine Lust aufs Üben haben?

"Gier nach ständig Neuem"

Stefan Ulbricht: Ich übe, so oft ich kann, und sehe das Üben nicht als Üben an, sondern als Befriedigung meiner Gier nach ständig Neuem. Diese Horizonterweiterung ist für mich Entspannung und keine Arbeit.

Kindern kann ich nur raten, die Musik zu spielen und zu üben, die sie selbst mögen und nicht das, was jemand anderes vorgibt bzw. was das Lehrbuch rät. Dann hat man mehr Freude an der ganzen Sache und bleibt auch dem Klavier treu.

"'Spielen', nicht 'abarbeiten'"

Matthias Heiligensetzer: Üben tu ich heute nicht mehr soviel wie damals. Die Zeit habe ich gar nicht mehr so, weil man sich ja auch auf viele andere DInge rund um das Musikbusiness kümmern muss …

Dennoch erweitert man ja irgendwie immer sein Repertoire, man lässt sich hier und da inspirieren, oder findet auf Youtube ein interessantes Tutorial, dann bleibe ich schon manchmal für ein paar Stunden darüber hängen. Da es aber Stücke sind, die mich von innen her interessieren, ist das für mich eigentlich kein ´Üben´, es ist eine Beschäftigung mit etwas Interessanten, ich baue mir das neue Stück zusammen, der ´Kleine Junge, der stundenlang mit den Legoklötzchen herumbastelt und die Welt um sich herum vergisst´ kommt da sicher wieder raus.

Genau, das ist es, ´der kleine Junge in dir´, der spielerische Ansatz, ausprobieren, umbauen, wieder zerlegen, … man sollte sich immer wieder daran zurückerinnern, wie man als Kind gespielt hat, auch diese Leichtigkeit beibehalten. Schließlich heißt es ja ´Klavier spielen´ und nicht ´etwas am Klavier abarbeiten´.

Mittlerweile habe ich zwei Töchterchen, eine lernt auch Klavier. Wenn es mal Durchhänger gibt, dann wird auch mal Quatsch am Instrument gemacht. Z.B. ´Die Finger laufen jetzt mal wie eine Maus über die ganze Tastatur´, oder ´auf den Klavierhocker legen und rückwärts mit den Händen über dem Kopf spielen …

"Es gibt Tage, wo es einfach nicht geht"

Günther Straub: Dies ist eine interessante Frage. Ein wesentlicher Teil des Übens ist für mich das Hören, d.h. wenn man ein Stück 100 mal anhört kann man meistens mindestens die Hälfte davon schon bevor man beginnt es einzuüben. Es gibt Tage, wo es einfach nicht geht, da passt überhaupt nichts, weder Rhythmus noch Anschlag, oder es ist einfach ohne Spirit. Dann darf man es auch nicht erzwingen.

Andererseits gibt es Tage, wo man zwar nicht plant, zu üben, dann aber zufällig am Klavier landet und ein entsprechendes Flow-Erlebnis entwickelt, so dass es einen „von selbst“ spielt und das kann durchaus auch zwei bis drei Stunden sein. Man muss diesen Tagesverfassungen einfach Raum geben. Das Schlechteste ist, Kinder in diesen Phasen zum Üben zu zwingen, da man genau das Gegenteil erreicht.

Allerdings sollte grundsätzlich eine gewisse Übungsdisziplin eingehalten werden. Ich persönlich übe nicht täglich, aber wenn dann konzentriert.

"Kinder machen zu lassen, wozu sie Lust haben"

Christian Christl: Ich übe nicht mehr. Nach über 30 Jahren als Profi-Pianist bin ich eher am „trainieren“. Das heisst, ich versuche die Kondition in der linken Hand auszubauen. Als Pianist, der Boogie Woogie spielt, ist die linke Hand sehr wichtig. Deshalb muss ich sie trainieren, damit ich während des Konzertes keine Temposchwankungen habe. Neue Songs übe ich aber doch tatsächlich. Wobei ich nicht Note für Note übe, sondern das Grundgerüst an Melodie und Harmoniewechsel. Das habe ich meist relativ schnell intus. Dann beginnt die wirkliche Arbeit: Melodie und Akkordwechsel in Tempo, Groove und Timing zu bearbeiten um aus jedem Song, egal wer ihn komponiert hat und wie andere ihn spielen, etwas eigenes zu machen. Eltern, deren Kinder mal keine Lust zum Üben haben, rate ich, die Kinder machen zu lassen, wozu sie Lust haben. Wenn ein Kind selbst den Ehrgeiz entwickelt Klavier zu üben, dann passt es. Jemanden zu etwas zwingen hat noch nie Früchte getragen.

 

Die Künstler

Stefan Ulbricht: 1982 in Bonn geboren, entdeckte er bereits mit 5 Jahren seine Liebe zur Musik. Eine TV-Sendung infizierte ihn mit dem „Boogie-Virus“. Stark beeinflußt wurde er vom Altmeister des Boogie in Deutschland, Leopold von Knobelsdorff. Ulbricht ist auch ein Dampflok-Fanatiker und spielt den Boogie-Woogie am Klavier entsprechend klassisch im Stile von Albert Ammons und Pete Johnson.

Günther Straub: Geb. in Wien, begann Straub schon im Vorschulalter Musikstücke nach dem Gehör zu spielen. Es folgte eine elfjährige klassische Klavierausbildung. Seine Liebe zum traditionellen Klavierjazz wurde 1974 durch Earl Hines´ Version des „St. Louis Blues” entfacht. Straub begann, von alten Schallplatten abzuhören und widmete sich anfänglich dem klassischen Blues und Boogie Woogie und war bald fixes Mitglied der Wiener Musikszene. Es folgte eine intensive internationale Konzerttätigkeit, die von Wien über viele europäische Länder bis in die USA führte. Sein Hauptinteresse gilt neben dem klassischen Blues und Boogie –Woogie vor allem dem Stride - Piano, den alten Piano Rolls und Interpreten wie Jimmy Blythe, Fats Waller, James P. Johnson, Jelly Roll Morton, Teddy Wilson.

Matthias Heilgensetzer: Der gebürtige Allgäuer wohnt in München und spielt ein ganz hervorragendes New Orleans Jazz-Piano. Bereits als 14-jähriger sah er Memphis Slim auf einer Bühne und fortan war es um ihn geschehen. In den Anfängen konzentrierte er sich auf den klassischen Boogie Woogie, entdeckte aber bald, dass es, rein pianistisch gesehen, noch viel mehr gibt, was am Klavier rockt und rollt. Obwohl er autodidaktisch Klavier erlernte, sind seine Klassik- & Boogie-Mixturen ein wahrer Hörgenuss.

Christian Willisohn: Er gehört zu den Phänomenen im Blues- und New Orleans-Piano weltweit. Wohl kaum ein anderer Pianist hat ein derart absolutes Gehör und ein derart großes Herz, Blues- und Boogie-Piano mit Gefühl und absoluter Technik zu spielen. Seine Stimme klingt wie 20 Jahre alter guter Whiskey. Er spielte auf Festivals weltweit und ist der einzige deutsche Pianist, der seit Jahrzehnten regelmäßig zum New Orleans Jazz- und Heritage-Festival eingeladen wird.

Christian Christl: Jahrgang 1962, ist der musikalische Leiter des Pianistenfestivals im Künstlerhaus. Seit Mitte der 1980er Jahre spielt er prof. Blues- und Boogie-Piano, war in den USA zu hören, in ganz Europa und in Australien. Er stand auf einer Bühne mit Ray Charles, B.B. King und Buddy Guy. Christl spielt am liebsten, was er „Vintage Blues & Boogie“ nennt.


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