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"Jeder muss sich an der eigenen Nase packen"

Überlebt der Kaufmann um die Ecke? Bernd Ohlmann vom Handelsverband über den lokalen Einzelhandel im Schatte

Das Einkaufsverhalten ändert sich: Der Online-Handel bleibt eine Boombranche. Um 17 Prozent werden die übers Internet erzielten Umsätze 2014 wachsen, so die Prognose des Handelsverbands Bayern e.V. (HBE). Im Freistaat wird das Volumen des Online-Handels heuer auf 6,6 Milliarden Euro ansteigen.

Mit 60.000 Betrieben ist der Einzelhandel nach Industrie und Handwerk der drittgrößte Wirtschaftszweig in Bayern. Der HBE vertritt die Interessen des Einzelhandels. Was können die Händler vor Ort den Versand-Giganten entgegensetzen? Johannes Beetz sprach darüber mit HBE-Geschäftsführer Bernd Ohlmann.

Eine Milliarde Euro geht online verloren

Hohe Kaufkraft, niedrige Arbeitslosigkeit: München und sein Umland sind ein Dorado für den Einzelhandel. Wie stark sieht sich der hiesige Einzelhandel von der Online-Konkurrenz bedroht?

Bernd Ohlmann: Die Umwachszuwächse im Münchner Einzelhandel in den letzten Jahren sind nicht exorbitant - wenn auch höher als in vielen anderen Städten. Wir erwarten in diesem Jahr knapp über 10 Milliarden Euro Umsatz, davon werden rund 9 Prozent Online-Handel sein. Das heißt: Die Münchner kaufen in diesem Jahr für rund eine Milliarde Euro Waren online ein. Das ist für den stationären Einzelhandel eine richtige Bedrohung, denn das fließt von den Geschäften vor Ort ab. Jeder Euro kann ja nur einmal ausgegeben werden.

Uns trifft nicht nur der Umsatzverlust, sondern das große Problem ist der Beratungsklau. Es ist ein Riesenproblem, dass Leute sich im Geschäft umfassend beraten lassen - und dann online einkaufen. Das Oberdreiste sind Leute, die online eingekauft haben, aber zum Reparieren zum stationären Einzelhandel gehen.

Jeder kann aussuchen, in welchem Geschäft oder ob er online einkauft, aber der Verbraucher muss sich auch der Folgen bewusst sein. Jeder muss sich mit seinem Einkaufsverhalten an der eigenen Nase packen, denn das, was wir vor Ort haben, wird natürlich bedroht.

Fehlt den Kunden das Bewusstein für diese mittelfristigen Folgen ihres Einkaufverhaltens?

Bernd Ohlmann: Bei vielen Kunden beobachten wir schon wieder ein Umdenken – gerade bei hochwertigen Dingen. Wenn etwas kaputt ist, wenn man nach dem Kauf etwas erklärt haben will, dann will man den Service beim Händler um die Ecke haben.

"Wir sorgen dafür, dass für alles gesorgt ist"

Bundesweit rücken die Anzeigenblätter gerade die Bedeutung des Einzelhandels vor Ort in den Fokus: Der "Kaufmann um die Ecke" ist oft Sponsor für Vereine im Viertel, er bildet Jugendliche aus, er belebt seine Nachbarschaft ...

Bernd Ohlmann: Die Öffentlichkeit hat leider oft das Bild der jammernden Einzelhändlers: "Die Klage ist des Kaufmanns Gruß", heißt es. Aber die wichtigen sozialen Funtionen, die der Einzelhandel nun mal in einem Stadtteil hat, werden oftmals unterschätzt. Wir sorgen dafür, dass für alles gesorgt ist. Jeden Tag.

Gerade in den Stadtvierteln hat der Einzelhändler eine wichtige soziale Funktion. Man kennt den Kaufmann um die Ecke seit vielen Generationen, man kennt die Kassiererin, man kennt den Chef, da hält man ein Pläuschchen. Das ist ganz wichtig! Der Einzelhändler ist der Unterstützer für Aktivitäten in der eigenen Straße: Er unterstützt  Aktionen zum Schulstart, er unterstützt den Sportverein. Das wird in München gelebt.

Jede Straße wirkt doch tot und leblos, wenn Geschäfte geschlossen sind. Da entsteht sofort der Eindruck von Verfall und Niedergang. Das möchte niemand. Wenn kleine Geschäfte aufhören, ist das ein Verlust an Attraktivität und Vielfalt. Das Problem der Nahversorgung mit Lebensmitteln hat auch München schon erreicht. Auch in München schließen Lebensmittelgeschäfte, wo die Kunden zu Recht klagen: "Ich kann nicht mehr bei mir einkaufen." Es gibt den demografischen Wandel. Wir werden immer älter. Die Älteren sind nicht mehr so mobil, sie brauchen den Lebensmittelmann um die Ecke.

"Da kommt das Internet nie und nimmer hin"

Wo hat der lokale Einzelhandel die Nase vorn? Welche Anstrengungen halten Sie für gelungen?

Bernd Ohlmann: Grundsätzlich sehen viele Händler das Internet nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Herausforderung. Im Internet kann man schnell und bequem einkaufen - nicht unbedingt günstiger.

Der Einzelhändler vor Ort kann punkten, wenn er den Einkauf zum Erlebnis macht. Das muss es sein. Beispiel Weihnachten: Ein Einkaufserlebnis mit schön geschmückten Straßen, einem Glühwein zwischendurch und Schaufenstern, an denen sich die Kinder die Nasen plattdrücken - da kommt das Internet nie und nimmer hin. Aber auch der kleine Händler um die Ecke schafft ein besonderes Flair: Man kann die Sachen anfassen, fühlen, sofort probieren. Das ist ein ganz großer Vorteil.

Es wird immer beides geben: das Internet und den stationären Einzelhandel. Wir versuchen, der Öffentlichkeit und der Politik klar zumachen, dass der Einzelhandel dafür sorgt, dass unsere Städte und Gemeinden bunt und lebendig sind. Damit kann das Internet nicht punkten.

Drei Trümpfe und Verbesserungsbedarf

Es gibt aber auch Defizite: Der Kundenservice vor Ort ist nicht immer optimal, hat jüngst eine Forsa-Umfrage ergeben. Vier von zehn Kunden wünschen sich von ihrem Einzelhändler zum Beispiel mehr Unterstützung bei der Suche nach Produkten.

Bernd Ohlmann: Sicher gibt es überall noch Verbesserungsbedarf. Die drei Trümpfe des stationären Einzelhandels sind: Service, Beratung, Qualität. Das fängt bei der Schulung des Personals, dem Umgang mit Reklamationen, der Gestaltung des Schaufensters und der Ladenräume an.

Wir haben als Verband seit zehn Jahren unsere Serviceoffensive Handel in ganz Bayern. Hier bieten wir unseren Mitgliedern kostenlos Veranstaltungen zu Verkaufsgespräch, Warenpräsentation, Beschwerdemanagement an. Diese Woche starten unsere Strategien gegen Beratungsklau: Wie kann ich dem begegnen, ohne dem Kunden zu nahe zu treten? Da helfen wir unseren Mitgliedern.

"Wir brauchen flankierende Maßnahmen"

Und wie können die Kommunen helfen? In München beklagten die Geschäftsleute Einbußen durch die überlange Dauer der Großbaustelle in Pasing, es fehlen Parkplätze am umgestalteten Harras, ...

Bernd Ohlmann: München ist in vielen Dingen beispielhaft. Das polyzentrische Einzelhandelskonzept (dass es Zentren nicht nur in der City, sondern in den Vierteln gibt) hat sich bewährt.

Es gibt aber auch Hemmschuhe, das will ich nicht verhehlen. Oftmals scheitert die nötige Erweiterung eines Geschäfts an bürokratischen Hürden und letztlich muss der Händler dicht machen. Wir brauchen seitens der Stadt flankierende Maßnahmen bei der Verkehrsführung, bei Geschäftserweiterungen, bei der Frage der Parkplätze. Der Autofahrer ist der wichtigste Kunde für uns. 70 bis 80 Prozent des Umsatzes werden per Auto gemacht.

"Man kann das Internet nicht wieder abschaffen"

Wie schätzen Sie die Entwicklung der nächsten Jahre ein?

Bernd Ohlmann: Es wäre naiv zu glauben, man könnte das Internet wieder abschaffen. Es wird das Einkaufen in München in den nächsten Jahren revolutionieren. Es gibt viele Geschäfte, die zweigleisig aufgestellt sind: Zwei Drittel haben eine eigene Webseite. So sind sie für ihre Kunden auch abseits der Ladenöffnungszeiten präsent. Etwa ein Drittel hat einen eigenen Webshop. Das kostet aber eine Menge Geld – die Logistik, die Retouren - und ist gerade für kleine Geschäfte verdammt schwer. Das ist oft nicht zu stemmen. Gerade für die Kleinen bleibt der Einkauf vor Ort ihre Trumpfkarte.

Auf absehbare Zeit wird der stationäre Einzelhandel den Großteil der Umsätze generieren. Wir haben allerdings zum Teil einen enormen Frequenzverlust. Man merkt, die Leute shoppen vom Wohnzimmer aus – besonders die wichtige Zielgruppe der Frauen. Da werden für ein Paar Schuhe 20 Paar bestellt und 19 zurückgeschickt.

Das ist ein großes Problem, aber wir können es lösen, wenn klar wird, welche Bedeutung der Einzelhandel hat.


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