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"Ja, es tut sich was!"

Katharina Habersbrunner über eine nachhaltige Stadt und Wegweiser, hohe Emissionen und explodierende Mieten

Katharina Habersbrunner: "Die SDGs sind der Wegweiser, denen die Bundesregierung, die Landesregierung, Kommunen und Bürger folgen." (Bild: ak)

Katharina Habersbrunner ist im Vorstand bei WECF (Women Engage for a Common Future). Sie ist als Bereichsleiterin für Klima und Energie für sozial- und gendergerechte Klima-und Energieprojekte zuständig. Außerdem ist sie eine der Sprecher von MIN (Münchner Initiative Nachhaltigkeit), die im Februar den ersten Münchner Nachhaltigkeitskongress veranstaltet hat. Anja Kroha sprach mit ihr über diesen Startschuss und seine Folgen.

"Wir müssen umsteuern"

Sie haben den ersten Nachhaltigkeitskongress in München organisiert. Nachhaltigkeit ist für viele Bürger ein immer größeres Anliegen. Das hat die hohe Beteiligung beim „Bienenvolksbegehren“ und der Zulauf bei den „Fridays for Future“ Demonstrationen gezeigt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Katharina Habersbrunner: Ja, das Interesse am ersten Münchner Nachhaltigkeitskongress war groß. Der Kongress hat mehr als 400 Akteure aus verschiedenen Bereichen zusammengebracht, neben engagierten Bürgern und Organisationen auch Schlüsselpersonen aus Verwaltung und Politik, die München nachhaltiger machen wollen. Und ja, es tut sich was! Der heiße Sommer, das Insektensterben, die Demonstrationen der Schüler machen vielen Menschen bewusst, dass wir umsteuern müssen. Der Erfolg des bayerischen Volksbegehrens hat nicht nur Naturliebhaber begeistert, die bayerische Staatsregierung hat noch nachgebessert.

Die Zeit ist reif für klare Handlungskonzepte – das zeigt aktuell auch die breite Unterstützung für das Münchner Radbegehren. Auch international ist der Rückenwind spürbar, nicht zuletzt durch die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs), zu denen sich der Stadtrat 2016 bekannt hat und dafür eine Nachhaltigkeitsstrategie erarbeiten muss. Die Münchner Initiative Nachhaltigkeit – MIN – trägt als Partner dazu bei, dass die ökologischen und sozialen Interessen Berücksichtigung finden. Es gibt viele gute Projekte und Einzelbeispiele – aber wir brauchen Strukturen, die nachhaltiges Handeln fördern und verankern. Als erste deutsche Stadt begeht beispielsweise Konstanz mit dem Ausruf des Klimanotstands einen ersten wichtigen Schritt, der nun mit wirksamen Herangehensweisen und Kooperationen mit ressortübergreifenden Ansätzen mit Leben gefüllt werden muss.

"50 Organisationen sind dabei"

Wer (welche Organisationen etc.) ist bei MIN beteiligt?

Katharina Habersbrunner: MIN setzt sich derzeit aus über 50 zivilgesellschaftlichen Organisationen aus sämtlichen Bereichen der nachhaltigen Entwicklung in München zusammen, von A wie Ackernetz und ADFC München bis V und W wie ver.de und WECF. Sie alle setzen sich für ein nachhaltiges München ein nach dem Motto "Wir wollen so leben und wirtschaften, dass die Entwicklungschancen heutiger und künftiger Generationen – in München und weltweit – gewahrt und verbessert werden und dass München nicht auf Kosten anderer Weltregionen lebt." Als Plattform und Sprachrohr bietet MIN ihnen die inhaltliche und organisatorische Struktur, sich gemeinsam für ein zukunftsfähiges München einzusetzen und die Einlösung der Versprechen einzufordern. Weitere engagierte Organisationen sind willkommen.

"Die Universalität ist ein großer Fortschritt"

Was ist die Agenda 2030? Worum geht es in der Agenda 2030? Was sind die nachhaltigen Entwicklungsziele SDGs?

Katharina Habersbrunner: 2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen die „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ mit den 17 SDGs, den Sustainable Development Goals. Sie gelten universell, im Norden wie im globalen Süden. Sie sind eine neue Basis für die nötige Zusammenarbeit verschiedener Akteure, was beispielsweise mit dem Ziel, die riesige Menge an Lebensmitteln, die tagtäglich weggeworfen werden, mindestens einmal zu halbieren, deutlich wird. Die Universalität der Agenda 2030 ist ein großer Fortschritt. Sie ruft zur gemeinsamen Verantwortung auf und setzt auf Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Partnerschaften und verbindet das mit der Würde des Menschen in ökologisch intakten Lebensgrundlagen. Die SDGs sind der Wegweiser, denen die Bundesregierung, die Landesregierung, Kommunen und Bürger folgen. München steht also vor der Herausforderung, Bewusstsein für globale Herausforderungen sowie lokale Verantwortung zu schaffen, eine Agenda für die SDGs festzulegen: eine Münchner Nachhaltigkeitsstrategie.

11 Jahre haben wir noch bis 2030 für die ehrgeizigen, manchmal utopistisch erscheinenden Ziele. Selbst in einem wohlhabenden Land wie Deutschland sind die meisten davon noch nicht erreicht und auch hier an der Isar nicht. Zwar verfügt München z. B. über eine sehr gute Trinkwasserqualität, aber für nachhaltige Energien, emissionsarme Mobilität und soziale Gerechtigkeit ist auch in München viel Luft nach oben. Als München die Agenda im Jahr 2016 unterzeichnete, gründete sich MIN, um diesen Prozess mitzugestalten.

"Alle Themen zusammen denken"

Was waren Ihrer Meinung nach die drei wichtigsten Themenfelder beim Kongress?

Katharina Habersbrunner: MIN hat von den Nachhaltigen Entwicklungszielen die für die Stadt dringlichsten herausgearbeitet und unter Berücksichtigung gewachsener Strukturen 8 politikfeld-übergreifende Manufakturen (Arbeitsgruppen) initiiert. Die Themen Mobilität, nachhaltige Stadtentwicklung und Energie- und Klimaschutz brennen uns unter den Nägeln. Aber genau darum geht es bei den SDGs, dass wir diese Themen nicht einzeln betrachten, sondern zusammendenken mit Armutspolitik, Geschlechtergerechtigkeit, Ernährung, Bürgerbeteiligung und Bildung. Wohnen kann in München ein Armutsrisiko sein. Um eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen, müssen alle Themen wie – hohe Emissionen, explodierende Mieten, Staus, überfüllte Bahnen, soziale Spaltung, Kinderarmut, etc. – zusammen gedacht werden. Das leisten die SDGs.

"Zu wenig Unterstützung für innovative Ansätze"

Wo ist ein Handeln besonders dringend erforderlich?

Katharina Habersbrunner: Wir haben alle relevanten Informationen, es gibt Pilotprojekte. Aber es existieren kaum Konzepte mit verbindlichen Vorgaben seitens der Politik, an denen sich alle orientieren und die auch dauerhaft Wirkungen entfalten können. Zu wenig Unterstützung für innovative Ansätze, die über Modellprojekte selten hinauskommen. Noch immer sind die Anreize, sich nachhaltiger zu verhalten, zu schwach, damit Menschen sich umorientieren. Dringlich brauchen wir neue Lösungen für unsere Mobilität, unseren verschwenderischen Umgang mit Energie und Ressourcen, für klassenunabhängigen Zugang zu Bildung und Gesundheit und wie mehr Nachhaltigkeit für alle auch finanziell gestemmt werden kann. Können sich alle Münchner ein MVV-Jahresticket oder gesunde Lebensmittel leisten?

Daher braucht es ernst gemeinten politischen Willen und Rahmenbedingungen, d.h. einen verbindlichen und konkreten Stadtratsbeschluss, eine ambitionierte Nachhaltigkeitsstrategie mit Einbeziehung aller wichtigen Stakeholder, die Festlegung von Indikatoren zur Überprüfung der Nachhaltigkeitsstrategie, das Bereitstellen von finanziellen und personellen Mitteln und letztendlich eine SDG-konforme Steuer- und Haushaltspolitik.

"Das kann schnell ausgebaut werden"

Sehen Sie Maßnahmen, die man unkompliziert und zügig umsetzen kann?

Katharina Habersbrunner: Die Erzeugung von erneuerbarem Strom auf kommunalen Gebäuden kann schnell ausgebaut und gefördert werden. Die Bürger können sich an Energiegenossenschaften beteiligen. Ökologisches und gesundheitsverträgliches Baumaterial (Holz, Ziegel) und nachhaltige Beschaffungsrichtlinien sollten nicht nur für Kitas und Schulen (z.B. keine Böden aus PVC in Schulen und öffentlichen Einrichtungen) gelten.

Nachhaltigkeitskriterien sind in Bebauungsplänen zu verankern. Private und kommunale Unternehmen erstellen Gemeinwohl-Bilanzen. Ausreichend Freiflächen für Biodiversität und Erholung sind dringend erforderlich. Mehr Stellen von Nachhaltigkeitsbeauftragten in der Verwaltung als auch regelmäßige ressortübergreifende Schulungen für städtische Angestellte als Multiplikatoren sind die Grundlage für München als eine aktive und erfolgreiche Agenda-2030-Großstadt.

"Es braucht transparente Entscheidungsverfahren"

Da München eine immer weiter wachsende Stadt ist, sind die Themen „Nachhaltige Stadtentwicklung“ und „Mobilität und Verkehr“ wichtige Themen, die Sie auch beim Kongress diskutiert haben. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Katharina Habersbrunner: Wachstum ist ein zentrales Thema und wird kontrovers diskutiert. Wohnen muss als Grundbedürfnis auch für Personen mit geringem Einkommen bezahlbar sein, lebenslang. „Wohnen für Alle“ ist mit sozialem Wohnungsbau weiter zu fördern, fordert die Manufaktur „Stadtentwicklung“. Die Neubebauung der Prinz-Eugen-Kaserne wird als positives Beispiel gesehen. Die in der Stadt angelegten „Extensiv-Wiesen“, auf denen sich Biodiversität auf kleinen Flächen entwickeln können, sollen ausgebaut, bestehende Biotopstrukturen erhalten werden.

Neben strategischen Vorschlägen zur Freiflächenplanung (Grünflächenerhaltung, Grünflächenverbund, Baumschutz) braucht es transparente Entscheidungsverfahren: Der Umgang mit der begrenzten Ressource „Fläche“ muss von der Öffentlichkeit nachvollzogen werden können. Es muss den Bürgern die Gelegenheit zur rechtzeitigen und ehrlich gemeinten Mitwirkung gegeben werden. Ein Ergebnis der Manufaktur „Mobilität und Verkehr“ ist, dass München ein verbindliches, vom Stadtrat beschlossenes Mobilitäts-Leitbild braucht, dem alle zukünftigen Entscheidungen und Strukturen folgen. In dem Leitbild sollen u.a. ein klares Bekenntnis für eine Strategie der Verkehrsminderung, die starke Reduzierung des Motorisierten Individualverkehrs (MIV) in der Stadt sowie eine prioritäre Behandlung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), Fuß- und Radverkehr wie auch Sharinglösungen verankert sein. Auf diesen Ansätzen baut die Arbeit der Manufakturen auf. Weitere Ergebnisse können auf unserer Homepage unter www.m-i-n.net nachgelesen werden.

"Ein erfolgreicher Startschuss"

Sie führen Ihre Zusammenarbeit in den Manufakturen weiter. Was genau wird dann in Zukunft passieren? Wie geht es weiter?

Katharina Habersbrunner: Der erste Münchner Nachhaltigkeitskongress war ein erfolgreicher Startschuss. Er brachte viele Akteure zusammen und zeigte das große Interesse, gemeinsam mehr Nachhaltigkeit einzufordern und umzusetzen. Es wurden Ergebnisse erarbeitet, die wir in den Manufakturen weiterverfolgen. Dabei werden wir die Nachhaltigkeitsstrategie der Stadt einfordern, unterstützen und begleiten. Wie ein kontinuierlicher Dialog mit Politik und Verwaltung verankert werden kann, besprechen wir Anfang Juli auch mit Oberbürgermeister Dieter Reiter. Ergebnisse und Möglichkeiten zur Mitarbeit finden Sie auf unserer Homepage. Am Donnerstag, 22. Mai, findet das nächste Treffen mit allen Interessierten statt.

Es braucht mehr beherzte Pioniere, engagierte Menschen, klare Ziele und nicht zuletzt, ein mutiges Infragestellen des Status Quo. Die Schüler und Scientists for Future machen es uns vor: Schließen wir uns an mit Mut und Optimismus für eine lebenswerte Zukunft - und überzeugen wir Politik und Wirtschaft, dass es sich lohnt umzusteuern hin zu einer Normalität der Nachhaltigkeit.


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