„Integration zu leben ist denkbar einfach“
Im ESV Neuaubing spielt die erste reine Flüchtlingsmannschaft Bayerns
Was vor knapp vier Jahren als Experiment begann, hat sich mittlerweile im bayerischen Vereinsfußball etabliert: nämlich die Idee, Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten ein regelmäßiges Fußballtraining zu ermöglichen. „Begonnen hat alles auf einem Kunstrasenplatz in der Nähe des Englischen Gartens. Die ersten Flüchtlinge sind über die BR-Sternstundenaktion zu mir gekommen“, erzählt Olaf Butterbrod, der das Projekt ins Leben gerufen hat. „Ich wusste damals auch nicht, was auf mich zukommt. Aber es war vom ersten Moment an eine tolle Erfahrung – und das ist es bis heute.“ Ziel von Butterbrod war es, den Jugendlichen einen Ankerpunkt im Wochenablauf zu schaffen, ihnen das Einleben in der neuen Heimat zu erleichtern und ihr Selbstwertgefühl zu steigern.
Mittel der Völkerverständigung
Auf die Idee, mit Flüchtlingen Fußballball zu spielen, kam er nach einer zehnwöchigen Auszeit in Afrika. „Damit hatte ich mir einen Traum erfüllt“, verrät Butterbrod, „denn ich wollte schon immer mal in Afrika mit afrikanischen Kindern Fußball spielen. Das hat mir und den Kindern sehr viel gegeben und das Ganze wollte ich nach meiner Rückkehr so ähnlich auch hier machen. Sport ist ein Mittel der Völkerverständigung.“ Seit letztem Jahr spielt „Sports United“ sogar im Ligabetrieb des Bayerischen Fußballverbandes – und das als erste reine Flüchtlingsmannschaft in Bayern. „Ich habe mir einfach gedacht, dass das Team sportlich und charakterlich so gut ist, um in der Liga zu spielen“, erzählt der Journalist.
Gesellschaftliche Verantwortung
Um das zu realisieren musste er sich allerdings erstmal auf die Suche nach einem Verein machen, der ihn bei seinem Vorhaben unterstützt. So kam er auf den ESV Neuaubing, einem traditionsreichen Verein im Münchner Westen – ohne erste Herrenmannschaft. „Mein Team hatte das Glück auf einen Verein zu stoßen, der offen war“, sagt Butterbrod, der mittlerweile beim ESV die Fußballabteilung leitet. Und Christian Brey ergänzt: „Schon nach dem ersten Training habe ich gemerkt, wie viel Spaß die Jungs und Olaf Butterbrod zusammen haben. Sie waren und sind eine tolle Gemeinschaft, so wie es sich gehört im Fußball“, betont der Vizepräsident des ESV Neuaubing. „Als Verein haben wir eine gesellschaftliche Verantwortung und ich muss sagen, dass uns die Kooperation gut getan hat. Sport ist Integration.“
Die beiden Initiatoren des „ESV Neuaubing Sports United“ begleiten das Projekt mit großer Leidenschaft. „Wir sind auch mittlerweile keine reine Flüchtlingsmannschaft mehr, weil einige deutsche Spieler, die den Verein verlassen hatten, wieder zurückgekommen sind“, erzählt Butterbrod. „Im Grunde sind wir ein Integrationsteam.“ Zur Rückrunde hat der Verein sogar eine zweite Mannschaft angemeldet. „Sie spielt zwar außer Konkurrenz“, erläutert der Fußballabteilungsleiter, „aber sie haben trotzdem großen Spaß.“
Spende vom Rotary Club
Vor kurzem durfte sich der „ESV Neuaubing Sports United“ auch über eine finanzielle Zuwendung freuen. Denn die Einnahmen aus der Gesprächsreihe „Persönlichkeiten im Dialog“ des Rotary Club München-Bavaria wurden an die Fußballmannschaft gespendet. Im Rahmen der Veranstaltung, die in den Räumen der Versicherungskammer Bayern stattfand, äußern sich regelmäßig Menschen des öffentlichen Lebens zu ausgewählten Themen. Zu Gast war der vielfach ausgezeichnete Unternehmer Toni Meggle, der seit Jahrzehnten positiv zur sozialen und kulturellen Entwicklung der Gesellschaft beiträgt. Er sprach zum Thema „Corporate Social Responsibility“ am Beispiel des Unternehmens Meggle.
Neben dem Vortrag und der Diskussion hielt der Abend aber noch etwas ganz Besonderes bereit, denn im Anschluss servierten die Fußballer des „ESV Neuaubing Sports United“ den Mitgliedern des Rotary Clubs Spezialitäten aus der afghanischen Küche. „Wir haben in der Küche meiner Wohnung typische afghanische Speisen zubereitet. Neben Bolani, Kuku, Chapli Kabab und Pakura gibt es grünen Chutney und Joghurt Dip“, erzählt der afghanische „Chefkoch“ Ismat Maidin. „Ich selbst bin seit acht Jahren alleine unterwegs und seit fünf Jahren in Deutschland. Ich habe immer schon gekocht, das ist mein Hobby. Bei Sports United spiele ich seit drei Jahren“, so der Kapitän des Fußballteams, der gerade seine Ausbildung zum Elektriker beendet hat. „Es ist toll, dass wir nun richtig im Verein spielen. Das macht mir großen Spaß.“
Nicht nur auf dem Platz ein Team
Bei den Gästen kamen die Speisen sehr gut an. „Das freut uns natürlich“, sagt Mohammad Cardusch. „Vier Leute haben gekocht, zwei geholfen. Wir sind nicht nur auf dem Platz ein Team“, betont der Syrer, der seit fast einem Jahr in Deutschland ist und seit vier Monaten beim ESV Neuaubing ist. „Dass wir mittlerweile alle zusammen richtig in der Liga Fußball spielen ist super. Wir haben dreimal pro Woche Training.“ Und Morteza Hossini ergänzt: „Insgesamt haben wir knapp drei Stunden gekocht. Zuvor haben wir alle Zutaten auch selbst eingekauft“, so der 18-Jährige aus Afghanistan. „Mir macht der Fußball und auch die Schule Spaß. Ich möchte spätestens nächstes Jahr mit einer Ausbildung beginnen. Wenn ich ein wenig Glück habe, klappt es vielleicht auch dieses Jahr noch.“
Im Sport ist jeder gleich
Im ESV Neuaubing gibt es übrigens auch zweimal die Woche Fußballtraining für die Flüchtlinge aus den Unterkünften der näheren Umgebung. „Das wird gut angenommen“, sagt Butterbrod. „Wir haben kürzlich auch ein Fußballtraining für Mädchen angeboten.“ Weil nicht alle Flüchtlinge nur Fußball spielen möchten, hat er sich zudem mit den Leitern der 22 anderen Abteilungen des ESV Neuaubing zusammengesetzt und überlegt, was man tun könnte. „Wir bieten nun im März für alle Abteilungen Schnupperkurse an. So können wir auch Mädchen, Frauen oder ältere Flüchtlinge integrieren. Das kommt gut an und ist für alle eine schöne Erfahrung“, erzählt der Abteilungsleiter. „Flüchtlinge sind Menschen, die hier sind und einen Anspruch auf Respekt haben und sich gleichzeitig aber auch an unsere Spielregeln halten müssen. Integration zu leben ist eigentlich denkbar einfach. Beim Fußball oder generell im Sport ist jeder gleich, es zählt die Leistung und der Charakter.“
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