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Integration muss im Quartier stattfinden

Dieter Reiter zu Gast beim Fachgespräch der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege

Reger Austausch: ARGE-Sprecherin Andrea Betz (links) und Karin Majewski, Geschäftsführerin des Paritätischen (rechts), freuten sich, dass Münchens Oberbrürgermeister Dieter Reiter am Fachgespräch der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege teilnahm. (Bild: Innere Mission München / Oliver Bodmer)

Wie bleibt das Leben in der Stadt lebenswert für alle Menschen? Was braucht es, damit besonders in neuen Quartieren ein friedvolles und solidarisches Miteinander entsteht? Und was kann die Landeshauptstadt tun, damit Geflüchtete hier eine Perspektive haben? Diesen Fragen der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege stellte sich im vierten und letzten Fachgespräch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD).

So forderte ARGE-Sprecherin Andrea Betz, der von der Stadt aufgelegte Gesamtplan Integration dürfe kein Theorieplan bleiben, sondern müsse auch in die Praxis umgesetzt werden. Denn viele Flüchtlinge fänden sich „im Behördendschungel“ nicht zurecht. Zudem lebten rund 60 Prozent mehr als ein Jahr in einer Unterkunft, weil sie keinen Wohnraum finden: „Die Frustration nimmt zu.“ Karin Majewski, Geschäftsführerin des Paritätischen, lobte die gute „Regenbogen-Community“ in München für die engagierte Aufnahme von schwulen und lesbischen Flüchtlingen, forderte aber gleichzeitig mehr Unterkünfte für Personengruppe sowie einen besseren Betreuungsschlüssel für Frauen, die Gewalt erfahren haben. Denn: „Fast alle Frauen wurden Opfer von Gewalt – entweder in ihrer Heimat, auf der Flucht – und wenn es schlecht läuft, dann auch hier.“

Politisch wertvoll

OB Reiter hob hervor, dass München die Flüchtlingswelle vor fünf Jahren besser bewältigt habe als andere Städte in der Republik – „und das in Bayern“. Dennoch sei die Stadt damit ein Wagnis eingegangen: „Wir haben das so gemacht, wie wir dachten, dass es gut ist.“ Das sei zwar teuer gewesen, für ihn persönlich aber „politisch wertvoll“. Er sei sehr stolz, dass man „die Herausforderungen gemeinsam mit den Verbänden gewuppt“ habe. Gleichzeitig gestand Reiter zu, dass die Zuwanderung auch Probleme hervorrufe: Der Wohnraum sei knapp, ebenso die Plätze in der Kinderbetreuung. Viele Flüchtlinge müssten eigentlich in eigenen Wohnungen untergebracht werden – „wenn wir denn welche hätten“. Angesichts von Widerständen in der Bevölkerung gegen Neubauprojekte müsse Politik stark bleiben und argumentieren, dass man diese neuen Wohnungen einfach brauche.

Um eine solidarische Stadtgesellschaft zu erreichen, plädierten Betz und Majewski für aktive Nachbarschaften und eine bessere personelle Ausstattung der Nachbarschaftstreffs. „Im Quartier zeigt sich, ob eine Gesellschaft zusammenhält und somit der Vereinsamung entgegenwirkt.“ Der Oberbürgermeister sagte, den Bewohnern mache der zunehmende Verkehr, den ein Neubaugebiet nach sich ziehe, oft mehr Angst als Nachbarschaftsprobleme. Dennoch gestand Reiter zu, dass bei der Planung soziale Einrichtungen mehr berücksichtigt werden müssten: „Es braucht mehr niedrigschwellige Angebote, damit die Stadt weiterhin attraktiv bleibt.“ Gleichzeitig kritisierte er, dass das „pro-domo-Denken“ der Alteingesessenen stärker geworden sei. Während Hans-Jochen Vogel als Oberbürgermeister für jedes Neubaugebiet gefeiert worden sei, müsse er heute einen Schutzhelm tragen – „und nicht nur wegen der Fotos“. Wenn München es nicht schaffe, genügend Wohnraum zu bauen, so seine Prognose, „dann wird die Stadt auseinanderdriften“.

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