"In Deutschland ist alles gut"
Schüler konzipieren Ausstellung im Museum fünf Kontinente

Im P-Seminar "Perspektiven gemeinsam entwickeln" haben die Schüler des Ludwigsgymnasiums mit Lehrerin Susanne-Barbara Huber-Scholl (hi. M.) Gespräche mit Geflüchteten geführt und ihre Ergebnisse zu einer Ausstellung verdichtet. (Foto: iab)
"Perspektiven gemeinsam entwickeln" – dieser Titel lässt vieles offen und reichlich Platz für Phantasie und eigene Ideen. Genau aus diesem Grund hat sich Susanne-Barbara Huber-Scholl, Lehrerin am Münchner Ludwigsgymnasium, dafür entschieden, ihr Projekt (P)-Seminar so zu benennen: "Ich habe bewusst eine freie Formulierung gewählt, so konnte ich die weitere Struktur prozessorientiert mit den Schülern zusammen erarbeiten." Ein P-Seminar zu belegen ist seit Einführung des achtstufigen Gymnasiums in Bayern im Jahr vor dem Abschluss Pflicht. Die Kurse zielen auf aktive Unterrichtsgestaltung und Beteiligung der Schüler. Dabei haben zukünftige Abiturienten die Wahl zwischen verschiedenen Seminaren: mehr Wettbewerb unter Lehrern, mehr Entscheidungsfreiheit für Schüler.
Die Weltsicht Geflüchteter beleuchten
Natürlich hatte sich Huber-Scholl nicht nur einen Titel überlegt, auch ein Rahmenkonzept präsentierte die Lehrerin den möglichen Teilnehmern: In Zusammenarbeit mit dem Museumspädagogischen Zentrum (MPZ) sollte das P-Seminar eine Ausstellung zum Thema Flucht und Migration konzipieren. Eine Schau, entstanden in Zusammenarbeit mit Geflüchteten, die deren Weltsicht beleuchten sollte. Das war im Januar 2015: vor 800.000 Neuankömmlingen in Deutschland, vor "Wir schaffen das" und vor Wahlerfolgen der Rechtspopulisten der Alternative für Deutschland. 13 Oberstufler haben sich damals für Huber-Scholls Angebot entschieden.
"Die Situation ist jetzt eine andere"
Los ging es allerdings erst im nächsten Schuljahr, im September 2015. "Wir haben schnell erkannt; die Situation ist jetzt eine andere als im Januar. Wir wollten aber den offenen Umgang mit dem Thema Flucht beibehalten", erklärt Huber-Scholl. Der erste Dämpfer für die Schüler ließ leider nicht lange auf sich warten: Zwar entstanden schnell tolle Kooperationen mit Unterkünften, städtischen und privaten Organisationen, die gerne Geflüchtete mit den Gymnasiasten bekannt machten.
Doch bald war klar, dass viele der Geflüchteten in andere Städte gehen oder kein Asyl bekommen würden. Die gemeinsame Konzeption der Ausstellung über einen längeren Zeitraum hinweg erwies sich als unmöglich. Das P-Seminar reagierte schnell: Gemeinsam erarbeiteten die Oberstufler einen Fragebogen, eine Art Grundgerüst für Gespräche mit den Geflüchteten. Die Schüler unterhielten sich einmalig mit den Asylbewerbern und verdichteten im Anschluss die Antworten aller Befragten ohne deren Mitwirken zu einer Ausstellung.
Die Menschen dürfen nein sagen
"Wir haben uns auf Englisch oder Deutsch, manchmal mit Händen und Füßen unterhalten", lacht Schülerin Sophie Süßmeier, "es hat super geklappt, viele Informationen haben wir unabhängig von unserem Fragebogen bekommen, eher im Gesprächsfluss." Es sei manchmal traurig gewesen, wie die Geflüchteten denken. "Ein junger Mann meinte, ich hätte bestimmt Angst vor ihm, weil er Muslim ist – seine Religion war ihm fast peinlich", konstatiert Sophie.
Teilnehmerin Mara Weis ist eine Unterhaltung besonders im Kopf geblieben: "Ich habe gefragt, wie mein Gesprächspartner Deutschland sieht. 'Es fasziniert mich, dass die Menschen hier auch nein sagen, wenn sie etwas nicht machen möchten. Das gibt es bei uns nicht, da muss man alles tun, was verlangt wird, ohne seine eigene Meinung vertreten zu können', hat er geantwortet." Ein Afghane bestätigte den Schülern ganz einfach: "In Deutschland ist alles gut."
Wertvorstellungen und persönliche Träume
Insgesamt 35 Asylbewerber haben sich mit den P-Seminar Teilnehmern unterhalten, die meisten zwischen 17 und 18 Jahre alt. Es ging um die politische Lage in der Heimat der Geflüchteten, um Wertvorstellungen und Zukunftspläne, Berufschancen in Deutschland und persönliche Träume. Mit finanzieller und moralischer Unterstützung des MPZ und der Hilfe eines Grafikers konzipierten die Schüler aus ihren Informationen Schautafeln mit Statistiken, Bildern oder Zitaten; auch Holzpaletten dienen als Projektionsfläche für Daten und Karten. Über das MPZ kam schließlich der Kontakt mit dem Museum fünf Kontinente zustande. Dort war man begeistert und erklärte sich sofort bereit, einen Raum zur Verfügung zu stellen. "Es ist die erste Ausstellung eines P-Seminars. Wir freuen uns, dass alles so toll funktioniert hat," versichert Dorothee Schäfer aus der Marketingabteilung des Museums. Geboren war die Schau "Ankommen".
Anstoß, sich ein neues Bild zu machen
Zur Vernissage sind viele Menschen gekommen, die Schüler hoffen, mit ihrer Ausstellung einen Anstoß zu geben, sich ein neues Bild von Asylbewerbern zu machen und eigene Vorstellungen zu ergänzen und zu überprüfen. Nach den Redebeiträge der Mitwirkenden hat Sarah ihren großen Auftritt. Die junge Frau aus Sierra Leone singt für die Besucher ein Lied aus Nigeria, es heißt "I know who I am", deutsch: "Ich weiß, wer ich bin". Leise zuerst, schließlich mit zunehmender Überzeugung, präsentiert Sarah ihr Lied (freie Übersetzung der Redaktion): Ich gehe mit Stärke, ich bin voll Wunder, ich lebe ein Leben voll Glück, denn ich weiß, wer ich bin."
Sarah weiß wer sie ist. Es lohnt sich, als Besucher ebenfalls herauszufinden, wer diese jungen Menschen sind, die heute als Nachbarn, Angestellte und Freunde hier leben. "Ankommen" ist noch bis Freitag, 24. Februar, im Museum fünf Kontinente an der Maximilianstraße 42 zu sehen; als Besucher einfach Tickets für das Haus kaufen und an der Kasse um die Öffnung des Ausstellungsraumes bitten.
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