Wochenanzeiger München Wir sind Ihr Wochenblatt für München und Umland

"Ihre Großmutter hat völlig recht!"

Edmund Stoiber über enorme Fortschritte und Angst, Abwägen und Umwälzen, Sack und Asche

Edmund Stoiber: "Klima- und Umweltschutz stehen zu Recht im öffentlichen Fokus. Aber natürlich gibt es daneben noch viele weitere innen- und außenpolitische Herausforderungen." (Bild: CSU)

Edmund Stoiber war bayerischer Ministerpräsident von 1993 bis 2007. Seine Partei, die CSU, führte er von 1999 bis 2007. Heute ist er Ehrenvorsitzender der CSU. Mit Johannes Beetz sprach er über Nachhaltigkeit.

"Wir müssen auch auf die soziale Symmetrie achten"

„Der Umwelt- und Naturschutz ist fest in der DNA der CSU verankert“, haben Sie kürzlich gesagt, die Bewahrung der Schöpfung sei ein zutiefst konservatives Anliegen. Bayern hat 1970 das erste deutsche Umweltministerium eingerichtet und in Ihrer Regierungszeit wurde 1995 mit der Wirtschaft der Umweltpakt Bayern geschlossen. Der Klimaschutz, von dem heute so viel die Rede ist, ist wichtig - aber haben wir nicht viele andere Herausforderungen, die zumindest ebenso dringend einer Lösung bedürfen? Ist es nicht fahrlässig, sich heute so sehr auf diesen einen Trend zu stürzen?

Edmund Stoiber: Klima- und Umweltschutz stehen heute zu Recht im öffentlichen Fokus. Aber natürlich gibt es daneben noch viele weitere innen- und außenpolitische Herausforderungen, auf die eine Volkspartei wie die CSU Antworten finden muss. Wir sind in weit höherem Maße als etwa die USA oder Großbritannien eine Industriegesellschaft. Deutschland bezieht rund 30 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes aus der Industrie. Und Industrie braucht Energie. Es ist eine gewaltige Herausforderung, eine Industriegesellschaft ökologisch so umzuformen, dass sie in Zukunft ohne CO2 -Belastung wettbewerbsfähig ist. Das braucht Zeit und geht nur mit innovativer Technologie. Der Umstieg von Kernenergie und Kohle auf erneuerbare Energieträger lässt sich nicht von heute auf morgen erreichen. Es gibt im Übrigen nicht nur Kipppunkte im Klimasystem, sondern auch soziale Kipppunkte. Es ist deshalb Aufgabe der Politik, den Arbeitnehmern, deren Arbeitsplätze in der „alten“ Industrie wegfallen, eine berufliche Perspektive zu geben.

Wer das Klimapaket der Bundesregierung als zu wenig ehrgeizig kritisiert, muss auch sehen, dass viele Pendler auf ihr Auto angewiesen sind und ihren alten Diesel nicht einfach verschrotten können. Viele können sich höhere Spritpreise nicht leisten. In Frankreich ist die Gelbwestenbewegung entstanden, weil Präsident Macron die Diesel- und Benzinpreise um wenige Cent erhöhen wollte. Danach spielten sich bürgerkriegsähnliche Szenen im ganzen Land ab. Das hätte fast zu seinem Sturz geführt. Deshalb müssen wir immer auch auf die soziale Symmetrie achten.

"Von Ängsten darf man sich nicht treiben lassen"

Wir leben in schrägen Zeiten: Menschen verlangen nicht mehr, dass man sie (die Bürger) ernst nimmt, sondern ihre Ängste. „Ich möchte, dass ihr in Panik geratet“, hat Greta Thunberg beim Weltwirtschaftsforum in Davos gesagt, „ihr sollt die Angst spüren, die ich jeden Tag spüre.“ Meister Yoda aus dem Star-Wars-Multikultiversum sagt stattdessen den ausnahmsweise weisen Satz „Furcht führt zu Wut; Wut führt zu Hass; Hass führt zu unsäglichem Leid.“ Oder, um es mit den Worten meiner Großmutter zu sagen, die furchtbare Zeiten hautnah und Angst sehr konkret erlebte: „Angst ist ein schlechter Ratgeber.“ Wie ängstlich sehen Sie in die Zukunft?

Edmund Stoiber: Ihre Großmutter hat völlig recht. Natürlich ist Angst eines der wichtigsten Gefühle des Menschen gerade in Zeiten großer Umbrüche. Die politischen Debatten sind stark von Ängsten dominiert, zum Beispiel der Angst der Menschen davor, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, der Angst vor Terrorismus und Extremismus oder einer Überforderung mit der Integration von Flüchtlingen. Diese Ängste prägen unsere Politik.

Eine verantwortungsvolle Politik darf aber nicht nur mit Angstszenarien arbeiten, sondern muss vor allem Hoffnung machen: Hoffnung auf Zukunft, auf Lösungen, darauf, etwas besser zu machen. Als Politiker darf man Angst nie vorrangig zur Grundlage von Entscheidungen machen. Natürlich muss man abwägen und an die möglichen Folgen denken, die eine wichtige Entscheidung mit sich bringen kann. Ängste darf man nicht verdrängen, aber man muss mit ihnen umgehen und darf sich von ihnen nicht treiben lassen. Wir müssen die Menschen mit ihren Ängsten ernst nehmen und keine falschen Tabus aufstellen. Wenn wir nur noch Ängste schüren, sehe ich schwarz.

"Volksparteien werden auch künftig gebraucht"

„Nachhaltigkeit ist, wenn ich wiedergewählt werde.“ Für einen Politiker, der (hoffentlich) überzeugt ist, auf dem richtigen Weg zu sein, wäre das eine verlockende Definition. Aber so einfach ist es ja nicht: Die Volksparteien verlieren ihre Basis und damit bricht ein bewährtes demokratisches System ein, das doch recht nachhaltig funktioniert und für zwei Generationen Stabilität gebracht hat. Müssen wir uns von dieser Art der Nachhaltigkeit endgültig verabschieden?

Edmund Stoiber: Die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ist ohne die großen Volksparteien CDU / CSU und SPD nicht denkbar. Sie haben einen ganz wesentlichen Anteil an der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Stabilität unseres Landes. Der große Vorteil einer Volkspartei wie der CSU besteht darin, verschiedene politische Strömungen in sich zu vereinigen, zwischen den Positionen abzuwägen und schon in der Partei selbst einen Kompromiss zu finden. Wenn sich die Parteienlandschaft zersplittert und Individualinteressen dominieren, muss zwischen sechs, zehn oder noch mehr Parteien im Parlament mühsam eine Mehrheit gefunden werden. Das mag vielleicht für Politikwissenschaftler eine reizvolle Vorstellung sein. In der Realität scheitert dieser Versuch oder geht nur sehr mühsam vorwärts, weil gerade populistische Parteien nicht auf Kompromisssuche ausgerichtet sind, sondern polarisieren wollen.

Vor diesem Hintergrund bin ich fest überzeugt, dass Volksparteien auch künftig gebraucht werden. Frankreich zeigt, was passiert, wenn starke Volksparteien fehlen und die politischen Ränder erstarken, gerade in den Zeiten der Globalisierung und gewaltiger technischer Umwälzungen. Die Sammlungsbewegung von Macron kann tief in der Bevölkerung verankerte Volksparteien nicht ersetzen.

"Kein Grund, in Sack und Asche zu gehen"

In der Fridays-For-Future-Bewegung schwingt nicht zu knapp ein Generationenkonflikt mit, wenn „den Alten“ vorgehalten wird, die Zukunft „der Jungen“ verspielt zu haben. Untätig waren „die Alten“ indes nicht: Sie haben ökologische Herausforderungen wie Waldsterben und Ozonloch bewältigt und sie haben mit dem Wirtschaftswachstum ihrer Zeit ja nicht nur verschwenderischen Konsum ermöglicht, sondern ein zuvor nicht gekanntes und – mit Verlaub – höchst nachhaltiges Maß an Sicherheit, Lebensqualität sowie gesundheitlicher und sozialer Versorgung für die gesamte Bevölkerung aufgebaut. Verlieren wir diese Zusammenhänge aus dem Blick?

Edmund Stoiber: In den letzten Jahrzehnten hat Deutschland in allen Bereichen enorme Fortschritte erreicht, ob im Umwelt- und Klimaschutz, der Kriminalitätsbekämpfung, der technologischen Entwicklung oder der sozialen Sicherung. Den Deutschen geht es im Durchschnitt so gut wie nie zuvor. Die Demokratie ist stabil. Der Staat ist solide finanziert. Es gibt also keinen Grund für die Nachkriegsgenerationen, in Sack und Asche zu gehen. Wir brauchen uns ja nur in der Welt umzusehen, z.B. in Afrika oder Asien. Da sieht es zum großen Teil völlig anders aus. Deswegen sind wir auch so ein Anziehungspunkt für Menschen aus diesen Ländern. Auf diesem, von den „Alten“ erarbeiteten Wohlstand können wir jetzt auch im Klimaschutz aufbauen und den Umbau unserer Gesellschaft in eine sozial-ökologische Marktwirtschaft beschleunigen.

"Für eine gute Zukunft essentiell wichtig"

Zurück zur Nachhaltigkeit: Welche sollten die drei wichtigsten To-Do-Dinge auf der entsprechenden Agenda eines Ministerpräsidenten im erfolgreichsten deutschen Bundesland sein …

Edmund Stoiber: Ganz oben sollte die Digitalisierung stehen, die für eine gute Zukunft Bayerns essentiell wichtig ist. Mit seiner High-Tech-Agenda hat Ministerpräsident Markus Söder und seine Staatsregierung die richtigen Schwerpunkte für die Spitzenposition Bayerns gesetzt: Zwei Milliarden Euro für zehntausend neue Studienplätze, eintausend neue Professuren, darunter einhundert allein für Künstliche Intelligenz, und ein Digitalisierungsprogramm für den Mittelstand: das sind wuchtige Maßnahmen.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Nachhaltigkeit im umfassenden Sinn, also Umwelt- und Klimaschutz, aber auch eine nachhaltige Haushaltspolitik ohne neue Schulden. Als politischer „Begründer“ des Haushalts ohne Neuverschuldung in Bayern freue ich mich, dass die Schwarze Null bis heute offizielle Politik der Staatsregierung ist und seit 2014 auch auf Bundesebene erreicht wird.

Schließlich ist die Migrations- und Asylpolitik nach wie vor relevant, mit dem von Söder zu Recht angewandten Prinzip von Humanität und Ordnung, d.h. die bestmögliche Integration anerkannter Flüchtlinge und eine konsequente Rückführung abgelehnter Asylbewerber.

"Auch kleine Schritte führen zum Ziel"

Jeder Einzelne kann im Alltag ein bisschen zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. Unsere letzte Frage haben wir vielen Menschen gestellt: Haben Sie in Ihrem Alltag etwas geändert, um nachhaltiger zu leben? Welche Änderung können Sie sich fürs neue Jahr vorstellen?

Edmund Stoiber: Ich versuche öfter mal das Auto stehen zu lassen und in meinem Nahbereich in Wolfratshausen notwendige Dinge zu Fuß zu erledigen. Meine Frau achtet sehr auf Mülltrennung und -vermeidung und kauft wenn möglich regionale Produkte im Laden um die Ecke ein. Das sind alles zwar nur kleine Schritte, aber auch kleine Schritte führen zum Ziel.

Startseite Anzeige aufgeben Zeitung online lesen Jobs Kontakt Facebook Anfahrt